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Piraten machen Politik

Ein Pirat gibt seine Stimme ab. EQ Images

Die Affäre um die Wikileaks-Enthüllungen hat auch die Schweizer Piratenpartei ins Scheinwerferlicht gebracht. Diese hat die Schweizer Adresse für die Website von Julian Assange registriert. Die Partei kämpft für den Datenschutz und für Transparenz in politischen Prozessen.

Der Schweizer Ableger der Piratenpartei ist zwar noch jung, doch eilt ihm bereits der Ruf voraus, den seine berühmteren Verwandten im Ausland, namentlich in Schweden, erworben haben.

In Schweden ist die “Piratpartiet” bereits 2006 durch ihren Kampf – auch vor Gericht – um die Auslegung des Urheberrechts im Internet berühmt geworden.

Danach waren fast überall in Europa und weltweit ähnliche Bewegungen entstanden, die bisher vollkommen unabhängig voneinander agieren.

2009 wurde die Piratenpartei Schweiz (PPS) gegründet. Sie zählt gegenwärtig etwa 1200 Mitglieder.

Von den Piraten spricht derzeit die halbe Welt, seit die Enthüllungs-Plattform Wikileaks mit Details aus dem diplomatischen Mailverkehr der USA an die Öffentlichkeit gegangen war. Einige Server der Website werden von der schwedischen Piratpartiet betrieben.

Die PPS hat kürzlich die neue Adresse der Plattform (wikileaks.ch) in der Schweiz registriert. Sie habe aber neben der Unterstützung von Wikileaks auch noch andere Dinge zu sagen, betont Vizepräsident Pascal Gloor im Gespräch mit swissinfo.ch.

swissinfo.ch: Reden wir zuerst über die Aktualität: Wie schätzen Sie die Wirkung von Wikileaks ein? Warum unterstützt Ihre Partei diese Website?

Pascal Gloor: Wikileaks hat uns gezeigt, dass die Art und Weise, wie die US-Regierung – und jene anderer Länder – agieren, nicht als normal eingeschätzt werden darf. Daher unterstützen wir diese Aktion von Wikileaks, denn es ist wichtig, der Bevölkerung zu zeigen, wie die Behörden agieren – in voller Transparenz.

Diese Art von Enthüllungen hat eine Wirkung auf das kollektive Bewusstsein: So hat beispielsweise die US-Stadt Berkeley den Soldaten Bradley Manning, zum “Helden der Nation” nominiert. Dieser hatte Wikileaks die Daten zugespielt, und damit wurden die gravierenden Handlungen der US-Armee in Irak und Afghanistan erst ans Licht gebracht.

Investigativer Journalismus ist die Garantie für ein gutes Funktionieren der Demokratie. Deshalb ist es wichtig, dass es eine Website wie Wikileaks gibt und fundamental, dass der Quellenschutz gewährleistet bleibt.

swissinfo.ch: Der Begriff “Pirat” lässt sofort an illegales Tun denken. Wie interpretieren Sie Ihr “Piratendasein”?

P.G: In unserem Fall bedeutet “Pirat” nicht “Hacker”. Der Begriff leitet sich vielmehr davon ab, dass wir von den Unterhaltungsriesen so bezeichnet werden, denen wir mit dem Herunterladen von Musik oder Filmen über Tauschbörsen aus dem Internet ein Schnippchen schlagen.

Wir haben daher entschieden, den Begriff mit einem ironischen Unterton zu benutzen, uns aber an den Begriff “Kulturpiraten” zu halten.

swissinfo.ch: In welchen politischen Bereichen muss die Piratenpartei Ihrer Meinung nach aktiv werden?

P.G: In der ganzen Welt kämpfen viele Menschen für die freie Meinungsäusserung, für Pressefreiheit und Quellenschutz. Zum Teil mit grossen Opfern. Diese Einsätze haben beachtliche Fortschritte gebracht, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 leider wieder zunichte gemacht wurden.

Indem die Sicherheit vorgeschoben wird, wurden viele Aspekte der Demokratie geschmälert: In den USA beispielsweise wird ein Gesetz ausgearbeitet, das es der Presse verunmöglichen soll, Dokumente der Regierung zu veröffentlichen.

Es ist daher nötig, dagegen anzukämpfen, dass es in der Schweiz nicht zu ähnlichen Situationen kommen kann. So kann zum Beispiel in der Schweiz die Website wikileaks.ch nicht einfach geschlossen werden, wenn sie der Regierung nicht passt. Dafür braucht es den formalen Entscheid eines Gerichts, mit Begründung.

Doch auch in der Schweiz stellen wir fest, dass die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger immer mehr bedrängt wird; denken wir an die Erhebung von biometrischen Daten für den Pass, Überwachungskameras, die Möglichkeit, herauszufinden, wem eine bestimmte Autonummer gehört oder den Vorschlag, sich obligatorisch identifizieren zu müssen, um eine Prepaid-Wireless-Karte kaufen zu können.

swissinfo.ch: Aber viele dieser Massnahmen wurden ergriffen, um der Internet-Kriminalität einen Riegel zu schieben…

P.G.: Klar, der Missbrauch im Internet muss bekämpft und bestraft werden. Er darf aber nicht als Vorwand benutzt werden, um in die Privatsphäre der Bevölkerung einzudringen.

Wenn ich in einem öffentlichen Lokal einen anderen Kunden beleidige, muss ich mich zu Recht dafür vor einem Gericht verantworten. Aber niemand kann mich dazu zwingen, vor Betreten der Bar Angaben zu meiner Person zu hinterlegen!

Das Internet ist ein extrem wirkungsvolles Kommunikationsmittel, doch es bleibt ein Kommunikationsmittel. Es handelt sich nicht um einen Ort an sich, also macht es keinen Sinn, extra dafür Gesetze zu entwickeln. Die Technologie kann weder gut noch böse sein; es hängt alles davon ab, zu welchen Zwecken man sie einsetzt.

swissinfo.ch: Die PPS verteidigt die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, verlangt im öffentlichen Sektor aber maximale Transparenz.

P.G: Genau. Ich als Vize-Präsident der PPS zum Beispiel bin den Parteimitgliedern Rechenschaft über meine Tätigkeit schuldig. Ausserdem kann ich durch meine Position Einfluss darauf nehmen, welchen Gebrauch die Medien von meinem Bild machen.

Transparenz verlangen und leben wir in den Bereichen Arbeit und Entscheidungsprozesse, aber nicht beim Privatleben. Konkret werden beispielsweise unsere Sitzungsprotokolle – auch für die Öffentlichkeit zugänglich – im Internet zur Verfügung gestellt, so wie wir auch kein Geheimnis aus der Anzahl unserer Mitglieder machen.

swissinfo.ch: Wie stehen Sie zu den traditionellen Schweizer Parteien? Gibt es gemeinsame Punkte in den Parteiprogrammen?

P.G.: Der Geschichte um Wikileaks verdanken wir, dass gezeigt wurde, dass in der Politik kaum jemand ernsthaft und bewusst an den rechtlichen Fragen interessiert ist, die im Zusammenhang mit neuen Technologien entstehen.

Die PPS ist die einzige Partei in der Schweiz, die zu digitalen Themen eine politische Position einnimmt. Die anderen Parteien fallen einzig durch ihre Abwesenheit in diesem Gebiet auf, oder sie speisen das Thema mit ein paar Sätzen am Ende ihres Parteiprogramms ab.

Wir gehen auf alle Parteien ohne Vorurteile zu, indem wir nach gemeinsamen Punkten suchen. Was wir in deren Strategien betreffend neue Technologien festgestellt haben, ist jedoch weniger ein Konflikt zwischen rechts und links, sondern vielmehr ein Graben zwischen den Generationen. Es überrascht deshalb nicht, dass wir uns am besten mit den jungen Grünen und den Jungfreisinnigen verstehen.

Zu den Eckpfeilern der Piratenpartei Schweiz (PPS) gehören der Schutz der Privatsphäre und der Datenschutz. Besonders die Erhebung personenbezogener Daten soll auf das absolute Minimum beschränkt sein. In Notfällen sollen eine richterliche Genehmigung und Kontrolle zwingend sein. Die Verwendung der Daten soll transparent gemacht werden.

Weiter fordert die PPS die Transparenz des Staatswesens: Abhängigkeiten zwischen Unternehmen und Politikern sowie die Finanzierung politischer Parteien sollen publik gemacht werden. Politische Entscheidungsprozesse sollen transparent und nachvollziehbar sein.

Zensur lehnt die Partei sowohl inner- wie auch ausserhalb des Internets “kategorisch” ab. Der Kampf gegen rechtswidrige Angebote im Internet müsse jederzeit mit rechtsstaatlichen Mitteln geführt werden.

Infrastruktur-Monopole dürften nur dort aufrecht erhalten werden, wo dies absolut notwendig sei und regelmässig überprüft werden könne. Parallelimporte sollen uneingeschränkt zugelassen werden.

Weiter soll die öffentliche Hand ausschliesslich offene Systeme und Dokumentformate verwenden, um nicht in eine Abhängigkeit zu geraten.

Schliesslich kämpft die PPS gegen ein Verbot für Gewalt beinhaltende Spiele für Erwachsene. Videospiele seien ein Kulturgut. Vielmehr sei auf eine Stärkung des bestehenden Jugendschutzes und die Förderung der Medienkompetenz der Eltern zu setzen.

Quelle: Piratenpartei

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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