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Zwischen Wut und Freude

Keystone

Die Abwahl von Christoph Blocher sei keine Absage an die Konkordanz, sagen Parlamentarier: Die Schweizerische Volkspartei habe ohnehin in den vergangenen Jahren meist Oppositionspolitik gemacht.

Blochers Volkspartei ihrerseits hat nun Opposition auf allen Ebenen angekündigt. Innerhalb ihrer Reihen zeichnen sich aber die ersten Risse ab.

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) erwartet von der neuen Bundesrätin eine prononciert bürgerlich-liberale Politik, besonders in Wirtschafts-, Finanz-und Steuerfragen.

Mit der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf sei die Konkordanz gewahrt worden. So sei die Schweizerische Volkspartei (SVP) nach wie vor mit zwei Personen im Bundesrat vertreten.

Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) habe vor der Bundesratswahl intransparent kommuniziert. In der Wahl habe sie wie eine “christlichsoziale” Partei gehandelt. Wohin sie sich in den kommenden Jahren entwickeln werde, sei aber völlig unklar, so die FDP.

Laut der Sozialdemokratischen Partei (SP) werde die Schweiz auch nach der Wahl von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf nicht von einer Mitte-Links-Koalition regiert.

“Spätestens im Februar werden wir sehen, dass es keine Mitte-Links-Koalition gibt”, sagte SP-Nationalrat Christian Levrat.

An der Unternehmenssteuer scheiden sich die Geister

Wenn über die Unternehmessteuerreform abgestimmt werde, zeige sich, dass die CVP auf Seiten der Reichen und der Aktionäre stehe, sagte Levrat weiter. Die SP hingegen halte zu den Arbeitern.

Auch der Vize-Präsident der Grünen, Ueli Leuenberger, rechnet damit, dass die Koalition nicht von langer Dauer sei. Die Opposition zwischen linken und rechten Kräften bleibe bestehen.

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Konkordanz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Unter Konkordanz versteht man die unablässige Suche eines Gleichgewichts oder eines Kompromisses sowohl zwischen Parteien wie auch zwischen den verschiedenen sprachlichen, sozialen und politischen Kulturräumen, welche die Schweiz ausmachen. Einer der offensichtlichsten Aspekte des Konkordanzsystems ist die Aufteilung der sieben Bundesrats-Sitze auf die wichtigsten Parteien nach ihrer proportionalen Wählerstärke, unter Respektierung des sprachlichen Gleichgewichts der…

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“Sie werden es noch bereuen”

Die SVP ist laut ihrem Generalsekretär Gregor Rutz gut vorbereitet auf ihre Oppositionsrolle. Der abgewählte Bundesrat Christoph Blocher werde sich als Parteipräsident zur Verfügung stellen, sagte Rutz.

“In den nächsten Wochen werden wir orientieren, was es heisst, dass wir in der Opposition sind”, sagte Rutz. Es werde eine interessante Erfahrung. Vor allem für die anderen Parteien: “Wir werden ihnen genau auf die Finger schauen.”

“Bei den nächsten Wahlen werden die anderen Parteien bereuen, dass sie Christoph Blocher abgewählt haben”, sagte Rutz weiter. Seine Partei werde voraussichtlich weiter zulegen.

Weiterhin rechte Regierung

Bei einer bürgerlichen Mehrheit müsste die SVP dann gegen bürgerliche Anliegen opponieren. Sie werde zwar versuchen, unter der Leitung von Blocher Sand ins Getriebe zu streuen, sagte SP-Präsident Hans-Jürg Fehr.

Opposition müsse aber immer gegen die Mehrheit und in diesem Falle gegen eine bürgerliche Mehrheit betrieben werden. So muss sich laut Fehr die Opposition in der Regel gegen bürgerliche Anliegen richten.

Einen Linksrutsch der CVP ortet der SP-Präsident nicht. Es gäbe wohl eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen der CVP und der SP, wie sie auf der Ebene der Sachpolitik schon lange üblich sei. “Die CVP ist und bleibt bürgerlich und wird dies in nächster Zeit eventuell besonders betonen”, findet Fehr.

“SVP-Fraktion könnte sich spalten”

Eines der wichtigsten Wahlziele der SP, die Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher, sei nun erreicht worden, sagte Fehr weiter. In den kommenden Tagen werde sich wohl einiges bewegen. “Es sieht so aus, dass sich die SVP Fraktion spalten wird”.

Somit könne es sein, dass die beiden fraktionslosen SVP-Bundesräte Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid schon bald eine – wenn auch kleine Fraktion – um sich haben werden.

swissinfo und Agenturen

“Schock”, “Revolte” oder “Beben in Bern”: Blochers Abwahl ist am Donnerstag auf der Titelseite vieler europäischer Zeitungen präsent.

Die meisten Kommentatoren sehen das Ende der Konkordanz.

“Jetzt wackelt das politische System der Schweiz”, schreibt die Frankfurter Rundschau.

“Die Parlamentarier werfen Blocher hinaus”, titelt die Libération.

Für die spanische El País führt die Abwahl des “extremistischen” Führers durch die Bundesversammlung “zu einer beispiellosen Krise”.

Für die Süddeutsche Zeitung war es die SVP, welche den Schweizer Grundkonsens aufgekündigt hatte.

Der Wiener Kurier warnt, Blochers Gegner sollten sich nicht zu früh freuen: “Ein entfesselter Blocher als Märtyrer auf der Oppositionsbank kann ihnen noch gefährlicher werden als in der Regierung.”

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