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WTO hat nach Bali wieder mehr Selbstvertrauen

Handschlag nach den Verhandlungen: WTO Generaldirektor Roberto Azevedo (links) und der Vorsitzende der Konferenz Gita Wirjawan. Reuters

In Indonesien habe der Welthandels-"Gendarm" neuen Schwung erhalten, sagt Luzius Wasescha. Der ehemalige Schweizer Chefunterhändler bei der WTO plädiert für neue Verhandlungen und einen Fahrplan, der im Januar 2014 in Davos skizziert werden könnte.

Nach der Einigung von Bali können die 159 Mitglieder der Welthandels-Organisation WTO (160, mit Jemen, das im Begriff ist, der WTO beizutreten) mit einer neuen Verhandlungsdynamik rechnen. Dabei wird es um jene Themen der 2001 lancierten Doha-Runde gehen, die mit dem Bali-Paket nicht erfasst wurden. Neben weiteren, neuen Themen, welche die alteingesessenen Industriestaaten aufs Tapet bringen wollen.

Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg, schätzt der ehemalige Schweizer Verhandlungsführer Wasescha, der bei der WTO auch den Verhandlungsausschuss zum Marktzugang für Industriegüter präsidiert hatte.

swissinfo.ch: Was bedeutet die Einigung von Bali für die WTO?

Luzius Wasescha: Für die Organisation ist von Bedeutung, dass man auf dem Weg von Verhandlungen unter den Mitgliedern zu einer Einigung gekommen ist. Was sehr lange nicht mehr der Fall gewesen war. Die Unterhändler in Genf und den Hauptstädten konnten wieder Selbstvertrauen schöpfen, auch wenn das nun geschnürte Paket in der Substanz bescheiden ist.

Ohne diese Einigung wären wir vor einer langen Agonie der WTO gestanden.

Es war ein Wendepunkt, der Hoffnungen aufkommen lässt, dass die restlichen Themen der Doha-Runde, Tranche um Tranche, wieder aufgenommen werden. Ich hoffe zudem, dass die WTO – ohne dass es zu einer Art Religionskrieg kommt – über weitere Herausforderungen diskutieren können wird, vor denen der Welthandel steht: Themen wie Investitions-Vorschriften, Wettbewerbsfragen, oder die Auswirkungen internationaler Wertschöpfungsketten, welche die Produktion einer Vielzahl von Gütern prägen, wie zum Beispiel unsere elektronischen Apparate oder Autos.

Alliance Sud ist die Arbeitsgemeinschaft der wichtigsten entwicklungspolitischen Organisationen der Schweiz. Isolda Agazzi, bei Alliance Sud verantwortlich für das Dossier Handel, begrüsst die Einigung von Bali, insbesondere die Klausel, die es Indien erlauben wird, ein Programm für Ernährungshilfe pro Jahr mit geschätzten 20 Mrd. Dollar an subventionierten Landwirtschaftsprodukten zu unterstützen.

Isolda Agazzi kritisiert aber die alteingesessenen Industriestaaten: “Die Entwicklungsländer wollen die Doha-Runde in erster Linie abschliessen, um die Landwirtschafts-Subventionen zu eliminieren. Solange dies nicht passiert, müssen sich die Industrieländer davor hüten, Themen wieder aufs Tapet zu bringen, welche die Länder des Südens schon vor mehr als zehn Jahren zurückgewiesen haben, wie die Liberalisierung der Investitionen, des Wettbewerbs über das öffentliche Auftragswesen und staatliche Beihilfen.

Die Länder des Südens sollten sich hüten, in kleineren Gruppen Verträge auszuhandeln, mit denen sie letztlich gegeneinander ausgespielt werden, wie es derzeit beim internationalen Dienstleistungs-Abkommen (TISA) geschieht.”

swissinfo.ch: Wurde die WTO durch die Bali-Einigung nachhaltig gestärkt?

L.W.: Die wiedergefundene Dynamik sollte die Verhandlungsführer ermutigen, für die in zwei Jahren geplante nächste Ministerkonferenz ein neues Paket vorzubereiten.

Was die von der Schweiz für Davos organisierte Mini-Ministerkonferenz angeht: Es wäre gut, wenn der Schweizer Wirtschaftsminister anregen würde, für die nächste Ministerkonferenz einen Fahrplan zu erstellen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Industriestaaten den Doha-Katalog mit neuen Elementen ergänzen möchten, während Länder wie Indien dem ablehnend gegenüberstehen.

swissinfo.ch: Wer sind die Gewinner des Bali-Pakets?

L.W.: Die grossen Gewinner sind die wichtigsten Importeure und Exporteure mit dem Abkommen über Erleichterungen bei den Zollabfertigungen. Dank diesem Abkommen wird es zum Beispiel möglich, Zollgebühren online zu bezahlen sowie eine Vielzahl von Verfahren online abzuwickeln, was bisher nicht möglich war.

swissinfo.ch: Und was haben die ärmsten Länder in Bali gewonnen?

L.W.: Die im Abkommen erwähnte Abschaffung der Zölle wurde schon bei der WTO-Ministerkonferenz in Hongkong 2005 geplant und wurde seither zu 96,5% umgesetzt.

Aufrecht erhalten bleiben die amerikanischen Zollschranken gegenüber Bangladesch und Kambodscha auf Baumwollprodukten. Und zwar, um den Handel zwischen den USA und den afrikanischen Ländern nicht zu stören, die einen privilegierten Zugang zum amerikanischen Markt haben. Um die Spielregeln zu ändern, braucht es einen Entscheid des US-Kongresses, wo Präsident Obama über keine genügende Mehrheit verfügt.

swissinfo.ch: Ist die Einigung für die Schweiz durchgehend positiv?

L.W.: Ja, genau. Das Engagement zum Abbau der Exportsubventionen geht auf die Ministerkonferenz in Hongkong 2005 zurück. Das Problem der Importquoten betrifft uns nicht, da wir die festgelegten Quoten respektieren.

swissinfo.ch: Das Dossier Landwirtschaft sorgt weiter für Blockaden. Wieso?

L.W.: Grosse Exporteure (wie Argentinien, Brasilien, Australien, Indien) halten an ihren Forderungen zum Abbau der Agrarschranken fest, ohne im Gegenzug zu Eingeständnissen bereit zu sein bei Dienstleistungen, beim Zugang zum Markt für nicht-landwirtschaftliche Produkte [Non-Agricultural Market Access, NAMA], bei Umweltdienstleistungen. Worauf ihrerseits die Netto-Agrarimporteure beharren.

swissinfo.ch: Man spricht jetzt von einem Gewinn von mehr als 1000 Milliarden für die Weltwirtschaft? Eine glaubwürdige Ziffer?

L.W.: Bei diesen Schätzungen muss man Vorsicht walten lassen, denn diese Einigung muss zuerst von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, und die Exporteure müssen die neuen Verfahren erst anwenden. Für die Umsetzung sollte ein administrativer Beschluss eigentlich ausreichen. Aber es dürfte zwei, drei Jahre dauern, bis die wichtigsten Akteure diese neuen Verfahren anwenden.

swissinfo.ch: Was sind die Auswirkungen von Bali auf die beiden regionalen Abkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) einerseits, und den USA und den pazifisch-asiatischen Ländern andererseits?

L.W.: Durch die Einigung zur Vereinfachung der Zollverfahren gibt es bei der Annäherung zwischen den USA und der EU ein Hindernis weniger.

Was das trans-pazifische Abkommen betrifft, ist die Landwirtschaft das grosse Problem. Japan hat wissen lassen, dass es seinen Agrarsektor nicht vollständig liberalisieren will.

Das zweite Problem ist, dass sich dieses Abkommen gegen China richtet. Doch China ist für die meisten der amerikanischen Partner der Hauptlieferant. Das amerikanische Manöver ist es, ein Abkommen mit schwachen Partnern abzuschliessen, um diesen ihre Sicht aufzudrängen. Danach wollen sie die Chinesen einladen, und den Europäern die gleichen Lösungen präsentieren. Diese Methode hat jedoch nur wenig Aussicht auf Erfolg.

swissinfo.ch: Man spricht auch über ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und Indien. Respektiert die Schweiz in diesen bilateralen Abkommen die WTO-Regeln?

L.W.: Die Schweiz versucht, auf bestehendem WTO-Recht aufzubauen, um etwas weiter zu gehen.

Was Indien angeht, die Verhandlungen wurden 2009 aufgenommen und die Schweiz möchte rasch zu einem Abschluss kommen. Doch die Pharmaindustrie ist dagegen, weil das Thema geistiges Eigentum bei den Verhandlungen ausgeklammert wurde.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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