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Die Schweiz gilt in Washington als Musterschülerin

In Washington ist man für die Frühjahrs-Session von IWF und Weltbank gerüstet. swissinfo / Marie-Christine Bonzom

Vier Jahre nach Beginn der Weltwirtschaftskrise zeigt sich der Aufschwung ungleichmässig, die Schweiz steht relativ gut da. Dies die Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor der Frühjahrs-Session vom Wochenende in Washington.

Mit dem “Aufschwung in zwei Geschwindigkeiten”, wie es der IWF in seinen halbjährlichen Prognosen beschreibt, sind die Schwellenländer gemeint, die ein viel schnelleres Wachstum aufweisen als die Industrieländer, auch wenn China und Indien ein gewisses Abflauen im Wachstum zu verzeichnen haben.

Darüber hinaus beschäftigt sich der IWF mit der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, einer Last, die mehr und mehr von den jungen Menschen getragen wird. Für den sozialen Zusammenhalt könnten die Konsequenzen gravierend sein, nicht nur in Nordafrika oder im Nahen Osten.

Ein Inselchen mit quasi Vollbeschäftigung

Gemäss dem IWF hat die Krise weltweit mehr als 30 Millionen zusätzliche Arbeitslose geschaffen. Und laut Einschätzung der Organisation sind die Wachstumsraten nicht hoch genug, um den Mangel an Arbeit signifikant zu senken.

Besonders in den USA schätzt der IWF das Wachstum 2011/2012 auf 3% oder weniger und bedauert, dass die Regierung Obama immer noch keinen genauen Plan hat, um die Immobilienkrise zu bekämpfen. Diese war der auslösende Faktor der weltweiten Krise 2007, der mit dem Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit zusammenhängt.

In diesem Zusammenhang scheint die Schweiz ein Inselchen der Quasi-Vollbeschäftigung zu sein. In seinem Bericht über die Schweiz, der Ende März publiziert wurde, hielt der IWF fest, dass die Schweiz nicht nur “ihr Produktions- und Beschäftigungsniveau von vor der Krise” wiedergefunden habe, sondern auch einen “soliden Aufschwung” erlebe, “und dies trotz der Stärke des Frankens”.

Mit dem Finger auf die UBS und die Credit Suisse zeigen

Trotzdem ist nicht alles rosig in der Schweiz. Der IWF deutet auch an, dass sich der Immobilienmarkt zu einer Blase entwickeln könnte, wenn die “laschen Kreditpraktiken” weitergehen würden. Der IWF ruft Bern deshalb auf, “präventive Massnahmen” zu treffen, um diese “riskanten” Methoden zu verhindern.

Übrigens warnt der IWF, dass diese Institute, die er verschämt “die zwei grossen Banken” nennt, ohne den Namen aufzuführen, also die UBS und die Credit Suisse, für die nationale Wirtschaft “ein Risiko” bleiben.

Der IWF verlangt vom Parlament, “den Gesetzesvorschlag bezüglich der Too-big-to fail-Problematik rasch zu verabschieden”. Er beurteilt die vorgesehene Kapitalerhöhung als “entscheidend, um das Risiko, das diese Banken darstellen, zu vermindern”. Weiter rät er der Schweiz, “die Effizienz und die Unabhängigkeit seiner Instanzen gegenüber den Banken zu verstärken”.

Die von Strauss-Kahn gewünschte Steuer

Der Chef des IWF schlägt vor, auf internationalem Niveau den Rahmen der Bestimmungen für die Banken und andere Finanzinstitute zu verstärken. Dominique Strauss-Kahn will im Besonderen eine “Steuer auf Finanzaktivitäten, um den Sektor zu zwingen, gewisse soziale Kosten zu übernehmen, die aus seinem riskanten Verhalten entstehen”. Er qualifiziert die Bedrohung, welche die Banken durch ihre Systemrisiken darstellten, als “Plage” und verlangt “bessere Mechanismen, um sie zu beenden”.

Die vom Generaldirektor vorgeschlagenen Massnahmen würden viel weiter gehen als jene, auf welche sich die G-20 geeinigt hatten. Für Strauss-Kahn sind diese “viel zu lasch, um in Zukunft neue Krisen zu verhindern”.

In dieser Hinsicht publiziert das unabhängige Evaluationsbüro des IWF – ein Instrument, das nach der Asien-Krise von 1997 eingeführt wurde – einen für den IWF erdrückenden Bericht. Weder habe er die Asien-Krise noch die aktuelle Weltwirtschaftskrise kommen sehen. Während dem Ausbruch der Krise, im Jahr 2007 hatte der IWF behauptet, die Perspektiven Islands seien mittelfristig beneidenswert.

Intellektuelle Beschränktheit

Gemäss dem Evaluationsbüro hat die Blindheit des IWF mehrere Gründe: Intellektuelle Beschränktheit, ein Übermass an Vertrauen in die Stärke der grossen Banken, die Unterstützung der kreativen Elemente des Finanzsektors wie etwa die Finanzierung hochriskanter Immobilien, die bürokratische Schwerfälligkeit von Seiten des IWF, politischer Druck der USA, von Grossbritannien und “Autoritäten aus der Euro-Zone”. Alles sei zurückzuführen auf eine ultraliberale Ideologie, die seit den 1980er-Jahren in Mode sei.

Einzig bei der “effizienteren” Überwachung der Schweiz war der IWF nicht blind. In den Jahren vor der Krise, schreibt das Evaluationsbüro, “war der IWF eifrig, seine Sorgen in Bezug auf das schweizerische Finanzsystem auszudrücken und Ratschläge zu geben, die von den Schweizer Behörden geschätzt wurden”. Aber sogar da blieb die Analyse des IWF “relativ optimistisch” – bis zur Krise.

Gegenüber dem neuerlichen Versagen in Bezug auf die Wachsamkeit des IWF, ruft das Evaluationsbüro die Organisation auf, “die Kultur, Führung und Art und Weise, wie den Herausforderungen der Zukunft begegnet werde, zu reformieren”. Der Bericht ist der Meinung, dass der IWF “pro-aktiver sein muss in der Verhinderung von Krisen” und sowohl gegen Innen wie auch gegenüber den Mitgliedstaaten Klartext reden müsse.

Schweizer Delegation

Geleitet wird die Delegation von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, mit dabei sind auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sowie Nationalbankpräsident
Philipp Hildebrand.

 

Themen

Die Lage der Weltwirtschaft und die künftige Rolle des IWF im internationalen Finanz- und
Währungssystem, die Volatilität der Nahrungsmittelpreise, die Reform der Weltbank, die Millenniumsziele der UNO sowie die Hilfe der Weltbank für fragile Staaten.

Teilnehmer

Am jährlichen Treffen von IWF und Weltbank in der US-Hauptstadt nehmen Tausende von Vertretern von Regierungen,
Institutionen und der Privatwirtschaft teil.

Wachstum: 2,4% im 2011 und 1,8% 2012, nach 2,6% im Jahr 2010.

Arbeitslosigkeit: 3,4% im 2011 und 3,3%  2012. 2010 waren es 3,6%.

Inflation: 0,9% im 2011 und 1% 2012, im Vergleich mit 0,7% im Jahr 2010.

Die Schweiz ist dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank nach einer Volksabstimmung 1992 beigetreten.

Sie führt die so genannte Gruppe Helvetistan mit Polen, Serbien, Montenegro, Kirgisistan, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

Die Gruppe stellt einen Anteil von 2,8% des IWF-Kapitals zur Verfügung. 

Der Anteil der USA beläuft sich auf 17,5%, was ihnen innerhalb des IWF ein Vetorecht einräumt.

(Übertragung aus dem Französischen: Eveline Kobler)

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