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Zollkonflikt: Joseph Deiss will mit Schröder reden

Neue Zölle auf Re-Exporte könnten in der Schweiz Arbeitsplätze kosten. Keystone

Bundespräsident Joseph Deiss will im April in Berlin den deutschen Kanzler Gerhard Schröder treffen.

Dabei sollen die geplanten EU-Zölle auf Re-Exporten und andere Unstimmigkeiten mit der EU und Deutschland erörtert werden.

Er habe am Montag Schröder telefonisch kontaktiert und sei von diesem eingeladen worden, sagte Bundespräsident Deiss am Dienstag im Nationalrat zu drei dringlichen Interpellationen im Zusammenhang mit den geplanten Zöllen.

Diese waren von der Schweizerischen Volkspartei SVP, der sozialdemokratischen Partei SP und der Freisinnig-Demokratischen Partei FDP eingereicht worden.

Der deutsche Kanzler habe dabei seinen Willen bekräftigt, die guten Beziehungen mit der Schweiz aufrecht erhalten zu wollen.

Schweiz im Abseits

Die Kratzer im Verhältnis zur EU und zu Deutschland hatten am Morgen im Nationalrat Ärger und Ängste geweckt. Neben dem Befremden über die drohenden EU-Zölle zeigte sich auch die Sorge vor einer zunehmenden Isolation der Schweiz.

Am deutlichsten machte in der Debatte die SVP ihrem Ärger Luft. “Es erinnert uns ans Mittelalter, was sich die EU hier leistet”, sagte Hansruedi Wandfluh. Die drohenden Zölle auf Re-Exporte aus der Schweiz seien ein klarer Verstoss gegen geltendes Recht.

Zusammen mit den anderen Unstimmigkeiten im Luftverkehr und an den Grenzen nährten sie die Vermutung, dass damit die Verhandlungsposition der Schweiz bei den Bilateralen Verhandlungen geschwächt werden solle.

Missglückte Europapolitik?

Auch die anderen Parteien zeigten ihr Befremden, sahen in den Problemen aber auch die Folgen der Schweizer Europapolitik. “Mit dem Nein zum EWR-Vertrag und der Wahl des bilateralen Weges geraten wir zusehends ins Abseits”, stellte etwa der Christdemokrat Josef Leu (CVP/LU) fest.

Und auch für die FDP zeugen die Zollpläne mehr von einer neuen Realität denn von einer härteren Gangart gegenüber der Schweiz. Die EU habe die Schweiz und ihr Freihandelsabkommen wohl schlicht vergessen, sagte Ruedi Noser, ihr seien die neuen Wirtschaftspartner im Osten wichtiger.

Auch er wertete das Abseitsstehen der Schweiz im Graben des EWR-Neins von 1992. “Mit dem Bilateralismus haben wir Brücken über diesen Graben gebaut. Die aktuelle Situation zeigt aber klar auf, dass am Hebel dieser Zugbrücke EU-Beamte und nicht Schweizer sitzen.”

Keine Kraftmeierei

Die SP schliesslich forderte den Bundesrat auf, seine Europa-Strategie zu überdenken. Eine Neuausrichtung sei angezeigt und nicht verbale Kraftmeierei, sagte Susanne Leutenegger Oberholzer. Die Schweiz stehe in Europa isoliert da und müsse ihr Nein zum EWR teuer bezahlen.

Nun müsse sich das Land zwischen Isolation oder Integration entscheiden. “Warum prüft der Bundesrat nicht ernsthaft die von der SP-Fraktion vorgebrachte Idee einer Botschaft der EU in Bern?”, fragte sie.

Bundespräsident Joseph Deiss kündigte zu den hängigen Problemen ein Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder an, wenn möglich noch im kommenden April.

Beide Seiten hätten anlässlich des Telefongesprächs festgehalten, dass die guten Beziehungen ihrer Länder ein grosses und wichtiges Kapital darstellten. In der Zollfrage bekräftigte Deiss seinen Willen, auf einen gänzlichen Verzicht zu drängen.

Grosser Schaden möglich

Die Zölle gefährdeten in der Schweiz Tausende von Stellen, der Schaden für die Wirtschaft könnte in die Milliarden gehen. Die Schweiz verlange den Respekt des geltenden Freihandelsabkommens. Notfalls sei auch eine Aktion in der Welthandelsorganisation WTO denkbar.

Deiss wiederholte, dass die EU einen Zusammenhang zwischen den Zöllen und den bilateralen Verhandlungen verneint habe, machte diesen Link dann aber selber. Wenn die Zölle kommen sollten, dann werde dies auch Auswirkungen auf die Schweizer Verhandlungsposition bei den Bilateralen haben.

Von dieser Antwort zeigte sich die SP unbefriedigt, die beiden bürgerlichen Parteien nur teilweise befriedigt. “Wir sind uns aber bewusst, dass sich der Bundesrat im gleichen Dilemma befindet wie der Rat; wir wurden nämlich von der Sache überrascht”, sagte Noser.

Unzufrieden mit der Schweizer Diplomatie zeigte sich der Schweizer Ex-Botschafter in Berlin, Thomas Borer, gegenüber swissinfo: “Ich finde es schade, dass Regierung und Diplomatie diese Probleme nicht schon vor einigen Monaten oder gar Jahren erkannt und die entsprechenden Massnahmen eingeleitet haben.”

Am frühen Abend war die EU-Zollpolitik auch im Ständerat Thema: Die kleine Kammer diskutierte eine dringliche Interpellation des freisinnigen Rolf Büttiker. Dieser zeigte sich erfreut über die Einladung Schröders. “Ich glaube, Sie haben hier den Joker gezogen”, sagte er dem anwesenden Bundespräsidenten Deiss.

swissinfo und Agenturen

82% der Schweizer Importe kommen aus der EU, für total 123 Mrd. Franken.
60% der Exporte gehen in die EU, davon über die Hälfte nach Deutschland

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