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Schweizer Wirtschaft immer noch dem “Jugendwahn” verfallen

Das Wissen von älteren Mitarbeitern ist für Unternehmen oft Gold wert. Keystone

Die Bevölkerung und damit auch die Arbeitnehmenden werden immer älter. Doch die Schweizer Unternehmen sind auf diese Entwicklung kaum vorbereitet.

Gemäss einer Studie des Adecco-Instituts in acht europäischen Ländern liegt die Schweiz bei der “demographischen Fitness” auf dem zweitletzten Platz.

“Die Alterung der Arbeitskräfte ist eine unumkehrbare Entwicklung”, sagte Peter Siderman, Direktor des Adecco-Instituts. Fast die Hälfte der Schweizer Unternehmen habe aber bisher noch keine Pläne gemacht oder gar Massnahmen getroffen, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Dies zeigt der erstmals erhobene Demographische Fitness Index (DFX), der am Dienstag vorgestellte wurde. Fakt ist aber, dass die Firmen in der Schweiz mehrheitlich immer noch auf junges Personal setzen.

Die Quintessenz: Bei der “demographischen Fitness” belegen die 500 befragten Schweizer Firmen nur gerade den vorletzten Rang vor den französischen Unternehmen. Am besten abgeschnitten haben Grossbritannien vor Italien, Belgien, Spanien, den Niederlanden und Deutschland.

Handlungsbedarf

“In der Schweiz werden in den nächsten zehn Jahren die Menschen über 40 Jahren die Mehrheit bilden”, sagte Adecco-Schweiz Direktor Michael Agoras. Bis 2020 werde die Zahl der Arbeitskräfte im Alter zwischen 30 und 44 Jahren um ein Fünftel abnehmen, diejenige der Angestellten zwischen 50 und 64 dagegen um ein Drittel zunehmen.

Das Paradox: Obwohl das Problem von einer Mehrheit der Firmen anerkannt werde, würden knapp zwei Drittel der Unternehmen nicht einmal die Altersstruktur der eigenen Belegschaft kennen.

Unterschiedliche Noten

In den einzelnen Kriterien des Index schnitten Schweizer Firmen unterschiedlich ab. Verbesserungsfähig wäre danach hierzulande etwa die Laufbahnplanung für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Top sind Schweizer Firmen im Angebot für Weiterbildung – bei älteren Arbeitnehmern finde nämlich ein schleichender Rückgang des Know-hows statt, sagte Siderman. Gute Noten erhält die Schweiz auch für das stärker als in anderen Ländern auf Leistung ausgerichtete Lohnsystem.

Dagegen hapert es in der Schweiz beim Wissensmanagement: Dabei geht es um die Weitergabe von Wissen der älteren Mitarbeitenden an Jüngere.

Umdenken nötig

Gar den letzten Platz belegt die Schweiz im “Gesundheitsmanagement”: Dabei denken die Studienverfasser an medizinische Prüfungen bei der Arbeit, an Gesundheitsberatung oder Entspannungsprogramme.

“Das Ergebnis ist für die Schweiz wie für die anderen sieben europäischen Länder, die wir bisher untersuchten, nicht berauschend”, kommentierte Wolfgang Clement, Vorsitzender des Adecco Instituts und ehemaliger deutscher Minister für Wirtschaft und Arbeit.

“Künftig können wir nicht mehr mit 60 oder 62 Jahren pensioniert werden”, sagte Clement. Im Gegensatz zu früher lebten die Menschen heute 80 und bald 90 Jahre lang.

Wer backt den Kuchen?

Besorgt über die Überalterung zeigte sich am Dienstag auch die Schweizerische Nationalbank (SNB). “Der Kuchen muss grösser werden, aber es gibt immer weniger Bäcker”, sagte SNB-Ökonom Nicolas Cuche-Curti in Basel. In der Schweiz müsse künftig mit weniger Ressourcen mehr produziert werden, was die Wirtschaft vor Probleme stelle.

“Damit die Schweiz wächst, muss in Zukunft mehr oder besser gearbeitet werden, oder beides”, sagte Cuche-Curti weiter. Wolle die Schweiz ihren Wohlstand halten, müsse sie ihre Produktivität weiter steigern. Laut dem Nationalbank-Experten sind insbesondere Frauen und Ausländer vermehrt in die Arbeitswelt zu integrieren.

swissinfo und Agenturen

Das Bundesamt für Statistik stellte 2006 eine Studie über die Überalterung der Schweizer Gesellschaft vor.

Laut dem wahrscheinlichsten Szenario wird die Zahl der Todesfälle diejenige der Geburten 2025 übersteigen.

2050 könnten in der Schweiz mehr als ein Viertel der Bevölkerung älter als 64 Jahre sein.

Entstanden 1996 aus der Fusion von Ecco (Frankreich) und Adia (Schweiz), ist das Unternehmen heute der grösste Stellenvermittler der Welt. Der Hauptsitz ist im Kanton Waadt.

Adecco zählt rund 35’000 Mitarbeiter, die sich auf 6700 Filialen in 70 Ländern verteilen.

Das Adecco Institut mit Sitz in London wurde im Herbst 2006 gegründet und wird finanziell vom Mutterhaus unterstützt.

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