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Wirtschaftsbeziehungen Deutschland-Schweiz getrübt

Keystone

Nicht genug, dass die Wirtschaftskrise die deutsch-schweizerischen Handelsbeziehungen nach dem Rekordjahr 2008 nun mit aller Härte trifft. Zusätzlich drohen die bilateralen Ungereimtheiten im Finanz- und Steuerbereich auch den Wirtschaftsverkehr zu erschweren.

Der schweizerisch-deutsche Wirtschaftsverkehr ist im letzten Herbst innert wenigen Monaten vom Boom in die Rezession gefallen. Und zwar auf allen Ebenen: Im Güter- und Warenverkehr sowie bei Dienstleistungen und Direktinvestitionen. Erschwerend kommt diesmal dazu: Im gleichem Tempo, wie sich die Handelsströme abkühlten, erhitzten sich die Gemüter in der Politik.

Auch was den Personenverkehr respektive die Wanderbewegungen betrifft, schwächten sich gegen Ende 2008 die Wachstumsspitzen der vergangenen Jahre ab: Nur noch 400 Schweizer wanderten nach Deutschland aus, so dass zur Zeit dort knapp 75’500 Auslandschweizer leben.

Die Zahl der Deutschen in der Schweiz stieg um 15,6%. In der Schweiz gibt es jetzt 233’000 Deutsche. Dies entspricht 14% aller Ausländer.

Deutschland grösster Wirtschaftspartner der Schweiz

Die Handelskammer Deutschland Schweiz ruft zur Besonnenheit auf. “Es ist langfristig nicht ganz auszuschliessen”, so Handelskammer-Präsident Eric Sarasin Anfang Woche in Zürich, “dass eine Beeinträchtigung des Wirtschaftsverkehrs stattfindet, wenn die gesamte Atmosphäre durch polemische Äusserungen aufgeheizt wird.”

In Deutschland würden die Probleme mit der Schweiz viel weniger thematisiert als in der Schweiz die Probleme mit Deutschland. Was verständlich ist, denn Deutschland sei für die Schweiz mit Abstand der grösste Wirtschaftspartner.

20% der Schweizer Gesamtexporte gehen nach Deutschland. Aus deutscher Perspektive gehen immerhin fast 4% der Ausfuhren in die Schweiz. Die Schweiz figuriert damit als deutscher Exportmarkt Nr. 10.

Bürokratisches Ungemach auf beiden Seiten

Die Kammer fordert dazu auf, gerade in der Wirtschaftskrise die Unternehmen von atmosphärischen Störungen und weiteren administrativen Lasten zu befreien.

Zu diesen zählt zum Beispiel die Kautionspflicht für EU-Unternehmen in der Schweiz bei Einsätzen von weniger als 90 Tagen: Seit wenigen Tagen verlangt der Kanton Baselland, um mögliches Lohndumping dieser ‘Entsendefirmen’ zu unterbinden, eine Kaution von EU-Firmen, die eine Auftragssumme von 2000 Franken und mehr erhalten.

Die Kautionssumme kann bis 20’000 Franken betragen und wird von den Kantonsbehörden in Anspruch genommen. Dies für den Fall, dass das EU-Unternehmen schweizerische Regeln missachtet und gebüsst wird.

Einmal mehr OECD-Standards

Doch auch auf deutscher Seite baut man an neuen bürokratischen Hürden. So gibt es Bestrebungen, ein “Steuerhinterziehungs-Bekämpfungsgesetz” zu erlassen. Zwar glaubt Sarasin nicht, dass es eingeführt wird. Sollte dies dennoch der Fall sein, drohen deutschen Unternehmen und Privatpersonen Beeinträchtigung und zusätzliche Kosten bei Geschäftskontakten in Länder, die den OECD-Standard zum Informationsaustausch nicht einhalten.

Diese Unternehmen und Privatpersonen wären dann in Deutschland erweiterten Informationspflichten bis hin zur Konteneinsicht unterworfen. Sonst laufen sie Gefahr, Betriebsaufwendungen und Werbungskosten nicht abziehen zu dürfen.

Laut Sarasin würde dies besonders Tochtergesellschaften, Betriebsniederlassungen und Repräsentanzen betreffen, die im Wirtschaftsverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz eine erhebliche Rolle spielen: Schliesslich ist die Schweiz in Deutschland der sechstwichtigste und Deutschland in der Schweiz der fünftwichtigste Direktinvestor.

Hier zeigt sich, wie sich die Unstimmigkeiten im Finanzsektor über die Steuerfragen direkt auf die reale Wirtschaft auswirken.

Aussichten: Minuswerte im zweistelligen Bereich

Die Handelskammer erwartet für 2009 beim Wirtschaftsverkehr “im günstigen Fall Minuswerte von unter 10% am Jahresende”. Bereits in den beiden ersten Monaten des Jahres 2009 ist der Handelsaustausch um fast 20% eingebrochen.

Beziehungsnetz in Takt

Nach wie vor in Takt sei “das ausgezeichnete und enge Beziehungsnetz zwischen Herstellern, Händlern und Käufern”, betont Handelskammer-Direktor Ralf Bopp. Marktnähe, leichte Verständigung, vergleichbare Geschäftsgewohnheiten, ähnliche Rechtsauffassungen würden ebenso geschätzt wie Kontraktsicherheit, Qualität und Liefertreue.

swissinfo, Alexander Künzle, Zürich

Auf Deutschland entfielen 2008 20,3% der gesamten Schweizer Exporte.

An zweiter Stelle folgen die USA mit 9,4%.

Mit 41,8 Mrd. Franken erreichten die Ausfuhren nach Deutschland auch 2008 nochmals ein Spitzenresultat.

2008 wurde aber nur noch ein bescheidenes Plus von 1,5% erreicht – gegenüber 14% in den beiden Vorjahren.

Die Schweiz importierte 2008 für 64,8 Mrd. Franken aus Deutschland (+4,2%, gegenüber +12,9% im Vorjahr).

Bei den Importen dominiert Deutschland stärker als bei den Exporten: Der Importanteil (aus Deutschland) beträgt 34,7%.

An zweiter Stelle als Importland figuriert Italien mit 11,4%.

Knapp mehr als die Hälfte aller Ein- und Ausfuhren der Schweiz mit Deutschland entfallen auf wenige grosse und dynamische Bundesländer.

Der Handelsverkehr wickelt sich also vornehmlich mit Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern ab.

Der Wirtschaftsverkehr besteht heute immer mehr auch aus Dienstleistungen, nicht nur aus Gütern und Waren.

2008 nahm die Schweiz aus exportierten Dienstleistungen 13 Mrd. Franken ein – das macht fast einen Drittel der gesamten Ausfuhren aus.

Aus Deutschland bezog die Schweiz Dienstleistungen in der Höhe von 8,8 Mrd. Franken.

Der Reiseverkehr ist zwar eine Dienstleistung, wird aber separat ausgewiesen.

Deutschland ist für die Schweiz zur ersten Reisedestination geworden – noch vor den Tourismusländern Frankreich und Italien.

Deutschland registrierte 2008 3,7 Mio. Logiernächte aus der Schweiz (+2,2%).

Die deutschen Touristen stellen in der Schweiz traditionell den höchsten Anteil an ausländischen Logiernächten. 2008 waren es 6,3 Mio. (+3,8%).

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