Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Teures Erdöl: Schmiermittel oder Bremsklotz?

Noch zu 55% hängt die Schweiz energetisch von fossilen Trägern ab. Treibstoffe machen einen wichtigen Anteil davon aus. Keystone

Als Dienstleistungs-Standort ist die Schweiz heute weniger von Erdölpreiserhöhungen betroffen als früher, als Industrie-Standort. Als Exportnation kann das Land daraus sogar Nutzen ziehen.

Langfristig steigt der Erdölpreis ohnehin. Entscheidend ist aber der Grund: Steigt er, weil die Weltwirtschaft wächst, wirkt dies als Schmiermittel. Steigt er aber, weil das Erdöl knapp wird, bremst dies die Schweizer Konjunktur.

“Der Erdölschock von 1973 war Folge eines Angebotsschocks”, sagt Rolf Hartl von der Erdölvereinigung. “Die Industrieländer dachten damals, die Erdölstaaten würden den Ölhahn schliessen.” Heute, nach den markanten Erdölpreiserhöhungen seit 2003, sei es aber die Nachfrage, besonders aus Asien, die rasant gestiegen sei. “Das ist Ausdruck einer robusten Konjunktur.”

Bleibe die Weltkonjunktur auch 2008 robust, so Hartl gegenüber swissinfo, werde es auch mit der Schweizer Wirtschaft gut weitergehen. Kühle sich die Weltkonjunktur jedoch ab, würde auch der Erdölpreis markant nachgeben.

Sei die lebhafte Weltkonjunktur die Ursache der Preissteigerung, so meint auch Bruno Parnisari, der Konjunkturspezialist des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), könne die Schweiz damit gut leben. Dann bliebe die internationale Nachfrage nach Schweizer Produkten gross, und die Schweiz könnte weiter exportieren.

Ursache ist wichtiger als Umstand

Ein weiterer Ökonom, Alexis Körber vom BAK Basel, bestätigt dies: “Seit 2003 steigt der Erdölpreis markant, und dennoch verzeichnet die Schweizer Konjunktur seither starke Wachstumsraten.”

Sei jedoch eine Angebotsverknappung Grund für die Preishausse, aus politischen Gründen oder weil die Reserven zur Neige gehen, könnte dies die Weltwirtschaft stark beeinträchtigen und damit auch die Schweizer Exportaktivitäten bremsen.

Positiver Effekt der Verlagerung

Rolf Hartl, der die Erdölindustrie vertritt, verweist auf den Strukturwandel: Die Schweiz sei heute viel weniger erdölabhängig als 1973, als der Erdölanteil an der Schweizer Energie noch satte 80% betrug. “Heute ist dieser Anteil auf 55% gefallen.”

Durch die Globalisierung hat die Schweiz ihre Industrieproduktion verlagert und damit auch einen Teil des Erdölbedarfs. Es verbleiben die wertschöpfungsstarken Industrien wie die Pharma, und deren Produkte seien preisunelastisch, sagt Bruno Parnisari.

Damit ist gemeint, dass Produkte oder Dienstleistungen, hinter denen eine hohe Wertschöpfung steckt, auf den Weltmärkten immer verkauft werden können – ob sie nun teuer oder günstig erscheinen. Viele Arzneimittel zum Beispiel seien unverzichtbar und würden zu jedem Preis verkauft, solange es kein gleichwertiges Konkurrenzprodukt gäbe.

Und je mehr die Weltkonjunktur wachse, so Parnisari, desto besser entwickle sich die Nachfrage nach diesen mit viel Technologie hergestellten Schweizer Produkten.

Finanzplatz Schweiz profitiert vom hohen Erdölpreis



Aber auch für die Dienstleistungs-Sektoren der Schweiz spielt der Erdöl-Preis eine Rolle. “Innerhalb des Finanzplatzes Schweiz hat sich der Rohstoff-Handel stark entwickelt”, sagt Parnisari gegenüber swissinfo.

Dazu gehört auch das Geschäft mit fossilen Energieträgern. Da gelte: Je mehr die Rohstoffpreise steigen, desto besser. Auch viele Anlagefonds und weitere Dienstleistungen profitierten davon.

“Unter dem Strich bleibt aber unklar, wieviel die Schweiz von Preissteigerungen beim Erdöl profitiert und wie stark sie darunter leidet.” Die Ertragsbilanz zeige die positiven Effekte auf den Finanzplatz. Doch regional könne das stark variieren: Genf, Zürich und Zug sind nicht die gesamte Schweiz.

Was würde nun mit der Schweizer Konjunktur passieren, wenn sich 2008 der Erdölpreis nochmals verdoppelt und er Ende Jahr rund 200 Dollar pro Barrel betrüge? Ökonomen inklusive der Vertreter der Erdölindustrie sind sich einig: Auch auf den künftigen Konjunkturverlauf sei weniger die Preissteigerung an sich als die Frage nach ihrer Ursache ausschlaggebend.

Wechselkurse weniger wichtig

Nun ist in den letzten Tagen wieder Bewegung in den Wechselkurs des Schweizer Frankens gekommen: Er notierte stärker, auch gegenüber dem Euro. Dies verteuert tendenziell die Schweizer Exporte. “Kaum ein Problem”, sagt Parnisari, “die ausländische Nachfrage ist viel wichtiger für die Schweizer Exporte als der Wechselkurs.”

Denn Schweizer Ausfuhrprodukte seien wegen ihrer hohen Wertschöpfung auch bei einem teureren Franken zu verkaufen. Einzige Ausnahme bilde der Tourismus, eine Export-Dienstleistung. Hier beschneide ein stärker werdender Franken die Nachfrage nach Reisen in die Schweiz sehr schnell und direkt.

Noch keine Lösung mit erneuerbare Energien

Das Heil für die Schweizer Wirtschaft liegt in der weiteren Reduktion der Abhängigkeit von Erdöl, also von fossiler Energie. Seit der Erdöl-Preishausse ab 2003 versucht man mit viel Medienpräsenz, diese Lösung mittels alternativen und umweltverträglichen Energien zu erreichen.

Ihre statistische Präsenz beim Anteil des realen Energieverbrauchs der Schweiz bleibt im Gegensatz dazu extrem klein. Körber vom BAK relativiert das Gewicht der alternativen Energien auch für die Zukunft: Zwar wachse ihr Anteil umso schneller, je höher die Preise für fossile Energie klettern. Doch genüge das bei weitem nicht.

Teils ziehe dieser Trend auch den Preis der alternativen Energien mit in die Höhe: Biodiesel zum Beispiel habe sich ebenfalls verteuert.

Körber sieht deshalb wie viele andere Ökonomen die Lösung des Problems, also eine Verringerung der Abhängigkeit vom Erdöl, primär in der Energieeinsparung, und viel weniger in der Anwendung alternativer Energien.

swissinfo, Alexander Künzle

Fast zwei Drittel des Schweizer Energiebedarfs wird durch Erdöl und Erdölprodukte gesichert.

Schiffe, Eisenbahnen, Lastwagen und Pipelines bringen jährlich rund 12 Mio. Tonnen Erdöl in die Schweiz. Davon waren 2003 rund 8 Mio. Tonnen Fertigprodukte aus der EU.

Am meisten verbraucht wird mit 5 Mio. Heizöl, gefolgt von 3,5 Mio. Benzin, 1,9 Mio. Diesel.

Der Bewohner der Schweiz verbraucht durchschnittlich 10,5 kg Öläquivalent pro Tag, gegenüber dem Nordamerikaner mit 17,5 kg, oder dem Westeuropäer (10,9 kg).

Als Anteil der Energieträger am Endverbrauch entfallen 55% auf Erdöl, 23,4% auf Strom und 12% auf Erdgas.

Es gibt zwei wichtige Sorten von Erdöl: Brent (Preisniveau in der Nordsee) und West Texas Intermediate (WTI, “Sweet Crude”).

Sweet Crude ist leichter und deshalb meist etwas teurer.

Die Politik der Lagerbestände in den grossen Verbrauchsländern kann die Märkte verzerren, die Spekulation ebenfalls.

Spekulanten haben sich 2007 wegen der Dollarschwäche für Erdöl als Anlageform entschieden. Spekulanten benötigen das Öl selbst nicht, sondern benutzen es als besser rentierende Investition.

Die Folge sind Preise, die über dem realen Nachfragebedürfnis liegen.

Dass der Erdölpreis langfristig steigen wird, ist unbestritten. Denn die günstig ausbeutbaren Vorkommen sind beschränkt. Und mit China und Indien sind zwei riesige Schwellenländer als Nachfrager dazugestossen, die selbst erdölarm sind.

Erdöl kann zum Beispiel auch aus Schiefervorkommen gewonnen werden, wobei dieser Abbau viel teurer ist.

Über den Jahreswechsel ist die psychologisch wichtige 100-Dollar-Marke für ein Fass (Barrel) erreicht worden, nachdem sich der Preis 2007 etwas mehr als verdoppelt hat.

Auf mittlere Frist rechnen viele Fachleute mit einem Nachgeben des Preises auf 70 bis 80 Dollar, wegen der US-Konjunkturabschwächung.

Ob aber der so genannte Peak Oil (Höhepunkt der geförderten Menge an Öl) schon erreicht oder bereits überschritten ist, weiss niemand.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft