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Hoffnungsschimmer trotz Armut und Krieg

Wahlkampf in Afghanistan: Wer wird am 20. August das Rennen machen? Reuters

Auch wenn Afghanistan mit immensen Problemen wie Korruption und Arbeitslosigkeit kämpfe, seien positive Veränderungen sichtbar, sagt der pakistanische Menschenrechts-Experte und Mitarbeiter einer Schweizer NGO Sher Zaman. Er hat das Land kurz vor den Wahlen besucht.

swissinfo.ch: Sie sind eben von einer zweiwöchigen Reise durch Afghanistan zurückgekehrt. War die bevorstehende Präsidentenwahl spürbar?

Sher Zaman: Im Vergleich zur letzten Wahl 2004 sind diese Wahlen offener. 43 Kandidaten bewerben sich um das Präsidentenamt.

Die Leute zeigen grosses Interesse, sie versammeln sich in den Strassen und diskutieren. Man sieht lange Umzüge, Spruchbänder, Fahnen, Slogans sind zu hören.

Auch auf verschiedenen TV-Kanälen sind die Wahlen Thema, mit Talkshows und Parodien über die Kandidaten. Vor allem in den Städten ist eindeutig ein grosses Interesse spürbar.

swissinfo.ch: Glaubt die Bevölkerung, dass die Wahl fair abgehalten wird?

S.Z.: Eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung ist da. Die Leute wissen, dass die Wahlen von den USA unterstützt werden.

Sie wollen die Gelegenheit wahrnehmen, ihren Präsidenten an der Urne zu bestimmen und nicht durch Gewalt.

swissinfo.ch: Ist die afghanische Bevölkerung reif für eine politische Partizipation?

S.Z.: Mit westlichen Demokratie-Standards ist das nicht vergleichbar. Die Leute sind sich bewusst, dass im Land viel Korruption herrscht. Trotz allem glauben sie, dass eines Tages Frieden und demokratische Verhältnisse einkehren werden.

Aber ob sie eines Tages ein anderes System als das bisherige haben werden, wie andere zivilisierte Länder? Die Hoffnung ist da.

swissinfo.ch: Welche Veränderungen haben Sie im Vergleich zu früher beobachtet?

S.Z.: Die Veränderungen sind sichtbar. Bei meinem letzten Besuch in Afghanistan gab es im Hotel, wo ich wohnte, keinen Strom. Allgegenwärtig war dafür der Lärm von Generatoren, so dass man das eigene Wort nicht verstand.

Nun gibt es Elektrizität aus Usbekistan, zahlreiche Internet-Cafés sowie grosse Fortschritte im Strassenbau. Auch entstanden Schulen und Spitäler.

Trotz dieser positiven Entwicklungen leidet das Land an grosser Arbeitslosigkeit, was zu Frustration unter der Bevölkerung führt. Was fehlt, sind grosse Industriebetriebe. Und in der Landwirtschaft ist das Wasser ein grosses Problem. Hier braucht es dringend Investitionen für Bewässerungssysteme.

swissinfo.ch: Und wie steht es mit der Armut im Land?

S.Z.: Als ich in Kabul war, lud mich ein Freund in ein gutes Restaurant ein. Dummerweise wählten wir einen Tisch am Fenster, von wo aus wir auf die Strasse und das Trottoir blicken konnten. Kinder waren am Betteln oder boten sich an, für ein paar Rappen die Windschutzscheiben zu waschen, alte Männer und Frauen suchten nach Essen.

Auf der anderen Seite war das Restaurant voller Gäste. Der Kellner brachte uns verschiedene Speisen, innert Kürze war der Tisch überladen. Mir verschlug es den Appetit. Wie kommt es, dass einige Leute so viel haben, während andere von der Hand in den Mund leben müssen?

swissinfo.ch: Wie geht die Bevölkerung mit dieser schwierigen Situation um?

S.Z.: Der jahrzehntelange Krieg hat die Menschen erfinderisch gemacht. Sie arbeiten sehr hart: Sie eröffnen kleine Shops und Geschäfte, arbeiten im Strassenbau, im Gastgewerbe.

Auch in der Landwirtschaft sind viele tätig: Ich besuchte einen Freund in Andkhoy, einer kleinen Ortschaft nahe der Grenze zu Turkmenistan, 700 km von Kabul entfernt. Auf seinen Feldern wachsen Honigmelonen und Sesam. Zudem hat er Tausend Schafe, sechs Pferde und 15 Kamele.

swissinfo.ch: Hat das Land im Schul- und Bildungssystem Fortschritte gemacht? Und steht dieses auch den Mädchen offen?

S.Z.: Es ist zwar besser geworden, aber noch immer ungenügend. Afghanistan braucht hochqualifizierte Leute wie Ärzte und Ingenieure. Im Moment fehlt dem Land am Hindukusch dazu aber die Infrastruktur.

Was die Bildung für Mädchen betrifft, gibt es zwischen ländlichen Gebieten und grösseren Städten markante Unterschiede. In Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif sieht man Frauen bei der Arbeit, Mädchen und junge Frauen gehen zur Schule oder an die Universität.

Auf dem Land ist es für die Frauen viel schwieriger, und viele Mädchen können nach wie vor keine Schule besuchen.

swissinfo.ch: Was braucht es, damit die vom Krieg geprägte Bevölkerung Afghanistans ein besseres Leben führen kann?

S.Z.: Ich bin zwar kein Politanalyst. Aber mir scheint, dass sich zuallererst die Nachbarländer aus den innerafghanischen Angelegenheiten heraushalten sollten. Und die USA sollten ihr Engagement auf die Sicherheit beschränken.

Ein weiteres Problem stellt die weitverbreitete Korruption dar. Die Leute haben genug davon. Sie muss bekämpft werden.

Zudem braucht es vor allem in ländlichen Regionen ein besseres Gesundheitssystem, Trinkwasseranlagen und bessere Bildung vor allem für Mädchen.

Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch

Am 20. August ist Wahltag in Afghanistan. Über 40 Kandidaten bewerben sich um das Präsidentenamt.

Es ist erst die zweite Präsidentenwahl in der Geschichte des Landes.

Beim ersten Wahlgang 2004 war Hamid Karzai gewählt worden. Er gilt auch diesmal als Favorit.

Im Vorfeld der Wahl kam es zu verschiedenen Bombenanschlägen.

Rund 175’000 afghanische Sicherheitskräfte sind im Einsatz.

Zusätzlich sind rund 100’000 internationale Soldaten im Land. Sie wollen am Wahltag eher im Hintergrund bleiben, um den Eindruck einer Beeinflussung der Wahl zu vermeiden.

Das Land besteht aus 34 Provinzen und zählt 28 Mio. Einwohner.

Der Paschtune lebt in Peschawar, Pakistan.

Der 41-Jährige hat in Bangkok, Thailand, Menschenrechte und Politikwissenschaften studiert.

Danach arbeitete er für verschiedene Nichtregierungs-Organisationen (NGO).

Seit 2003 ist er für das Fairtrade Label “Step” in Basel tätig: Er kontrolliert die Arbeitsbedingungen der Handteppichknüpfer in Pakistan und Afghanistan (Arbeitszeiten, Kinderarbeit).

Die Fairtrade-Organisation engagiert sich seit 1995 für faire Bedingungen in Produktion und Handel von handgefertigten Teppichen.

Sie setzt sich ein für bessere Arbeitsbedingungen und faire Einkaufspreise, für umweltverträgliche Produktions-Methoden sowie gegen missbräuchliche Kinderarbeit.

“Step” ist ein Label der Max Havelaar-Stiftung.

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