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Die Hausbank im Fangnetz der US-Justiz

Reuters

Mindestens zwei Kantonalbanken werden von den US-Behörden verdächtigt, amerikanischen Steuersündern geholfen zu haben. Seither sind viele Stimmen laut geworden, die eine Aufhebung der Staatsgarantie fordern, von der die meisten Finanzinstitute der Kantone profitieren.

“Neues Kapital für die Expansion, Zielmärkte im Ausland, Private Banking für Superreiche. Ein Bonusprogramm für das Kader, ein Effizienzprogramm für den Rest: Die ZKB setzt alles daran, eine richtige Grossbank zu werden.” Mit diesen Worten fasst die Neue Zürcher Zeitung im Januar die Ambitionen der grössten Kantonalbank des Landes zusammen.

Inzwischen ist die Zürcher Kantonalbank aus ganz anderen Gründen in die Schlagzeilen geraten. Sie und die Basler Kantonalbank gehören zu jenen 12 Instituten, welchen das amerikanische Justizdepartement vorwirft, Kunden geholfen zu haben, Hunderte Millionen Dollar vor dem US-Fiskus zu verbergen. Als erschwerender Umstand kommt hinzu, dass gewisse Handlungen nach 2009 stattfanden, also nachdem die Grossbank UBS gebüsst wurde.

Seit einigen Monaten wird spekuliert, dass sich auch andere Kantonalbanken früher oder später im Visier der amerikanischen Justiz wiederfinden könnten.

In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber swissinfo.ch bestreitet die Basler Kantonalbank, jemals zur Steuerhinterziehung Hand geboten zu haben. Ausserdem nehme sie seit Ende März 2009 keine neuen Kunden mit Domizil USA mehr auf.

Bei den ehemaligen Kunden der UBS, die an ihre Tür klopften, habe es sich um Personen gehandelt, “die ihre versteuerten Vermögen zu einer Bank bringen wollten, welche ihnen die gewünschte Sicherheit bot (Bank mit Staatsgarantie)”, schreibt die BKB.

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“Freiwillige” Helfer der US-Steuerbehörden

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Wenige Tage nach der Ablehnung der “Lex-USA” im Parlament, die es Schweizer Banken erlaubt hätte, den US-Behörden die gewünschten Bankdaten zu liefern, ohne Schweizer Recht zu verletzen, präsentierte die Schweizer Regierung anfangs Juli eine Alternative. Sie will den Banken ermöglichen, in eigener Kompetenz am unilateralen Programm der US-Justiz teilzunehmen und damit einer existenzbedrohenden Anklage zu…

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“Alter Zopf”

Abgesehen von den Kantonalbanken Genf und Waadt (partielle Garantie) sowie Bern (gar keine Garantie des Kantons), die in Folge der Immobilienkrise zu Beginn der 1990er-Jahre von den Steuerzahlern mit Milliarden Franken rekapitalisiert werden mussten, profitieren alle Kantonalbanken von einer unbegrenzten Staatsgarantie. Der Investor hat also im Konkursfall die Gewissheit auf eine Rückerstattung zu 100%.

In den Augen vieler Experten hat diese Garantie heute keine Berechtigung mehr. “Es ist ein alter Zopf, der nicht zu einer modernen Universalbank passt”, sagt Carlo Lombardini.

Und Hans Geiger, Bankenprofessor an der Universität Zürich, sagte 2011 in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung Le Temps: “Diese Garantie verursacht Probleme bei der Expansion der Kantonalbanken ins Ausland, weil die Vermögensverwaltung ausländischer Kunden nicht zum Service Public gehört.”

Für Carlo Lombardini ist diese Staatsunterstützung als letzte Hilfe sogar gefährlich: “Weil der Kanton als solider und solventer Aktionär gilt, könnte sich eine Kantonalbank dazu verleiten lassen, sich in riskante Geschäfte zu stürzen.”

Die Kantonalbanken von Zürich und Baselstadt sind nicht die einzigen, die sich von Auslandexpansionen verführen liessen. Die Genfer Kantonalbank zum Beispiel hat Filialen in Dubai und Hongkong. Es gehe vor allem darum, Genfer Kunden zu betreuen, die im Ausland investieren wollten, sagt die Mediensprecherin.

“Wir sind nicht im Fadenkreuz der US-Behörden, und es gibt keinen Grund, weshalb wir künftig wegen unserer Kundschaft da hinein geraten sollten.” Ganz ausschliessen könne diese Gefahr aber kein helvetisches Finanzinstitut, abgesehen vielleicht von ganz kleinen Regionalbanken.

Wie kommt es, dass gewisse Kantonalbanken, die im 19. Jahrhundert zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft gegründet worden waren, heute im Visier der US-Behörden stehen, bedroht von einer saftigen Busse oder sogar von einem Konkurs?

Eine entscheidende Wende kam laut dem Neuenburger Wirtschaftsprofessor Olivier Crevoisier 1992 mit der Entflechtung des Finanzsektors in der Schweiz, die der Banken-Deregulierung in der angelsächsischen Welt folgte: “Einige grosse Kantonalbanken haben danach auf den internationalen Finanzmärkten Investitionen getätigt, wo sie beachtliche Gewinne erzielen konnten. Zwischen 1992 und 2007 liess sich der Wert eines angesehenen Portefeuilles ohne weiteres um den Faktor 9 vermehren!”

Die Rolle des Vermittlers zwischen Sparanlagen und Kreditvergaben in einer bestimmten Region, die traditionsgemäss dem Bankier zufalle, habe sich zum gleichen Zeitpunkt abzuschwächen begonnen, wie die KMU von grossen internationalen Konzernen geschluckt worden seien, sagt Crevoisier.

In den Augen zahlreicher Bankiers war das Hypothekargeschäft, mit dem die Regionalbanken 75 bis 90% ihrer Einnahmen generieren, nicht mehr zeitgemäss. “Unter den grossen Kantonalbanken gab es viele, die der Versuchung nicht widerstehen konnten, lukrativere Geschäfte anzupacken, die beachtliche Boni zu generieren versprachen, wie die Vermögensverwaltung oder das Investmentbanking”, sagt der Neuenburger Professor.

“Verzerrung des Wettbewerbs”

In einem Gespräch mit Le Temps wirft der Zürcher Professor Martin Janssen alle Schweizer Banken in den gleichen Topf: “Das Grundproblem bleibt gleich, ob es sich um die beiden grossen Geschäftsbanken, die PostFinance oder die Kantonalbanken handelt. Diese Institute bezahlen für die direkte oder indirekte staatliche Unterstützung, die ihnen gewährt wird, keinerlei Gebühr. (…) Was die Kantonalbanken betrifft, muss man einen graduellen Rückzug des Staats anstreben.” Dieser Rückzug könnte laut Janssen zu einem Konzentrationsprozess führen, an dessen Ende nur noch zwei oder drei übrig bleiben würden.

Auch zahlreiche Politiker haben im Zusammenhang mit den Machenschaften gewisser Kantonalbanken ihre Stimme erhoben und die Staatsgarantie in Frage gestellt. Der christlichdemokratische Parlamentarier Dominique de Buman sprach in der Sendung Infrarouge des Westschweizer Fernsehens von einer “Wettbewerbsverzerrung”. Und die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) hat in ihrem Communiqué keine Zweifel offen gelassen: “Die Staatsgarantie hat in ihrer gegenwärtigen Form keine Zukunft.”

Zürcher und Basler Politiker verlangen eine Beschränkung der Garantie auf Positionen von Kunden mit Wohnsitz in ihrem Kanton und nur für gewisse Geschäftskategorien.

Gewisse Experten, unter ihnen der Neuenburger Wirtschaftsprofessor Olivier Crevoisier, glauben aber noch an die Zweckmässigkeit der Kantonalbanken und rechtfertigen die Notwendigkeit eines staatlichen Kreditgebers als letzten Retter.

“Natürlich sollte die Staatsgarantie für gewisse Geschäfte im Ausland nicht gültig sein. Aber in einem föderalistischen System kann man auf einen finanziellen Schalthebel nicht verzichten, um die lokale Politik zu unterstützen. Und angesichts des Scheiterns des internationalen Finanzsystems bin ich überzeugt, dass diese Logik der Nähe in den nächsten Jahren wieder aktueller wird”, sagt Crevoisier.

Die St. Galler Kantonalbank (SGKB) hat soeben einen Schritt zurück in diese Richtung getan, als sie die Trennung von der Hyposwiss Private Bank Genève SA ankündigte, um ihre “Strategie auf den Heimmarkt Ostschweiz sowie die Märkte übrige Schweiz und Deutschland zu fokussieren”.

Die SGKB begründet den Entscheid mit “fundamentalen Veränderungen im Vermögensverwaltungsgeschäft sowie steigender Kosten infolge vermehrter Regulierungen”. Diese Fokussierung reduziere auch die unternehmerischen Risiken. Der Steuerstreit der Schweiz mit den USA habe diesen Entscheid nicht beeinflusst, betont die Staatsbank.

Die 24 Kantonalbanken der Schweiz sind zwar unabhängige Finanzinstitute, haben aber insofern Staatscharakter, als sie im Besitz der Kantone sind (Allein- oder Hauptaktionär). Abgesehen von jener des Kantons Jura, die erst mit der Gründung des Kantons 1978 entstand, wurden alle Kantonalbanken im 19. Jahrhundert gegründet.

Ihr Hauptzweck war die Unterstützung der lokalen Wirtschaft durch Vergabe günstiger Kredite und Hypotheken und die Sicherung der Ersparnisse durch sichere Anlagen, sowie die Münzen- und Notenausgabe.

Heute haben die Kantonalbanken mit einer Bilanzsumme von 400 Mrd. Franken einen Marktanteil auf dem Schweizer Bankenplatz von 30%. Die Struktur der Kantonsinstitute ist allerdings sehr heterogen: Die Bilanzsumme der Zürcher Kantonalbank ist 75 Mal grösser als jene der Urner Kantonalbank. Appenzell Ausserroden und Solothurn sind die einzigen Kantone, die keine Kantonalbank mehr haben

Die Kantonalbanken spielten bei der Finanzierung der Unternehmen in ihrer Region keine massgebliche Rolle, schreiben Christian Busch und Christian Wipf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in einem Artikel in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Volkswirtschaft.

“Die Regionalbanken und Sparkassen sowie – in geringerem Umfang – die Kantonalbanken sind fast ausschliesslich im inländischen Hypothekargeschäft tätig”, schreiben die Forscher. Obschon das Hypothekargeschäft auch bei den Grossbanken den grössten Anteil einnehme, sei deren Inlandgeschäft differenzierter.

Dass die Grossbanken die wichtigste Finanzierungsquelle der Unternehmen sind, geht auch aus einer Studie der ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF hervor.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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