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Wohnungsnot in den Städten

Die Renditeaussichten an der Börse haben die Wohnungsnot mitverursacht. Keystone

Glücklich wer eine Wohnung hat und keine suchen muss. Besonders in den Städten ist der Wohnungsmarkt ausgetrocknet wie seit Jahren nicht mehr. Eine Entspannung der prekären Situation ist so bald nicht in Sicht, zumal das Wohnen in der Stadt wieder voll im Trend liegt.

Noch ist die Lage nicht so dramatisch wie Ende der Achtzigerjahre, als das ganze Land unter einer Wohnungsnot litt. Vorläufig ist der Wohnungsmangel noch fast ausschliesslich in den Städten und Agglomerationen zu spüren.

Besonders betroffen ist der Grossraum Zürich, der grössten Wirtschaftsraum der Schweiz. “Der Wohnungsmangel ist akut. Es gibt zurzeit keine leerstehenden Wohnungen”. Dies sagte Acchile Negri von der Livit, dem grössten Immobilien-Bewirtschafter der Schweiz, gegenüber swissinfo. Auf eine ausgeschriebene Wohnung würden sich zurzeit 20 bis 50 Interessenten melden. Befände sich die Wohnung an einer gefragten Lage, seien es mindestens 70 Bewerberinnen und Bewerber.

Der Wohnungsmangel spiegelt sich in den Zahlen der Statistischen Ämter: In der Stadt Zürich betrug am 1. Juni 2000 der Anteil der leerstehenden Wohnungen noch ganze 0,2 %. Auch in der Stadt Bern ist der Leerwohnungs-Bestand mit 0.73 % deutlich unter die 1-Prozent-Marke gesunken, was laut Mieterinnen- und Mieterverband als Wohnungsnot gilt. Kaum viel besser ist die Situation im Kanton Genf mit einem Leerwohnungs-Bestand von 0,86 %. Mit 1,31 % leerstehender Wohnungen gestaltet sich die Wohnungssuche in Basel-Stadt geradezu komfortabel.

Zu wenig Wohnungen wegen Börsenboom

Einer der Hauptgründe für den Wohnungsmangel ist die geringe Wohnbautätigkeit. In der Stadt Zürich wurden 1980 noch 1’473 Wohnungen gebaut. Zehn Jahre später waren es nur noch 587. In Bern nahm der Wohnungsbestand im letzten Jahr um lediglich 40 Wohnungen zu. Ein Jahr zuvor kamen immerhin noch 86 zusätzliche Wohnungen auf den Markt. Verantwortlich für das geringe Interesse der Investoren der vergangenen Jahre waren die fantastischen Renditeaussichten an den Aktienbörsen, welche Bauinvestitionen lange Zeit unrentabel erschienen liessen.

Zurück in die Stadt

Ein weiterer Grund für die prekäre Wohnungsmarkt-Situation ist die Umkehr eines jahrelangen Trends: Nicht mehr beschauliche Naturnähe in uniformen Einfamilienhaus-Siedlungen, sondern pulsierende Urbanität ist wieder gefragt. Immer mehr Menschen, vor allem Junge, zieht es zurück in die Städte. Das Leben in der Stadt sei “in”, so Negri. Dies zeige sich in einem immensen “Run” auf Miet- wie auch auf Kaufobjekte. Gefragt seien vor allem grosse Wohnungen mit individuellem Charakter oder Lofts.

Hohe Einkommen und die gute Konjunkturlage haben grosse Wohnungen zur Mangelware werden lassen. Junge, die sich früher mit ihrem Lohn nicht mehr als eine Ein- oder Zweizimmerwohnung leisten konnten, ziehen heute direkt in Vier- oder gar Fünfzimmerwohnungen. Damit stehen sie in direkter Konkurrenz zu Familien, die auf grossen und preisgünstigen Wohnraum angewiesen sind.

Familien haben bei der Wohnungssuche in den Städten schon länger schlechte Karten. Jährlich verlassen deshalb rund 1’000 Familien die Stadt Zürich. Allein zwischen 1991 und 1995 verlor die Stadt 5’000 Familien. Davon waren der überwiegende Teil, nämlich 85 %, Schweizer Familien. Die meisten von ihnen konnten in der Stadt Zürich keine genügend grosse und attraktive Wohnung in einem qualitativ guten Umfeld finden.

Wohnungsbau-Offensive

Um den Wegzug von Familien zu stoppen, haben verschieden Städte Wohnungsbau-Offensiven lanciert. Die bekannteste ist Zürich mit dem Ziel, in zehn Jahren 10’000 neue Wohnungen zu erstellen. Und tatsächlich wird jetzt viel gebaut: Letztes Jahr wurden über 2’000 neue grosse Wohnungen erstellt. Doch diese gingen nicht an Familien, sondern an so genannte DINKs (Double Income, No Kids), gutverdienende Paare ohne Kinder, wie Thomas Winkelmann, Informationsbeauftragter im Hochbaudepartement, gegenüber swissinfo einräumte.

Diese neu erstellten Wohnungen seien auch nicht primär für Familien gedacht. Denn zusätzliche Familien-Wohnungen sollen weniger durch Neubau als durch die Zusammenlegung genossenschaftlicher Klein-Wohnungen entstehen. Indes sei die Umsetzung bis anhin sehr harzig verlaufen, weshalb Familien weiterhin aufs Land ziehen würden.

Konkurrenz für Doppelverdiener

Doch auch die kinderlosen Doppelverdiener haben Konkurrenz bekommen. Internationale Firmen in Zürich zahlen für ihre dringend benötigten Fachkräfte zwischen 5’000 und 10’000 Franken für die Miete einer Dreizimmerwohnung. An Toplagen wird laut Negri von der Livit gar jeder Preis bezahlt. Als Privatperson wird es da schwierig, auf dem freien Wohnungsmarkt eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Warten auf Konjunktur-Schwäche

Mit einer baldigen Entspannung rechnet niemand. Laut Experten dürfte die grosse Nachfrage die Mietzinse bei Neuvermietungen – trotz sinkender Hypozinsen – zwischen sechs und zehn Prozent ansteigen lassen. Erst in zwei bis drei Jahren oder bei unerwarteter Konjunktur-Schwäche dürfte das Preisniveau für Wohnraum wieder sinken.

Auch die wachsenden Profite im Immobilien-Geschäft werden mittelfristig für Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen. Das Rauminformations-Büro Wüest & Partner rechnet im laufenden Jahr mit einer Trendwende beim Mietwohnungsbau. Denn die gegenwärtige Unsicherheit an den Börsen sowie die Aussichten auf wachsende Mietzins-Einnahmen dürften zu vermehrten Investitionen im Wohnungsbau führen. Glücklich wer bis dann eine Wohnung hat und keine suchen muss.

Hansjörg Bolliger

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