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Dänemark sieht Syrien als sicher an – ein Dammbruch?

Damaskus
Die syrische Hauptstadt Damaskus soll laut Dänemark sicher für Rückkehrer sein. Seltsam: Die dänische Botschaft bleibt jedoch weiterhin geschlossen – aus Sicherheitsgründen. Keystone / Muzaffar Salman

Syrische Flüchtlinge sind in Europa in Sicherheit. Nicht mehr jedoch in Dänemark: Die Regierung dort hat entschieden, dass eine Rückkehr nach Syrien zumutbar ist. Macht diese Praxis Schule auch in der Schweiz?

Dänemark gehört zu den europäischen Ländern mit den härtesten Einwanderungs- und Asylgesetzen. Die Premierministerin Mette Frederiksen hat es öffentlich verkündet. Ihr Ziel sei “null Asylbewerber”. Wie konsequent die sozialdemokratische Regierung dabei vorgehen will, zeigte sich kürzlich, als bekannt wurde, dass das Land Geflüchteten aus Syrien die vorübergehende Aufenthaltserlaubnis entzieht.

Davon betroffen sind Menschen aus der Nähe von Damaskus, da Dänemark diese Region als sicher einstuft. Weil Dänemark und Syrien bei Rücküberweisungen aber nicht kooperieren, werden zunächst keine Menschen ausgeschafft. Die ersten betroffenen Syrer wurden jedoch bereits in Abschiebezentren eingewiesen, vorerst auf unbestimmte Zeit. Einer der Gründe für die ausbleibende Kooperation ist übrigens die Tatsache, dass Dänemark in Damaskus keine Botschaft betreibt – aus Sicherheitsgründen, wie diverse Medien spotteten.

Mit seiner Auslegung der Lage in Syrien steht Dänemark im europäischen Vergleich alleine da. Der seit einem Jahrzehnt andauernde Bürgerkrieg ist einer der wenigen Konflikte, über den asylpolitische Einigkeit besteht: Rückführungen sind nicht zumutbar. Grund dafür ist die Brutalität des Assad-Regimes, das in der Bekämpfung oppositioneller Kräfte weiterhin jegliche menschenrechtliche Standards missachtet.

Internationale Praktiken

Auch die Schweiz verzichtet grundsätzlich auf Rückführungen. Seit 2011 haben mehr als 20’000 Syrerinnen und Syrer in der Schweiz ein Asylgesuch eingereicht, davon haben rund zwei Drittel den Status der vorläufigen Aufnahme erhalten. Das bedeutet, dass sie zwar in der Schweiz bleiben dürfen, jedoch theoretisch wieder in ihre Heimat zurückkehren müssten, wenn der Konflikt dereinst vorbei wäre und das Land wieder als sicher eingestuft würde.

In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung der dänischen Regierung von Bedeutung. Offiziell beruhen die Einschätzungen des Staatssekretariats für Migration (SEM) auf eigenen Abklärungen und Quellen. Zudem muss das Migrationsamt auch die Praxis des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts zwingend berücksichtigen. Dennoch zählt auch die politische Grosswetterlage: Je mehr Länder einen Staat als sicher einstufen, desto mehr andere schliessen sich an. Darum stufen Hilfsorganisation das Beispiel von Dänemark als Dammbruch ein.

“Die Praxis von anderen Staaten kann eine Rolle spielen”, sagt auch Angela Stettler, die bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) als Juristin tätig ist. Sie weist darauf hin, dass die Schweizer Behörden bei einer Beruhigung der Lage in Syrien ebenfalls die Praxis bezüglich vorläufiger Aufnahme ändern könnte.

Die Praxis der regionsbezogenen Wegweisung kennt die Schweiz schon heute. So gelten für das SEM beispielsweise in Afghanistan, Libyen, Somalia und Irak gewisse Städte bzw. Regionen als stabil. In diese können Leute unter gewissen Umständen zurückgeschickt werden. Dabei handelt es sich um wenige Dutzend Fälle pro Jahr, nicht zuletzt, weil die Rückführungen oft aus praktischen Gründen unmöglich sind – wenn beispielsweise die Region keinen Flughafen hat.

Generell herrsche für die Geflohenen grosse Unsicherheit, da vor allem im Nahen und Mittleren Osten vieles im Wandel sei, so Stettler. Man nehme das Beispiel von Afghanistan, wo im September die letzten US-Truppen abgezogen werden: Es zeichnet sich ab, dass die Taliban die Macht wieder an sich reissen oder die Regierung in einen Bürgerkrieg verwickeln werden. “Diese Unsicherheit belastet natürlich vor allem die Betroffenen selbst, deren Aufenthaltsstatus oft von geopolitischen Entwicklungen abhängig ist”, so Stettler.

Schon einmal war Dänemark ein Wegbereiter, wie Stettler sagt: Bei Eritrea. Dänemark schickte 2014 als erstes Land eine sogenannte “fact finding mission” dorthin, um vor Ort Informationen zu sammeln. Der Befund: Eine Rückkehr nach Eritrea sei unter Umständen möglich. Der Report wurde international heftig kritisiert, unter anderem vom UN-Flüchtlingswerk UNHCRExterner Link. Dänemark selbst distanzierte sich zwar schnell davon, dennoch nahmen Politiker von anderen Länder Bezug darauf. Grossbritannien publizierte ein Jahr später neue Richtlinien, die explizit Bezug auf den dänischen ReportExterner Link nahmen. Die Schweiz hält heute die Rückkehr nach Eritrea für zumutbar.

Rechtspopulisten als Treiber

Heftige Kritik an der aktuellen Entscheidung der dänischen Regierung bezüglich Syrien kam ausgerechnet von einer ExpertengruppeExterner Link, auf deren Einschätzungen die Evaluation teilweise erfolgte. Die Expertinnen und Experten monierten, dass ihre Erkenntnisse nicht adäquat berücksichtigt worden seien. Letztlich zeigt die Kritik, dass die Entscheidung, ob ein Land oder eine Region als “sicher” eingestuft ist, in erheblichem Ausmass eine politische ist.

Pikant daran ist, dass es ausgerechnet die Sozialdemokraten sind, die die neue asylpolitische Strenge walten lassen. Professor Michael Baggesen Klitgaard, der das Departement für Politik und Gesellschaft der Universität Aalborg leitet, führt das auf die politische Konstellation des Landes zurück: “Um Mehrheiten zu gewinnen, sind sie in der Migrationspolitik deutlich nach rechts gerückt.”

In den 1990er-Jahren waren grösstenteils die Sozialdemokraten an der Macht. In diesem Jahrzehnt begann das Thema Migration die Debatten zu dominieren, was innerhalb der Partei zu Richtungskämpfen geführt habe. Ausserdem kam es zum Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei, die das Thema ständig kultivierte. Die im europäischen Vergleich sehr strenge Migrations- und Asylpolitik wurde demnach zur Strategie, um sich gegen die Rechtsparteien zu behaupten.

Offensichtlich bestehe unter manchen Sozialdemokraten zudem die Ansicht, dass der grosszügige dänische Sozialstaat geschützt werden müsse – die Beschränkung der Migration sei ein notwendiges Mittel dazu. Und mit ihrer äusserst restriktiven Politik wollten sie den rechten Parteien keine Angriffsfläche bieten, sagt Klitgaard. Das scheint bisher zu funktionieren: Die Sozialdemokraten haben im Moment die höchsten Zustimmungsraten seit Jahrzehnten.

Keine Schweizer Wegweisung

Wird das Beispiel von Dänemark in Europa Schule machen? Die meisten Staaten haben bezüglich Syrien eine zurückhaltende Einstellung. Auch in der Schweiz zeichnet sich kein Wechsel der bisherigen Praxis ab. Wie auf Anfrage bestätigt, erachten sowohl das SEM wie das Bundesverwaltungsgericht “aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Menschenrechtslage in Syrien sowie der anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Teilregionen des Landes […] den Vollzug der Wegweisung nach Syrien nach wie vor als generell unzumutbar.” Das gelte auch für die Hauptstadt Damaskus.

Das SEM schreibt weiter: “Damit eine Rückkehr nach Syrien wieder generell zumutbar würde, müsste sich die humanitäre Situation und Sicherheitslage vor Ort nachhaltig verbessern und stabilisieren.” Selbst nach eine Dekade Bürgerkrieg sieht es nicht danach aus, als würde das bald geschehen. Wenn, dann hiesse der Sieger Assad – und wie der mit Gegnern umgeht, hat er genügend gezeigt. Das Glück der aufgenommenen Syrerinnen und Syrer – es ist das Unglück ihres Landes.

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