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Mykhailo Fedorov: Ein digitaler Marshallplan für die Ukraine

Mykhailo Fedorov
Die Ukraine soll ein "europäisches Israel" werden, schwebt Mykhailo Fedorov, dem Minister für Digitalisierung vor. © Keystone / Alessandro Della Valle

Beim Wiederaufbau der Ukraine muss es auch um die Digitalisierung staatlicher Institutionen gehen. Das sagte der zuständige Minister Mykhailo Fedorov an der Ukraine Recovery Conference in Lugano.

Digitalisierung ist eines dieser Schlagwörter, die sich längst im Vokabular moderner Politiker:innen etabliert haben. Die russische Invasion in der Ukraine zeigt nun, wie digitale Mittel – abseits von Cyberkriegsführung und Militärtechnologie – im Kriegsfall eingesetzt werden können.

Obwohl viele nach dem Einmarsch der russischen Armee den Kollaps der ukrainischen Regierung erwarteten, hält sich diese nach vier Monaten noch immer. “Und wir treiben die Digitalisierung unserer Verwaltung trotz der Kämpfe weiter voran.” Das war die Message von Mykhailo Fedorov, dem Minister für digitale Transformation, der an der Ukraine Recovery ConferenceExterner Link über die Herausforderungen seines Ministeriums beim geplanten Wiederaufbau sprach. Der 31-Jährige war Teil der ukrainischen Delegation in Lugano – die grösste, die seit der Invasion ins Ausland gereist ist.

Und diese Nachricht übermittelte er so, wie man die Kommunikation der ukrainischen Behörden seit Kriegsbeginn kennt: Hip, optimistisch, multimedial. Seine Präsentation ginge locker als Ted Talk durch und zeigt auf, weshalb die Ukraine zumindest im Westen die Propagandaschlacht gewinnt.

Die Medienmacht der Ukraine

Das hat eben mit jungen Techno-Predigern wie Fedorov zu tun: Der frühere IT-Geschäftsmann ist langjähriger Gefährte des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, Leute wie er stehen hinter dem Erstarken der Tech-Branche, der in den letzten Jahren in der Ukraine stattgefunden hat.

Fedorov setzt auch soziale Medien geschickt ein: So übte er online grossen Druck auf westliche Tech-Firmen aus, sich aus Russland zurückzuziehen – mit einigem Erfolg: Apple, Google und Meta haben Russland darauf verlassen. Fedorov war es auch, der Elon Musk über Twitter dazu aufrief, der Ukraine mittels dessen Satellitennetzwerks Starlink den Internet-Anschluss zu sichern. Musk lieferte: Teilweise sind die Internetverbindungen nun schneller als vor der Invasion.

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Fedorov ist seit 2019 zuständig für das digitale Aushängeschild der ukrainischen Regierung: die E-Government-App Diia. Mit ihr sollten bis 2024 die gesamten staatlichen Dienstleistungen über das Smartphone abgewickelt werden können.

Das ambitionierte Projekt musste schon früh an die Anforderungen des Krieges, der seit 2014 andauert, angepasst werden: Intern Vertriebene aus dem Donbass und der Krim konnten etwa ihren Besitz in den besetzten Gebieten registrieren oder Neugeborene als Bürger:innen von dort eintragen lassen.

Manche Nachbarländer der Ukraine akzeptieren seit Kurzem beim Grenzübergang und der Registrierung die digitalen Ausweise von Flüchtlingen, die ihre Dokumente in den Kriegswirren verloren – die Ukraine ist das erste Land, dass die elektronische ID vollumfänglich benutzt.

Daneben spielt Fedorovs Ministerium auch bei der Beschaffung von finanziellen Mitteln eine wichtige Rolle. Mithilfe der Plattform United24Externer Link beispielsweise wurde ein Fundraising gestartet, um militärische und medizinische Güter zu beschaffen. Denn das Land braucht Geld: Die Exporte sind im März und April im Vergleich zur Vorjahresperiode um die Hälfte eingebrochen, die Ausgaben für Verteidigung und Aufbau zerstörter Infrastruktur sind rapide angestiegen.

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Die Umstellung auf die Kriegs-Prioritäten erfolgte rasch: Die Diia-App streamt nun Nachrichten, verschickt Alarm-Botschaften, und Bürger:innen können Schäden an ihren Häusern registrieren oder sich für finanzielle Hilfe anmelden. Selbst deren Auszahlung erfolgt über die App.

Zudem können Zivilist:innen mithilfe eines Chatbots Aufnahmen von russischen Truppenbewegungen hochladen – offenbar eine hochwertige Informationsquelle für das ukrainische Militär. Stolz sprach Fedorov auch von der “IT army”, die aus Freiwilligen besteht und mithilft, russische Cyberattacken abzuwehren und Webseiten russischer Behörden gehackt hat.

Der “digitalste Staat” der Welt

In Lugano hat Fedorov die Initiative Digital4Freedom präsentiert, die nichts weniger zum Ziel hat, als die Ukraine innerhalb von drei Jahren zum “most digital state” zu machen. Der Minister sprach von einem digitalen Marshallplan, der nötig sei, um die zerbombte Infrastruktur in seinem Land wieder herzustellen und auf die nächste Stufe in der Tech-Welt hochzuheben.

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Eine erste Kostprobe gab es beim Rahmenprogramm der Wiederaufbau-Konferenz: Gemeinsam mit drei ukrainischen Telekommunikations-Unternehmen unterzeichnete Fedorov ein Memorandum, bei dem diese 13 Millionen US-Dollar für den digitalen Wiederaufbau sprachen. “Ein erster Vertrauensbeweis, der über unsere Grenzen hinaus wichtig ist”, sagte Fedorov.

Private westliche Unternehmen sollen es denn auch sein, die der Ukraine technologische Impulse geben sollen – und in Zukunft Arbeitsplätze in das Land verlagern sollen. Staat und Big Tech sollen künftig aufs engste verzahnt werden. “Wir wollen die Ukraine zu einem europäischen Israel machen”, liess er die Journalist:innen wissen.

Die Rolle der Schweiz

Dass der Kick-Off für den digitalen Marshallplan nun in Lugano erfolgte, ist ein interessanter Zufall. Denn im Rahmen ihrer Ostzusammenarbeit hat sich die Schweiz schon früh in der Ukraine engagiertExterner Link – sei es bei der grossen Dezentralisierungsreform, oder bei der Friedensförderung. Spezifisch aber auch bei der Digitalisierung: Diverse E-Government-ProjekteExterner Link sollten der Bevölkerung den Zugang zu Informationen erleichtern und die Korruption bekämpfen, zwei langjährige Probleme der Ukraine.

“In gewissen Bereichen sind wir der Schweiz digital voraus”, sagte Fedorov, etwa in der Verwaltung. Bei anderen könne man aber viel lernen, etwa bei digitalen Finanzinstrumenten oder bei der E-Democracy. Der Besuch war für ihn nun eine gute Gelegenheit, diesbezüglich Kontakte zu knüpfen. Unter den 1000 Teilnehmer:innen der Konferenz waren viele aus der Wirtschaft- und Tech-Branche vertreten.

Der junge Minister geizt nicht mit Superlativen, wenn er die digitale Zukunft seines Landes beschreibt, und seine Vision klingt streckenweise hochtrabend – immerhin befindet sich das Land mitten in einem verlustreichen Abnützungskrieg, der enorme Ressourcen bindet. Aber: Er hat zumindest einen Plan – und alle Zuversicht, dass er damit durch die Zeit des Kriegs kommt.

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