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Wir werden nie auf dem Mars leben

Sylvia Ekström und Javier G. Nombela

Nach einem bahnbrechenden Jahr für die Erforschung des Roten Planeten argumentieren die Astrophysikerin Sylvia Ekström von der Universität Genf und der Designer Javier Nombela, dass wir unsere Reisen zum Mars den Robotern überlassen sollen – und werden.

Können Menschen eine Reise zum Mars aushalten?

Millionen von Jahren der Evolution auf der Erde formten den menschlichen Körper. Er ist daher perfekt an eine Umgebung angepasst, die einem bestimmten Schwere- und Druckwert unterliegt und durch den doppelten Schutz der Erdatmosphäre und Magnetosphäre vor solarer und galaktischer Strahlung geschützt ist. Verlässt er diese Umgebung, ist er grossen physiologischen Belastungen ausgesetzt.

Das erste Problem ist die Mikrogravitation, die viele Folgen hat:

  • Entkalkung der Knochen: Astronautinnen und Astronauten verlieren zwölfmal schneller an Knochenmasse als eine Frau nach der Menopause.
  • Verlust von Muskelmasse: Das Leben in der Schwerelosigkeit ist zu leicht für unsere Muskeln und sie schmelzen weg.
  • Schwächung des Herzens: Da das Pumporgan sich weniger anstrengen muss, wird es schwächer und runder.
  • Flüssigkeiten (Blut, Lymphsystem) fliessen in die oberen Körperregionen. Unser gesamtes vaskuläres System ist darauf ausgelegt, gegen die Schwerkraft anzukämpfen und nach oben zu pumpen, was es auch dann noch tut, wenn die Schwerkraft weg ist.
  • Thrombosegefahr: Als Folge der beiden oben genannten Punkte zirkuliert das Blut weniger schnell und kann gerinnen.
  • Störung des Innenohrs: Unser Gleichgewichtsorgan funktioniert dank des Gewichts kleiner Kristalle auf den Haarzellen, und ohne Schwerkraft geht das verloren.

Ist die Erforschung des Mars die Kosten und das Risiko wert? Werden wir jemals den ersten Mann oder die erste Frau auf der Oberfläche des Roten Planeten sehen?

Diskutieren Sie live mit der Astrophysikerin Sylvia Ekström und Astronaut Pierre!

Stossen Sie am 15. April, 16:30 MESZ, online dazu. Registrierung hierExterner Link.

Dem Verlust von Muskelmasse und der Schwächung des Herzens kann teilweise durch diszipliniertes Training entgegengewirkt werden. Auf der ISS absolvieren die Astronautinnen und Astronauten täglich zwei Stunden intensives Fitnesstraining (Ausdauer- und Krafttraining), dennoch sind sie sehr geschwächt, wenn sie zur Erde zurückkehren.

Die Entkalkung der Knochen wird durch das Krafttraining ebenfalls verlangsamt, bleibt aber trotzdem eines der besorgniserregendsten Probleme für die Gesundheit potenzieller Mars-Astronautinnen und Astronauten: Ein Knochenbruch auf dem Mars könnte schnell tödlich enden. Auch Durchblutungsstörungen gelten als extrem gefährlich.

Schwerkraft, Strahlung und die menschliche Psyche

Könnte die Schwerkraft auf dem Mars simuliert werden? Es ist theoretisch möglich, mit einem Rotationssystem durch die Fliehkraft eine Beschleunigung zu erzeugen, die der Schwerkraft entspricht. Leider ist auf einer Raumsonde nicht genug Platz, um eine Zentrifuge einzubauen, in der die Kosmonautinnen und Kosmonauten einige Stunden pro Woche verbringen könnten. Das würde bereits ausreichen, um die physiologischen Schäden der Mikrogravitation zu reduzieren.

Könnte das ganze Raumschiff selbst gedreht werden? In Hollywood, ja! Aber im wirklichen Leben ist es nicht so einfach. Ein sich drehendes Raumschiff würde zwar alle mit der Schwerelosigkeit verbundenen Probleme lösen. Doch keine Raumfahrtbehörde setzt darauf. Das zeigt: Es liegt konzeptionell, technisch und finanziell völlig ausserhalb unserer Reichweite.

Das zweite grosse Problem, mit dem sich potentielle zukünftige Mars-Astronautinnen und Astronauten konfrontiert sehen, ist die Strahlung im Weltraum. Der doppelte Schutz der Erde (Atmosphäre und Magnetosphäre) blockiert oder lenkt UV-Strahlen teilweise und blockiert Röntgen- und Gammastrahlen sowie Sonnenwindteilchen und kosmische Strahlung vollständig. Dieser Schutz ist vergleichbar mit dem einer 30 Meter dicken Betonwand oder einer 80 Zentimeter dicken Bleimauer.

Sobald sie diese natürliche Barriere verlassen, müssen Astronauten und Astronautinnen auf andere Weise geschützt werden: durch die Isolierung des Raumschiffs und/oder durch individuelle Schutzschilde. Trotz dieser Schutzmassnahmen wird geschätzt, dass die Mars-Astronauten und Astronautinnen im Laufe ihrer Mission der maximal zulässigen Strahlung für die gesamte Karriere eines Astronauten ausgesetzt wären, etwas mehr als der Hälfte davon alleine während des Hin- und Rückfluges.

Ein drittes grosses Problem, das die Raumfahrtagenturen identifizierten, ist die menschliche Psychologie. Der französische Astronaut Thomas Pesquet nennt ein gutes Beispiel für den psychologischen Druck, dem Astronautinnen und Astronauten auf der ISS ausgesetzt sind: Sie wissen, dass es während ihres Aufenthalts unweigerlich Probleme geben wird, aber sie wollen nicht die Person sein, die sie verursachen.

Der Druck auf eine Mars-Besatzung wäre unendlich viel grösser, da ihnen im Falle eines grösseren Problems keine Hilfe zur Verfügung stünde. Auf der ISS können die Astronautinnen und Astronauten innerhalb von drei Stunden zur Erde zurückgebracht werden. Die Mars-Reisenden wären für die zweieinhalb Jahre ihrer Mission auf sich allein gestellt und wüssten, dass der kleinste Fehler oder das geringste Versagen, ob technisch oder menschlich, den Tod der gesamten Besatzung bedeuten könnte.

Es ist unmöglich, eine solche psychologische Situation auf der Erde zu testen. Das psychologische Isolationsexperiment Mars 500 der Europäischen Raumfahrtagentur entwickelte Methoden zur Konfliktlösung, ist aber keineswegs repräsentativ für die realen Bedingungen einer Reise zum Mars.

Können Menschen einen Aufenthalt auf dem Mars aushalten?

Der Mars ist kein bewohnbarer Planet. Das ist keine übertriebene Aussage. Ein normales Leben für Organismen wie den unseren ist auf dem Roten Planeten unmöglich. Das Hauptproblem ist die schwache Atmosphäre auf dem Mars: Auf Meereshöhe hat er 0,6 % des Erddrucks, was dem Erddruck in einer Höhe von 35 Kilometern entspricht. Das bedeutet, dass auf dem Mars kein Wasser in flüssigem Zustand zu finden ist. Die oberste Schicht des Planetenbodens ist mit Regolith (Gesteinsstaub) bedeckt, von dem kürzlich entdeckt wurde, dass er mit Perchloraten kontaminiert ist, die für lebende Organismen sehr schädlich sind.

Um unter solchen Bedingungen überleben zu können, müsste eine bewohnbare Kapsel gebaut werden, die eine Reihe von Funktionen erfüllen könnte: Wiederherstellung einer lebensfähigen Atmosphäre mit dem richtigen Mass an Sauerstoffanreicherung, Aufrechterhaltung eines Drucks, der die Integrität des menschlichen Körpers bewahrt, Schutz vor Strahlung und Versorgung mit den täglichen Bedürfnissen.

Die Grösse der Kapsel würde von der Anzahl der Personen und der Dauer des Aufenthalts abhängen. Als Minimum bräuchten Astronauten einen Druck-Raumanzug, der das Überleben einer Person für einige Stunden ermöglicht (wie bei einem Weltraumspaziergang ausserhalb der ISS oder auf dem Mond). Für mehrere Personen über eine Dauer von mehreren Monaten muss die Kapsel die Grösse einer kompletten Wohnung haben (inklusive Küche, Ruheräume, Sanitäranlagen, etc.) und über ein Luft- und Wasserrecyclingsystem sowie Nahrungs- und Ausrüstungsreserven verfügen. Je grösser die Kapsel ist, desto komplexer werden die technischen Herausforderungen und desto teurer wird es, bis hin zur Nichtmachbarkeit. 

Was ist der Sinn, zum Mars zu fliegen?

Eines der Argumente für die Entsendung von Menschen zum Mars ist, dass sie am Boden effizienter sind als ein Roboter und daher mehr über den Planeten lernen könnten. Doch in den aufeinanderfolgenden Generationen von Robotersonden wurden grosse Fortschritte gemacht. Sie liefern immer mehr Wissen. Der unbestreitbare Vorteil von Robotersonden ist, dass sie weder essen und trinken noch unter den Druckverhältnissen der Erde arbeiten müssen. Ein minimaler Schutz ihrer Elektronik ist ausreichend. Die geschätzten Kosten für eine einzige menschliche Mission würden denen von 40 Roboter-Missionen wie Perseverance entsprechen. 

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Ausserdem können diese Sonden bei ihrem Abflug von der Erde nach den Standards des Planetenschutzgesetzes sterilisiert werden. Das hilft, eine Kontamination der von uns besuchten Orte im Sonnensystem zu vermeiden. Beim Menschen ist das unmöglich: Indem wir einige wenige Individuen unserer Spezies auf dem Mars absetzen, deponieren wir auch Milliarden von Bakterien. Auch wenn deren Überlebenschance auf dem Mars verschwindend gering ist, so ist sie doch nicht gleich Null. Das birgt die Gefahr, die Antwort auf die Hauptfrage zu verschleiern, die unsere Untersuchung des Mars motiviert: Könnte sich dort in den frühen Stadien der Evolution Leben entwickelt haben?

Sylvia Ekström ist seit 2008 Doktorin der Astrophysik mit dem Schwerpunkt Sternphysik. Sie ist verantwortlich für die Kommunikation am Institut für Astronomie der Universität Genf.

Javier G. Nombela ist ein Grafikdesigner, der sich auf die visuelle Darstellung von Zeit spezialisiert hat. Er ist zudem Autor zahlreicher populärer Werke im Bereich der Astronomie.

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