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Eine alte Limonade ist topmodern

Die Gazosa wird in die kultige Flasche mit Verschluss abgefüllt. (Bild: Rémy Steinegger) Fotos: Rémy Steinegger

Das Tessin ist ohne seine "Gazosa ticinese" nicht denkbar. Und doch ist die Zukunft der Limonade ungewiss.

In der Deutschschweiz ist die Nachfrage nach dem Getränk gross. Beizen wollen sich damit eine besondere Note verleihen. Doch dem “Export” sind Grenzen gesetzt.

Die sympathischen kleinen Fläschchen mit dem metallenen Bügelverschluss gehören zur italienischen Schweiz wie die Grotti. Sie heissen “Gazosa” – das Wort bedeutet eigentlich “gashaltig” und steht im Italienischen für Limonade.

Rund 3 Millionen dieser Flaschen à 3,5 dl werden im Tessin jedes Jahr abgefüllt, und der Löwenanteil davon wird lokal konsumiert.

Revival in der Deutschschweiz

Ein kleiner Anteil geht in die Deutschschweiz, wo das Getränk Hochkonjunktur hat. Ob in Basel, Zürich, Bern, Schaffhausen oder Winterthur: Viele Beizen, die ihrem Angebot eine besondere Note geben wollen, haben das süsse Tessiner “Sprudelwasser” auf der Karte.

Am verbreitetsten ist “Gazosa al limone” (Zitrone), doch produziert wird sie auch mit Mandarinen- und Himbeergeschmack sowie gelegentlich mit Bitter-Orange.

In der von Coca Cola, Fanta und Rivella dominierten Süssgetränkewelt ist die Tessiner Gazosa ein absolutes Unikum. Bis heute wird sie ausschliesslich in kleinen Familienunternehmen hergestellt.

Sie heissen Sciaroni (Vira), Starnini (Biasca) oder Coduri (Mendrisio). Eigentliche Produzenten gibt es nur noch neun, wenn man Ponzio im italienisch-bündnerischen Grono mitzählt.

Finanzielle Probleme

Die Zahl der Betriebe ist in den letzten Jahren geschrumpft. “Für viele ist es finanziell schwierig geworden, in diesem Business zu überleben, wo der Handel mit Mineralwasser dominiert”, sagt Franco Carugati, Präsident des kantonalen Verbandes der Getränkehändler.

Er selber ist Eigentümer von Coldesina in Bellinzona, der ältesten Limonadenfabrik im Tessin. Gründungsjahr: 1885.

Entscheidend für den Erfolg des Produkts sind Inhalt, aber auch Verpackung beziehungsweise die Fläschchen. Die ersten Modelle (bis 1940) besassen einen Verschluss aus einer Glaskugel, die durch den Druck der Kohlensäure an die Flaschenöffnung gepresst wurden.

Beim Öffnen gab es einen Knall, so dass die Gazosa im Volksmund “Champagner der Armen” getauft wurde.

So schön die Fläschchen sind – sie stellen auch ein grosses Problem dar. Ihre Anschaffung ist mit 2 Franken pro Stück sehr teuer. Einen Franken beträgt der Stückpreis für die Herstellung bei Vetropack, ein weiterer Franken muss für die im Siebdruck-Verfahren erstellte Gravur berappt werden, die in Österreich erfolgt.

Echte und “unechte” Gazosa

Um die Kosten zu verringern, geben die Tessiner Produzenten ihre Bestellung gemeinsam auf. Einige verzichten inzwischen aber auf die Gravur und zeichnen die Gazose wie Bierflaschen mit Papier-Etiketten aus.

Andere stellen sogar auf Flaschen mit Kronkorken um. Doch für Traditionalisten sind es dann keine “echten” Gazose mehr.

Die Rechnung ist im übrigen schnell gemacht. Bei einem Verkaufspreis zwischen 90 Rappen und 1 Franken an die Kunden, die sie wiederum für zirka 3.50 Franken in Bars und Grotti anbieten, ist die Flasche selber mehr wert als ihr Inhalt. Der Rücklauf des Leerguts ist damit von entscheidender Bedeutung.

“Deshalb sind wir auch mit dem Export in die Deutschschweiz so zurückhaltend”, meint Carugati. Wenn die Flaschen nicht zurückkehren, wird das Business zu einem Verlustgeschäft. Mehr als einen Franken Depot könne man nicht verrechnen.

Teure Investitionen

Die veraltete Infrastruktur vieler Produktionsbetriebe stellt ein weiteres Problem dar. Eine Maschine, die einen in Zukunft wohl obligaten Papiersiegel über den Bügelverschluss klebt sowie Produktions- und Haltbarkeitsdatum aufstempelt, kostet 140’000 Franken.

“Solche Investitionen lassen sich bei unseren vergleichsweise geringen Produktionsmengen kaum amortisieren”, sagt Carugati und plädiert für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Familienunternehmen.

Giorgio Romerio vom gleichnamigen Getränkehandel in Locarno hat bereits vor 10 Jahren die eigenen Gazosa-Anlage stillgelegt. Geblieben sind die Romerio-Fläschchen, die seither bei Ambra in Personico aufgefüllt werden – “nach unserem Rezept und mit dem guten Quellwasser der Leventina”, wie Romerio betont.

Dass andere Kleinbetriebe dem Beispiel Romerios folgen müssen, ist anzunehmen. Und vielleicht wird es eines Tages nur noch eine grosse Abfüllanlage für Gazosa im Tessin geben. Diese Zukunftsvision schliesst Carugati jedenfalls nicht mehr aus.

swissinfo, Gerhard Lob, Bellinzona

3 Mio.: Anzahl der produzierten Gazosa-Flaschen in der ital. Schweiz
3,5 dl: Grösse der typischen Bügelflasche
2 Fr.: Einkaufspreis für leere Bügelflasche mit Gravur

Die bekannte “Gazosa Ticinese” – Limonade in der alten Bügelflasche – wird noch in Familienunternehmen hergestellt. Damit stellt die Gazosa ein Unikum auf dem Süssgetränkemarkt dar.

Die Zahl der Betriebe wird aber immer geringer. Nur noch neun Produzenten finden sich im Tessin und im angrenzenden Misox. Neuinvestitionen liegen für viele nicht drin.

Viele Beizen in der Deutschen Schweiz finden Gefallen an den urtümlichen Fläschchen, die in der Szene als “hip” gelten.

Doch dem Export der alkoholfreien Limonade in die Deutsche Schweiz sind Grenzen gesetzt. Ein wichtiger Grund: Die hohen Kosten für die leeren Flaschen.

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