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“Die Anzahl junger Verleger ist unglaublich”

Die Ecke "young adult" an der Genfer Buchmesse. Keystone

Isabelle Falconnier leitet seit 2012 die Genfer Buchmesse, die dieses Jahr die 30. Auflage erlebt. Eine Begegnung mit der Chefin des "Salon du livre et de la presse", der grössten literarischen Veranstaltung der Schweiz.

In ihrem Büro in den Palexpo-Hallen neben dem Genfer Flughafen feilt Isabelle Falconnier noch an den letzten Details der diesjährigen Jubiläumsausgabe, die 1000 Veranstaltungen umfasst. Seit sie von Gründer Pierre-Marcel Favre die Leitung übernommen hat, stellt die Journalistin das Buch in allen seinen Facetten wieder ins Zentrum der VeranstaltungExterner Link. Davon zeugt auch das klare graphische Konzept, das durch Eleganz und Humor besticht.

swissinfo.ch: Seit der Entstehung des Internets vor 30 Jahren hat sich Vieles fundamental verändert. Wer in Berufen der Literaturvermittlung arbeitet, muss doch von diesem Wandel begeistert sein?

Isabelle Falconnier: Es ist klar, dass sich in der Welt des Schreibens in 30 Jahren alles verändert hat, sei es bei der Produktion oder dem Vertrieb der Bücher, bei der Lesegewohnheit wie auch beim Zugang zur Literatur. Die neue Informationstechnologie hat auf allen Ebenen der Buchproduktion Einzug gehalten und das Verlagswesen weltweit revolutioniert.

Etwas ist jedoch immer noch gleich: der Inhalt. Die Welt des Produzierens hat sich verändert, doch unser Bedürfnis nach Geschichten, nach Reflexion, bleibt. Eine Veranstaltung wie die Genfer Buchmesse ist dazu da, diese Entwicklung zu begleiten.

Sie steht im Dienst der Themen und deren Schöpfer, egal, ob es sich um Romane, Essays, Comics oder Krimis handelt. Unsere Aufgabe als Organisatoren der Messe ist es herauszufinden, wie die Leser zu den Schriftstellern und Autorinnen finden, ganz gleich, wie die benötigte Unterstützung aussieht.

Abgesehen davon bleibt das gedruckte Buch ein sicherer Wert, auch wenn das Spektrum der Möglichkeiten, wie man auf einen Inhalt zugreifen kann, komplexer geworden ist. So wie das Taschenbuch das normale Buch nicht verdrängt hat, wird auch das E-Book das reale Buch nicht verdrängen. Es wird bloss mit einer Variante ergänzt.

swissinfo.ch: Stellen Sie angesichts der digitalen Sturzflut auch ein stärkeres Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Begegnungen fest?

I.F.: In der Tat, und dies gilt nicht nur für die Welt des Buches. Im gleichen Masse, wie sich die digitale Welt vergrössert, steigt auch das Bedürfnis nach zwischenmenschlichen, direkten Begegnungen, und auch das Bedürfnis, sich über die Eindrücke der Lektüre – im Grunde ein einsamer Akt – mit andern Menschen auszutauschen.

Eine Messe der Frankophonie

“Während der fünf Messetage haben wir den Ehrgeiz, Genf zur Hauptstadt der frankophonen Literatur zu erklären”, unterstreicht die Direktorin Isabelle Falconnier.

Seit zehn Jahren gibt es den afrikanischen Salon und seit dem letzten Jahr den Pavillon der arabischen Kulturen. Die Genfer Buchmesse knüpfte Beziehungen zu Belgien und der Provinz Québec mit dem Anspruch, die gesamte zeitgenössische, französischsprachige Literatur abzubilden und sich an den Treffen der frankophonen Verleger den neuen Herausforderungen zu stellen.

“Das Wort ist in Genf freier als in Paris. Hier sind alle gleichgestellt, ob sie nun aus Tunesien, Kamerun, Belgien oder Frankreich kommen”, versichert Isabelle Falconnier.

Sobald eine Veranstaltung über das Buch stattfindet, ob hier oder anderswo, wird sie sofort zum Erfolg. Einen Text von Mensch zu Mensch zu vermitteln, ist eine einmalige, kaum zu überbietende Erfahrung.

swissinfo.ch: Die literarische Welt in Frankreich, ihre Verlage, die Preise und sogar die Kritiken hinterlassen manchmal den Eindruck einer geschlossenen Welt, die mit ihren Kräften am Ende ist. Ist das auch anderswo der Fall? Gibt es Entwicklungen, die mit der Digitalisierung zusammenhängen?

I.F.: Das Verlagswesen ist meines Erachtens nicht verknöchert, weder in Frankreich noch anderswo. Bei unseren Nachbarn wird alles von Paris aus gesteuert. Es ist schwierig, in einer anderen Stadt etwas herauszugeben. Vielleicht liegt hier das Problem.

In der Westschweiz auf jeden Fall ist die Zahl junger Verleger unglaublich. Die technologischen Werkzeuge, das Bildungsniveau und die Kompetenzen der heutigen Generation erleichtern ihnen den Zugang ins verlegerische Berufsleben, und dies erst noch mit geringeren Kosten.

Die Erneuerung im Verlagswesens in der Romandie ist nicht zu leugnen. Allein in diesem Frühling sind verschiedene neue Verlage entstanden, wie zum Beispiel uTopie, ein Verlag für Kinderbücher, die es nur als E-Books gibt.

Doch die Ambitionen sind unterschiedlich. Es ist möglich, Verleger zu sein, ohne davon zu 100% leben zu müssen und sich nur auf die Romandie zu beschränken. Doch es ist auch möglich, eine grössere Unternehmung zu gründen, wie die Firma “Eaux troubles” von Mark Zellweger, der als Autor von geopolitischen Thrillern angefangen hat. 

Zusammen mit anderen Autoren französischsprachiger Thriller begann er, seine eigenen Bücher zu verlegen. Er fand einen Vertrieb in Frankreich, Belgien und Quebec und konnte in einem Jahr zehn Titel lancieren. Auch ehemalige Verlagshäuser wie Âge d’Homme oder ZOE haben ihre Ausrichtung mit Erfolg erneuert.

swissinfo.ch: Sind die Autoren der französischsprachigen Schweiz im Ausland besser bekannt?

I.F.: Die Schweizer Regierung interessiert sich immer mehr für die verlegerische Arbeit. Das Bundesamt für Kultur hat Anfang Jahr angekündigt, sie finanziell oder mit Stipendien zu unterstützen.

Neben den Kantonen Genf und Waadt unterstützen auch Westschweizer Städte die Verlagshäuser. Zudem überlegen sich die Kantone der Westschweiz, eine Stiftung zur Unterstützung der Verleger zu gründen. Das verstärkte Engagement der Eidgenossenschaft kommt sowohl den Verlegern wie den Autoren zugut.

Klar sind die Summen bescheiden und zweifelsohne müsste man die Mittel deutlich erhöhen, damit gewisse Autoren und Verleger im französischsprachigen Raum durchstarten könnten und auf den grossen Buchmessen vertreten wären.

swissinfo.ch: Wächst hier eine Generation neuer Autoren heran?

I.F.: Absolut. Die jungen Autoreninnen und Autoren sind sehr zahlreich und dynamisch, wie zum Beispiel das Kollektiv AJAR, eine Vereinigung junger Schriftsteller in der Romandie, die es einigen unter ihnen ermöglichte zu publizieren (Noémi Schaub, Matthieu Ruf, Guy Chevalley).

Die neuen Autoren wagen sich auch an Genres, die im Trend liegen, wie dem Krimi. Ich denke da an Quentin Mouron, Antoine Jaquier, Marc Voltenauer, Guy-Olivier Chappuis.

swissinfo.ch: Stellen Sie in der Deutschschweiz, wo es keine Buchmesse wie in Genf gibt, das gleiche Phänomen fest?

I.F.: Ich kenne die aktuelle Szene in der Deutschschweiz nicht sehr gut. Das ist übrigens ein Problem in der Schweiz. Die deutschsprachigen Autoren und Autorinnen werden nur spärlich übersetzt und jede Sprachregion orientiert sich an den literarischen Neuheiten in ihrer Sprache – unsere Heimat ist unsere Sprache.

Die Genfer Buchmesse ist die grösste literarische Veranstaltung in der Schweiz. Sie entspringt einer anderen Tradition. In der Deutschschweiz kennt man die Solothurner Literaturtage und andere Veranstaltungen wie Lesungen in Theatern oder das literarische Kabarett.

Um den Austausch zu verbessern, müsste man die Übersetzungen zum Beispiel im Bereich der Kriminalliteratur verstärken. Seit drei Jahren existiert der Schweizer Literaturpreis. Das Bundesamt für Kultur würdigt jedes Jahr Autorinnen und Autoren aus allen Sprachregionen und ermöglicht Begegnungen über die Sprachgrenzen hinweg. Doch es bräuchte noch andere Projekte, um die Autoren und Autorinnen in jeder Region bekannt zu machen.

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(Übertragen aus dem Französischen von Christine Fuhrer)

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