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“Ich hoffe, dass die Jungen die Entscheide ihrer Länder beeinflussen”

Luftaufnahme der Seychellen.
Die Seychellen: Ein Paradies, das wie so viele Inselstaaten ernsthaft vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist. DeAgostini/Getty Images

Ronny Jumeau ist Botschafter für Klimawandel und für kleine Inseln der "Dritten Welt" auf den Seychellen. Er nimmt am COP23 teil, um auf die grossen Risiken und Gefahren aufmerksam zu machen, denen sein Land aufgrund des Klimawandels ausgesetzt ist. Und auch um zu unterstreichen, wie wichtig es ist, die Jugend miteinzubeziehen.

Wie nehmen Jugendliche auf den Seychellen den Klimawandel wahr?

Auf den Seychellen unterscheiden wir nicht zwischen Klimaaktivitäten, nachhaltiger Entwicklung und Naturschutz. Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung sind zwei Seiten derselben Medaille. Spricht man auf einer Insel von nachhaltiger Entwicklung, dann spricht man eigentlich vom Überleben.

Deshalb treten die Kinder, sobald sie zur Schule gehen, sogenannten Wildlife-Klubs bei. Sie nennen sich dann Öko-Krieger. Das ist hier am COP23 sichtbar: Die Menschen der Pazifik-Inseln sind Krieger, nicht Opfer. In der Grund- und Sekundarschule setzen sich die Jungen gleichermassen mit Klimawandel, nachhaltiger Entwicklung und dem Schutz der Meere auseinander. Sie lernen, sich zu diesen verschiedenen Themen klar auszudrücken. An der Universität gibt es weitere Gruppen, die sich für den Klimaschutz einsetzen.

Swiss Youth for ClimateExterner Link wurde 2015 als politisch unabhängiger Verein gegründet. Er hat zum Hauptziel, jungen Menschen in der politischen Debatte über den Klimawandel eine Stimme zu geben.

Inwiefern wirkt sich der Klimawandel speziell auf Jugendliche aus? Und in welcher Form beteiligen sie sich an der Klimapolitik?

Der Klimawandel bedroht nicht nur ihre Zukunftsmöglichkeiten, beispielsweise die Aussicht auf eine anständige Arbeit. Er bedroht auch ihr Leben. Die Regierung der Seychellen fragt die Jungen, wie sie die künftige Entwicklung ihres Landes sehen. Sie werden nach ihrer Meinung zu den Meeren, zu Klimawandel, Tourismus, Fischfang und Armut gefragt. So schaffen wir Bewusstsein und stärken junge Menschen.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Schauen Sie sich unsere Delegation hier in Bonn an. Wir betrachten die jungen Mitglieder nicht als “Jungdelegierte”. Vielmehr sind sie junge Bürger und Teil der Delegation. Sie geben Anregungen und nehmen an den Aktivitäten der Delegation teil. So sehen echte und konkrete Beiträge von Jugendlichen zu den Verhandlungen aus. In kleinen Ländern wie den Seychellen kriegen Jungendliche schon früh Positionen und Möglichkeiten – viel früher als in grossen Ländern. Sie müssen schnell erwachsen werden.

Eine Frau macht mit einem Mann an einem Tisch sitzend ein Interview.
Am COP23 in Bonn im Gespräch über die Rolle der Jugendlichen in der Klimapolitik: Seychellen-Botschafter Ronny Jumeau und Anaïs Campion, Mitglied der Delegation von Swiss Youth for Climate. Marine Decrey

Aus Ihrer Sicht ist es also wichtig, junge Menschen in den UNFCC-Prozess miteinzubeziehen?

Natürlich! Wir bilden hier hoffentlich die nächste Generation von Verhandlungsführern aus. Sie profitieren von meiner Erfahrung und meinem Wissen, um einmal bessere Verhandlungsführer zu werden, als ich einer bin. Wenn ich Sie ansehe, sehe ich mich in jungen Jahren. Wenn ich Sie ansehe, sehe ich hoffentlich eine bessere Version meiner Person in der Zukunft. Deshalb habe ich ein Interesse daran, Sie zu befähigen.

Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die jungen Menschen von den Seychellen. Vielmehr zähle ich darauf, dass hoffentlich alle jungen Bürger die Entscheidungen ihres Landes beeinflussen. Der Klimawandel ist kein Spass. Aber der Klimaschutz hat viele positive Aspekte.

So oder so sieht die “Bula zone” – dort wo am COP23 die Verhandlungen stattfinden – eher  aus wie eine inaktive Zone: Wir haben uns auf einen Text geeinigt (das Pariser-Abkommen), und jetzt sind wir uns über seine Umsetzung nicht einig. Zuvor waren wir uns nicht einig darüber, was wir umsetzen wollen. Zumindest haben wir schon mit dem Aktions-Teil begonnen.

Was erwarten Sie von Jugendlichen aus der westlichen Welt in Bezug auf Klimaschutzmassnahmen (Minderung, Anpassung und Finanzierung)?

Sie sollten sich an die Klimaminister ihres Landes wenden. Junge Menschen grosser Länder hier am COP23 sollten nach Hause gehen und dem Vorstand ihrer Universität vorschlagen: “Warum nicht die fossilen Brennstoffe veräussern?” (Anm.d.Red.: Swiss Youth for Climate ist in der Tat aktiv in Desinvestitionskampagnen, so zum Beispiel an der ETH). Solche Dinge gilt es zu tun. Wichtig ist aber nicht der Lärm an sich, sondern die Reaktion darauf. Ansonsten handelt es sich nur um noch mehr Lärm.

Früher fragten mich Menschen: “Sind sie wütend auf den Westen?” Es gibt Tage, da bin ich es, an anderen bin ich es nicht. Es gibt aber Dinge, die unverständlich sind. Indien beispielsweise versucht, Menschen aus der Armut zu befreien. Da es 400 Millionen Menschen gibt, die keinen Zugang zu Elektrizität haben, verbrennen sie Kohle. Aber weshalb muss man Kohle verbrennen, um an Strom zu kommen?

Was halten Sie vom Argument einiger Entwicklungsländer, es sei nun an ihnen, sich zu entwickeln?

Es ist in der Tat an ihnen – aber nicht indem sie den gleichen Weg einschlagen. Sie können jedoch niemandem sagen, dass er einen anderen Weg gehen soll, wenn Sie ihm dabei nicht helfen.

Früher fragten mich Menschen: ‘Sind sie wütend auf den Westen?’ Es gibt Tage, da bin ich es, an anderen bin ich es nicht.

Wie können wir sicherstellen, dass sie einen anderen Weg gehen?

Es müssen finanzielle Mittel für den Klimaschutz bereitgestellt werden. Auch gilt es den Technologietransfer zu fördern. An Letzterem sind die Regierungen nicht interessiert, denn Technik ist im privaten Sektor angesiedelt.

Wie denken Sie über die Probleme rund um den Ozean?

Meere sind der Haupttreiber des Klimas. Ohne Beachtung dieser Tatsache kann man nicht handeln. Wir als Inselvolk setzen uns auch mit nachhaltiger Entwicklung auseinander, wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane angehen.

So sind beispielsweise Korallenriffe wichtig für die Fischerei und den Tourismus. Gleichzeitig sind sie aber vom Klimawandel betroffen. Daher müssen wir die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme gegen den Klimawandel stärken, sowohl an Land als auch – und vor allem – auf dem Meer.

Die Seychellen haben vor einigen Monaten beispielsweise Einwegkunststoffe verboten. Das war nur dank dem Druck der Jugend möglich. Viele dieser Jugendlichen sind nun auch hier am COP23 anwesend. Sie sehen, junge Menschen machen nicht nur Lärm. Sie setzen die Regierung unter Druck, damit diese Massnahmen zum Klimaschutz ergreifen.

(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)

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