Zahlenkrieg um Krankenkassen
Am 11. März wird über die Schaffung einer Einheitskrankenkasse abgestimmt. Die Initiative verlangt zudem die Einführung von Prämien "nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten".
Die Finanzierung wird laut Initiativtext dem Parlament überlassen. Doch genau dieser Punkt ist im Abstimmungskampf zum grössten Zankapfel zwischen Befürwortern und Gegnern der Initiative geworden.
Bereits im Jahr 2003 stimmte das Schweizer Stimmvolk über eine Initiative ab, welche die Krankenkassen durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie durch einkommensabhängige Prämien finanzieren wollte. Die so genannte “Gesundheitsinitiative” erlitt eine Schlappe.
Im Gegensatz zu damals wird in der Volksinitiative für eine Einheitskrankenkasse kein konkretes Finanzierungsmodell vorgeschlagen. Die Finanzierung bleibt dem Parlament vorbehalten.
Im Initiativtext wird einzig festgelegt, dass die Prämien “nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten” bestimmt werden sollen.
“Wir stimmen über einen radikalen Systemwechsel in der Grundversicherung ab, aber nur im Grundsatz, nicht über ein präzises Finanzierungsmodell”, hält Hans-Jürg Fehr, Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP), fest.
Ein Problem der Mittelschicht
Die Linke unterstützt die Initiative. Doch sie hat es lange Zeit vermieden, sich zur Finanzierung der neuen Einheitskasse zu äussern.
Daraus hat santésuisse, der Dachverband der Krankenkassen, Profit geschlagen. In einem Rechnungsmodell wird aufgezeigt, dass die neuen Prämienansätze zu Lasten der Mittelschicht gehen würden.
Schon heute leidet die Bevölkerungsgruppe mit mittleren Einkommen ganz besonders unter der Prämienlast. Einerseits ist das Budget so gering, dass die steigenden Krankenkassenprämien stark spürbar sind. Andererseits ist das Budget zu hoch, um in den Genuss von Subventionen zu gelangen.
santésuisse hat seine Daten dem Internet-Vergleichsdienst Comparis zur Verfügung gestellt. Auf dieser Internet-Seite lässt sich schnell ausrechnen, wie sich die individuellen Prämien im Falle einer Annahme der Initiative verändern würden.
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Krankenversicherung
Der Ansatz von santésuisse
Für das Rechenmodell geht santésuisse allerdings von einigen Hypothesen aus.
So steigen beispielsweise die Prämien bei Einkommen über 120’000 Franken nicht mehr an. Damit soll vermieden werden, dass die Einheitskasse zu einer Reichensteuer mutiert. Das untere Limit liegt bei 20’000 Franken.
In der Bandbreite dieser Einkommen müssen die Gelder gefunden werden, um die Krankenkasse zu finanzieren. Die Mittelschicht ist folglich besonders betroffen.
Zudem geht santésuisse davon aus, dass das Total der Gesundheitskosten um 10% ansteigt, da Anreize fürs Sparen wegfallen – namentlich die Wahlfreiheit für einen höheren Selbstbehalt. Somit müssen die Krankenkassen effektiv höhere Kosten decken.
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santésuisse
Die Antwort der Linken
Das Rechnungsmodell von santésuisse hat die Linke ziemlich durcheinander gebracht. Während die Grünen an der Einführung von einkommensabhängigen Prämien festhalten, sprechen die Sozialdemokraten von einer Erweiterung des Kreises von Subventionsberechtigten. Demnach sollen 60% der Versicherten Prämienverbilligungen erhalten (zur Zeit sind es 30%).
Um diese zusätzlichen Subventionen zu finanzieren, will die SP eine dreiprozentige Steuer auf Einkommen über 100’000 Franken erheben. “Und es gibt keinen Grund, ein oberes Einkommenslimit für diese Steuer festzulegen”, sagt der Waadtländer Regierungsrat und SP-Vizepräsident Pierre-Yves Maillard. Diese Zusatzprämie für Reiche müsste 1,2 Milliarden Franken im Jahr in die Kasse spülen.
“Wir wollen auch die Franchise nicht abschaffen”, kontert Maillard die Argumente von santésuisse. Zudem will die Linke weitere Steuersenkungen in der Schweiz vermeiden und die Budgets für die Prämiensenkungen voll ausschöpfen.
Die Überführung der 87 bestehenden Kassen in eine Einheitskrankenkasse könnte gemäss den Befürwortern der Initiative schliesslich 500 Millionen Franken an Verwaltungskosten einsparen.
Konfrontation Online
Nach einigem Widerstand waren die Initianten bereit, auch ihre Rechnungsmodelle dem Internet-Portal Comparis zur Verfügung zu stellen. Dort können nun beide Modell parallel durchgespielt werden. Und die Resultate divergieren in der Tat erheblich.
Gemäss dem Modell von santésuisse müsste eine Familie aus Lausanne mit vier Personen und einem versteuerbaren Jahreseinkommen von 90’000 Franken pro Monat 100 bis 200 Franken mehr an Prämien bezahlen. Gemäss dem Modell der Initiativ-Befürworter würde die gleiche Familie 300 Franken pro Monat weniger bezahlen.
Bei Einkommen zwischen 100’000 und 200’000 Franken gehen die Zahlen noch weiter auseinander. Modell hin oder her: Was vorläufig bleibt, ist eine grosse Verwirrung bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern.
swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Die Volksinitiative “Für eine soziale Einheitskrankenkasse” verlangt eine einzige Krankenkasse für die Schweiz.
Diese soll die 87 bestehenden privaten Krankenkassen ablösen.
Die Initiative schlägt ganz allgemein vor, die Prämien “nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten” festzulegen.
Ein Gesetz soll die Finanzierung der Kasse regeln.
Die Volksinitiative “Für eine soziale Einheitskrankenkasse” wurde am 9. Dezember 2004 mit rund 111 000 gültigen Unterschriften eingereicht.
Die Abstimmung findet am 11.März 2007 statt.
Im Gegensatz zur Praxis in vielen europäischen Ländern hängen die Krankenkassenprämien in der Schweiz nicht vom jeweiligen Einkommen ab. Jede Person bezahlt die gleiche Grundprämie für die Krankenversicherung.
Der Bund stellt allerdings den Kantonen Gelder bereit, um Personen mit geringem Einkommen zu entlasten. Ihre Prämien werden dank dieser Zuschüsse verbilligt. Zirka 30% der Bevölkerung erhält diese Zuschüsse.
In der Schweiz gilt die obligatorische Krankenversicherungspflicht. Ein Versicherter kann aus 87 privaten Krankenkassen auswählen.
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