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Frauen-Openair auf der Rütliwiese

Ein Sonntagsspaziergang - 10 Minuten Fussmarsch aufs Rütli. swissinfo.ch

Die Rütlifeier 2007 war von Frauenpower, Multikulturalität und einem neu erwachten Interesse für die Schweiz geprägt. Micheline Calmy-Rey wurde als Integrationsfigur gefeiert wie ein Popstar.

Nur ein kleiner, nach der Feier explodierter Sprengsatz vermochte die Schönwetter-Stimmung kurz zu trüben.

Bei strahlendem Sommerwetter legt das Schiff “Schwyz” in Luzern ab und bringt die Festtagsgesellschaft Richtung Rütli.

Eine grosse Familie, die ihren Geburtstag feiert und niemanden ausschliesst.

In der buntgemischten Gesellschaft fährt auch ein junger Mann mit seiner Mutter aus dem Kosovo mit. Sie seien Flüchtlinge, erzählt er in gebrochenem Deutsch, lebten seit dreieinhalb Jahren in Erstfeld im Kanton Uri. Er arbeite als Küchenhilfe.

Um den Hals trägt er ein rotes Schlüsselband mit Schweizer Kreuzen und der Aufschrift “Switzerland”. Auf die Frage, warum sie an der Geburtstagsfeier der Schweiz auf dem Rütli teilnehmen wollten, sagt er ohne zu zögern: “Die Schweiz ist das beste Land.”

Die Schweiz begeistert

Stolz auf die Schweiz – das drückt auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey aus. Es ist ein Stolz ohne Selbstgefälligkeit und Besserwisserei, ein Stolz, der Eigenverantwortung, Toleranz und ein soziales Gewissen nicht ausschliesst.

Das kommt an. Bei Jung und Alt und ganz besonders bei Frauen aller Couleur. Die 34-jährige Beatrice Wipf aus Aarau ist zum ersten Mal auf dem Rütli. Früher wäre es ihr nie eingefallen, an dieser Bundesfeier teilzunehmen.

“Das Gezerre um die Rütli-Feier im Vorfeld hat mein Interesse geweckt”, erzählt sie swissinfo. “Als Micheline Calmy-Rey sich schliesslich durchsetzte, fand ich das eine Super-Idee, da wollte ich dabei sein.”

Frauenpower hat auch Judith Stamm, die Präsidentin der Rütli-Kommission, im Sinn, wenn sie in ihrer Begrüssung die Vermutung äussert: “War es etwa die Angst vor starken Frauen, die im Vorfeld für so viel Opposition sorgte?”

Zusammen mit anderen Kulturen

Auffallend viele Frauen pilgern zum Rütli. Eine ältere Deutsche, die mit ihrem Mann seit kurzem in der Schweiz wohnt, will unbedingt mit der in Aargauer Tracht gekleideten Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi fotografiert werden.

Von der Schweiz ist sie begeistert: “Es gibt so viel Interessantes zu entdecken!”

Egerszegi gibt mit ihrer 1.-August-Rede auch gleich ihren Einstand. “Ich war zwar schon einmal auf dem Rütli, aber noch nie an einer Bundesfeier”, sagt sie gegenüber swissinfo.

“Wir wollen mit diesem Anlass zeigen, dass unsere Schweiz nur vorankommt, wenn wir zusammen arbeiten, zwischen verschiedenen Behörden, Parteien, Sprachgruppen und Kulturen”, sagt die Nationalratspräsidentin, die für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) politisiert.

Sie und Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey sind durch ihre politischen Ämter dieses Jahr die höchsten Frauen im Land. “Wir betrachten uns als die höchsten Grossmütter”, präzisiert Egerszegi.

Wie an einem Openair-Konzert

Die andere Grossmutter spaziert derweil mit zweien ihrer Enkelkinder an der Hand und begleitet von einem Medientross von Seelisberg herkommend Richtung Rütli.

Als sie am Restaurant vorbeikommt, geht ein Raunen durch die Menge. Viele zücken ihre Kameras und springen auf die Tische, Applaus brandet auf wie für einen Popstar.

Ähnliches wiederholt sich, als später Judith Stamm die Bundespräsidentin ankündigt. Wildes Klatschen und Schwenken von Schweizerfähnchen mit der Aufschrift “Merci Micheline”. Eine Stimmung wie an einem Openair-Konzert.

Sogar ein paar Störenfriede

Auf dem Rütli haben dieses Jahr buchstäblich alle Platz, obwohl die Polizei einige Dutzend Rechtsradikale vom Festplatz fern hält. Ein paar wenige Kahlgeschorene mit schwarzen T-Shirts – eines mit der Aufschrift “Eidgenosse” – konnten sich offenbar durch alle Sicherheitskontrollen hindurchschmuggeln.

Doch ohne grosse Gruppe im Rücken wirken sie etwas verloren und beschränken sich auf pubertäre Sprüche hinter vorgehaltener Hand. “Was quatscht ihr da von Redefreiheit, wenn wir nichts sagen dürfen”, mault einer vor sich hin.

Doch stören mag er die Feier offenbar nicht. Die vielen gut gelaunten Frauen mit ihrem augenzwinkernden Patriotismus haben den Rechtsradikalen offenbar den Wind aus den Segeln genommen.

Erst als bekannt wird, dass am Ende der Veranstaltung auf der Rütli-Wiese ein kleiner Sprengsatz explodierte, wird deutlich, dass die Schweiz an diesem 1. August nicht plötzlich als konfliktfreies Land wiedergeboren wurde.

swissinfo, Susanne Schanda, Rütli

Die 1. August-Feier auf dem Rütli wurde durch die Musikgesellschaft Brunnen eröffnet.

Judith Stamm, Präsidentin der Rütli-Kommission, begrüsste die Festgemeinde und präsentierte das Programm.

Für Unterhaltung sorgten der Kinder- und Jugendchor Luzern und Horw, das Alphornduo Ruedi und Röbi Imlig und die Fahnenschwinger Paul Scheuber und Otto Arnold.

Der Bundesbrief wurde von Oliver Bissig verlesen.

Festansprachen hielten Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi.

Zum Abschluss der Feier wurde gemeinsam der Schweizerpsalm gesungen.

An der Feier nahmen rund 2000 Gäste teil.

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