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Zimbabwe – Besuch bei einer Schweizer Farmerin

Agnes und die zahme Giraffe. Katharina Morello

Als sässe man auf einem Pulverfass, das jeden Tag hochgehen kann – so umschreibt der Ehemann einer Schweizerin das Lebensgefühl der Familie auf ihrer Farm im südlichen Zimbabwe.

Leute wie sie wollen trotzdem bleiben. Denn sie lieben das Land, das seit Jahren in einer tiefen Krise steckt.

Ungefähr bei Kilometerstein 102 müsse man abzweigen, hat es geheissen. Tatsächlich, zweigt da ein staubiger Weg ab und verliert sich im buschbewachsenen Land. Zur Sicherheit fragen wir nach.

Am Rand der Asphaltstrasse gehen drei Frauen durchs braune Gras. Barfuss, in geblümten Kleidern tragen sie ihre Lasten auf dem Haupt: Feuerholz, ein Bündel Zuckerrohr, ein Kanister mit Wasser. Zur Farm? Sie lächeln freundlich. Ja, es ist die rechte Strasse. “Das waren Resettler”, sagt die schwarze Begleiterin beim Weiterfahren. Farmbesetzerinnen.

Die zahme Giraffe



Kurz darauf sitzen wir bei Tee und Kuchen hinter dem Haus. Agnes Walter* hat für den angekündigten Besuch extra gebacken. Auf dem Rasen unter den Bäumen haschen die Hunde nach gackernden Perlhühnern.

Dann mahnt die energisch wirkende Hausherrin zum Aufbruch: Wenn wir Twiza, die zahme Giraffe noch sehen wollten, müsste man jetzt los. Den Kindern der Besucherin bleibt der Mund offen: Eine zahme Giraffe? Das ist stark!

Die Eltern von Agnes Walter waren in den fünfziger Jahren aus der Schweiz ins damalige Süd-Rhodesien eingewandert, wo Agnes, das zweite Kind von schliesslich acht Geschwistern, ihre Kindheit verbrachte. Es war die Zeit der grossen, weissen Farmen im südlichen Afrika: Ein naturverbundenes Leben unter endlos blauem Himmel, frei, unabhängig und ein wenig einsam.

Unabhängigkeits-Krieg



Die Wirren des Unabhängigkeitskrieges in den Siebzigerjahren zwangen die Eltern zur Rückkehr in die Schweiz. “Unsere Farm lag mitten in der Schusslinie”, sagt der Vater, der heute in der Innerschweiz Dammwild züchtet.

Die damals vierzehnjährige Agnes wollte immer zurück. Nach der Handelsschule und einem kurzen Schweizer Berufsjahr, reiste die inzwischen Erwachsene ab.

“Verlieb‘ dich dann nicht gleich”, sagte die Mutter beim Abschied. “Ich verlieb‘ mich nur ins Land, nicht in die Leute”, antwortete die Tochter. Ein paar Jahre später habe sie aber doch die Hochzeit angemeldet, erinnert sich die Mutter heute mit einem Lächeln.

Nichts ist mehr, wie es war



Agnes Walter wünschte sich für die eigenen Kindern ein Aufwachsen, wie sie es hatte. Doch im heutigen Zimbabwe sei dies kaum noch möglich, sagt sie ein wenig bitter: “Seit drei Jahren müssen wir unseren Söhnen aus Sicherheitsgründen ständig alles verbieten, was Spass macht.”

Auf der Farm, die sie heute mit ihrem Mann bewirtschaftet, läuft der Betrieb nur auf Sparflamme. “Rund zwei Drittel des Landes können wir nicht nutzen”, erklärt Agnes Walter. Man habe inzwischen gut vierhundert neue Nachbarn.

Besetzer, Wiederangesiedelte. Und die Regierung kümmere sich kaum um Infrastruktur. Was nicht eingezäunt oder beaufsichtigt sei, werde gestohlen, der Busch leergewildert, der Baumbestand abgeholzt und zerstört.

Respekt vor den Elefanten



Nach dem Giraffenbesuch gehen wir zu Fuss zur Elefantenkoppel. Beim Nachtmahl der Dickhäuter wird wacker zugegriffen: Bananen, Süsskartoffeln, Zuckerrohr und allerhand Grünzeug verschwinden gleich schubkarrenweise. Die Kinder halten vor den Rüsseln respektvoll Abstand.

Da war ihnen die zahme Giraffe, die sie vorhin von der Ladefläche des Pickup-Wagens aus streicheln durften, doch noch etwas mehr geheuer. Schweizermädchen! Agnes Walter verzieht das Gesicht. Die leidenschaftliche Tierfreundin hat sogar einmal ein mutterloses Nilpferdbaby grossgezogen!

Leben auf dem Pulverfass

Wenig später gesellt sich ihr Mann zu uns. Mit Bart, kurzer Hose und grünem, breitrandigem Hut sieht er aus wie der Bilderbuchfarmer. Er ist ein Pionierssohn der vierten Generation. “Schwierige Zeiten”, sagt er, als er auf die Situation im Land angesprochen wird. Ein Gefühl, als würde man auf einem Pulverfass leben.

Er schweigt. Letztlich gehörten wohl alle zu den Verlierern, auch die Farmbesetzer, denen das bisschen, was sie schaffen, nur zu oft wieder genommen werde, fügt er hinzu. “In diesem Land gelten heute keine Regeln mehr.”

Die Walter‘s möchten trotzdem weitermachen. ‘Wir bleiben’ – lautet der Name ihrer Farm in der Volkssprache. “Das ist Zufall, gegen aussen hat es jedoch eine gute Wirkung”, sagt Agnes Walter mit einem halben Lächeln.

swissinfo, Katharina Morello in Zimbabwe

* Der Name wurde aus Sicherheitsüberlegungen geändert. Aus demselben Grund werden keine näheren Ortsangaben gemacht.

Schweizerinnen und Schweizer in Zimbabwe: 430; Anfang 1998 waren es noch 649 gewesen.
Ein gutes Dutzend Farmen werden von Schweizern betrieben.
Die Schweizer Wirtschaft ist vertreten durch Firmen wie ABB, Nestlé, Roche, Syngenta, Schindler.

Zimbabwe, einst gefeiertes afrikanisches Musterland, ist heute eine wirtschaftliche und politische Ruine.

1980 hatte Zimbabwe als letzte der europäischen Kolonien in Afrika die Unabhängigkeit erlangt. Den Befreiungskrieg hatten mehr als 100’000 Menschen mit dem Leben bezahlt.

Robert Mugabe, der erste Premierminister, regiert heute noch als Präsident. Den Glanz als Kämpfer für ein gerechtes Zimbabwe hat er aber verloren.

In den 80er-Jahren stand Zimbabwe erneut am Rand eines Bürgerkriegs.

Später kam die Landreform hinzu. Die knapp 3% Weissen im Land hatten rund drei Viertel des fruchtbaren Bodens besessen, von dem sich kaum einer trennen wollte.

Es entstand eine rechtliche und politische Pattsituation, die schliesslich zu den gewaltsamen Besetzungen und Enteignungen führte, die in den letzten zwei, drei Jahren Schlagzeilen machten.

Heute steckt Zimbabwe in einer tiefen Krise. Im Jahr 2002 betrug die offizielle Inflation 175,5%. Der Internationale Währungsfonds rechnet für das laufende Jahr mit einer Inflation von gegen 600%.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 85%. Das Wirtschaftswachstum ist seit vier Jahren negativ.

Die Bevölkerung beläuft sich auf rund 12 Millionen Menschen, davon knapp 1% Weisse. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.

Mit einer Fläche von 390’757 km2 ist das Land fast zehn Mal so gross wie die Schweiz.

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