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Politische Reife ist keine Frage des Alters

Nadine Masshardt setzt sich in Bern für eine Senkung des Stimmrechts-Alters auf 16 Jahre ein. Bild: Béatrice Devènes Béatrice Devènes

Verschiedene Kantonsparlamente haben sich zum umstrittenen Stimmrechtsalter 16 geäussert: Glarus führt es ein, Graubünden und Zürich lehnen ab. In Bern kommt die Vorlage 2008 vors Volk.

Initiiert hat dies in Bern die 22-jährige sozialdemokratische Kantonsrätin Nadine Masshardt. Im Gespräch mit swissinfo kombiniert sie Stimmrechts-Alter mit mehr staatspolitischer Bildung und E-Voting.

Ob Jugendliche statt wie bisher mit 18 in Zukunft bereits mit 16 Jahren abstimmen und wählen dürfen, ist in mehreren Kantonen ein Politikum. In Bern, wo das Volk darüber befinden wird, engagiert sich die Studentin Nadine Masshardt. Die jüngste Grossrätin (Kantonsparlamentarierin) setzt sich für eine Senkung des aktiven Stimmrechtsalters ein.

Die Überalterung der Bevölkerung sorge für eine ungleichgewichtige Verteilung zuungunsten der Jungen, sagt die Grossrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP)aus Langenthal. Dabei seien gerade diese von den Entscheiden stark betroffen.

swissinfo: Was erhoffen Sie sich von einer Reduktion des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 16 Jahre?

Nadine Masshardt: In erster Linie ein positives Signal an die Jugendlichen – egal ob sie die Möglichkeiten dann nutzen. Es gäbe ihnen das Gefühl, ernst genommen zu werden. Sie wüssten dann, dass jene, die wollen, stimmen gehen könnten.

Verbunden mit einer Verstärkung der staatspolitischen Bildung in der Volksschule gäbe ihnen das auch mehr Motivation, sich politisch aktiv zu betätigen.

swissinfo: Weshalb glauben denn viele Jugendliche selbst nicht daran, dass sie in diesem Alter politisch reif sind?

N.M.: Für mich ist die politische Reife keine Frage des Alters. Die oft schwache Stimmbeteiligung, gerade bei kantonalen Vorlagen, zeigt doch, dass auch die Älteren nicht immer politisch reif sind! Sonst würden sie ja vermehrt wählen und stimmen gehen.

swissinfo: Sie verlangen gleichzeitig mehr Staatskunde-Unterricht in der Schule. Wie müsste die Jugend ihrem Alter entsprechend “abgeholt” werden?

N.M.: Es geht mir nicht nur um mehr, sondern auch um bessere staatspolitische Bildung. Kennen sich die Schüler dann besser aus, ergibt sich das niedrigere Stimmrechtsalter als Konsequenz daraus.

“Abholen” kann man die Jugendlichen nur dann, wenn man ihnen zeigt, wie direkt betroffen von der Politik sie sind. Bereits in ihrem jungen Leben hängt vieles von Politik ab.

Wieviel Nachtbusse sollen am Wochenende fahren, wie viele Wochen Ferien haben Lehrlinge, welchen Wald- oder Gewässerputz nehmen sich Schulklassen vor – bereits das sind erste konkrete politische Entscheide.

Das aktive Stimmrechtsalter 16 soll der Jugend nicht nur die Rahmen-Institutionen und Initiativen oder Referenden näherbringen, sondern auch Debatten und Podien zu inhaltlichen Themen gehören dazu.

swissinfo: Müsste man nicht parallel zur Altersreduktion der Jugend auch in ihrer Kommunikationsform entgegenkommen, zum Beispiel mit E-Voting?

N.M.: Natürlich würde ich E-Voting begrüssen. Jede Massnahme, die eine Verbesserung der Stimmbeteiligung bewirkt, ist begrüssenswert. Denn auch die Älteren sind ja, was das betrifft, nicht wirklich ein Vorbild.

E-Voting mag den Kommunikationsweg vereinfachten, aber nicht die Prozedur. Die teils sehr komplizierten Abläufe, zum Beispiel bei den Nationalratswahlen, werden mit E-Voting nicht einfacher.

Die Stimmbeteiligung erhöht man durch mehr Dialog und das Aufzeigen direkter Betroffenheit.

Ideal wäre eine Kombination verschiedener Massnahmen: Besserer Unterricht, niedrigeres Stimmrechtsalter und neue Kommunikationsformen.

swissinfo: Sie sind jetzt 22 Jahre alt. Weshalb haben Sie sich schon so früh für Politik interessiert?

N.M.: Mein Interesse kam “schleichend”. Auch durch Diskussionen mit jenen Gleichaltrigen, die in einer total anderen politischen Ecke standen. Da fühlte ich mich herausgefordert. Aber in die Wiege gelegt wurde es mir nicht – ich komme weder aus einer Politiker- noch einer verpolitisierten Familie.

Einer Partei schloss ich mich erst nach der Matura an. Nicht nur die Parteiarbeit, sondern kleine Dinge, wie die Sorge für mehr Veloparkplätze, sind für mich bereits Politik. Solche Aktionen haben mir gezeigt, wieviel bewegt werden kann, wenn man politisch aktiv ist.

Ausserdem besass ich schon als Kind einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich habe gerne geholfen, unterstützt und mich engagiert.

swissinfo: Beim Stichwort Gerechtigkeit fällt der Begriff des Generationenvertrags. Sie sagen, dieser würde durch ein niedrigeres Stimmrechtsalter gestärkt. Wie ist das zu verstehen?

N.M.: Die Schweizer Bevölkerung wird ja immer älter. Demnach nimmt der Anteil der Jüngeren ab. Und bei politischen Entscheiden geben immer mehr die Älteren mit ihrem Stimmengewicht den Ausschlag.

Obwohl es zunehmend die Jungen sind, welche die Folgen tragen. Sie werden zukünftig mit ihren Lohn-Beiträgen die AHV- und Kranken-Kassen füllen müssen.

Auf diesem Generationenvertrag, also auf der Solidarität zwischen Jung und Alt, beruhen die Sozialwerke. Ein Dialog ist deshalb wichtig. Und es wäre nur gerecht, wenn sich dank Stimmrechtsalter 16 mehr Junge daran beteiligen dürfen.

swissinfo: Wären Sie dafür, dass das Stimmrechtsalter 16 auch für eidgenössische Vorlagen gelten soll?

N.M.: Natürlich sollten wir das aktive Stimmrechtsalter 16 auch auf eidgenössischer Ebene angehen. Themen wie Klimawandel, neue Armut, die so genannte “Generation Praktikum” etc. betreffen die Jungen und ihre Zukunft ganz direkt, und zwar weit über die lokale und kantonale Ebene hinaus.

swissinfo-Interview: Alexander Künzle

Am 6. Mai 2007 erlaubte die Landsgemeinde in Glarus den 16- und 17-Jährigen das aktive Stimm- und Wahlrecht.

Am 12. Juni hat in Bern der Grossrat zur Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre Ja gesagt. 2008 wird das Stimmvolk entscheiden.

Mitte Juni verwarf das Kantonsparlament in Graubünden einen entsprechenden Vorstoss knapp.

Am 18. Juni verwarf das Zürcher Kantonsparlament eine Einzelinitiative zu diesem Thema.

Im Kanton Tessin hat eine Koalition von SP bis Lega einen entsprechenden Vorstoss eingereicht.

Es geht dabei nur um das aktive Recht des Wählens/Stimmens, nicht um das passive Recht, sich wählen zu lassen.

Geboren 1984, aufgewachsen in Langenthal.
2003 Matura, seither Studium der Philosophie und Geschichte in Freiburg.
Stimm- und wahlberechtigt (18-Jährig) trat sie 2003 der Sozialdemokratischen Partei (SP) bei.
2004 war sie Mitleiterin der regionalen Jugendsession in Biel.
2004 Wahl in den Stadtrat Langenthal.
Im April 2006 Wahl in den Berner Grossen Rat (Kantonsparlament). Besonderes Augenmerk: umweltfreundliche Energie, öffentlicher Verkehr, zielgerichtete Bildung, genügend Lehrstellen.
Nationalratskandidatin 2007.
Hobbies: Alle Arten von Tanz, Kultur, Literatur, Theater.

Geschichtlich gesehen war lange Zeit das Stimm- und Wahlrecht erst ab 21 Jahren zugestanden.

Im 20. Jahrhundert wurde in zahlreichen Ländern das Alter auf 18 Jahre reduziert.

Während der Jahrtausendwende kam die Frage einer weiteren Reduktion auf.

Einige Bundesländer in Deutschland senkten das Alter für Gemeindeabstimmungen auf 16 Jahre. Den Anfang hatte 1995 Niedersachsen gemacht.

Auch in Österreich senkten einige Bundesländer nach dem Jahr 2000 das Alter für Gemeindeabstimmungen ebenfalls auf 16.

Anfang Juni hat Österreich als erstes und bisher einziges europäisches Land das Alter für das aktive Wahlrecht für alle Belange auf 16 Jahre gesenkt.

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