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Völkermord: Niemals wieder?

Bosnischer Muslim trauert auf einem Friedhof bei Srebrenica um Opfer des serbischen Völkermordes im Balkan-Krieg. Keystone

Die UNO-Völkermordkonvention ist 60 Jahre alt. Für das internationale Recht ist sie zwar ein grosser Fortschritt, ihre Wirksamkeit ist aber bis heute nicht ausreichend. Zu diesem Schluss kamen Experten an einer internationalen Konferenz in Bern.

“Niemals wieder!”, hiess es nach den grauenhaften Verbrechen des Dritten Reiches und der Vernichtung von sechs Millionen Juden. Unter diesem Eindruck verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948 die UNO-Völkermordkonvention.

Die internationale Gemeinschaft bekräftigte damit ihren Willen, künftig Genozid und Völkermordverbrecher bestrafen zu wollen.

Zum 60. Jahrestag der UNO-Völkermordkonvention zogen an dem Treffen in Bern internationale Experten Bilanz und stellten sich die Frage, ob die Konvention ein geeignetes Instrument zur Verhinderung von Genoziden in der Zukunft sei.

Versprechen nicht eingehalten

“Niemals wieder!” – Dieses Versprechen konnte nicht eingehalten werden. “Ich muss das mit einem grossen Seufzer feststellen”, sagt Ruth-Gaby Vermot-Mangold, Präsidentin der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), gegenüber swissinfo.

“Ich habe die Liste aller Genozide der letzten 100 Jahre angeschaut. Da folgt eigentlich ein Genozid dem anderen”, so die GfbV-Präsidentin. “Der internationalen Gemeinschaft ist es nicht gelungen, Genozide zu verhindern, wie dies die Konvention eigentlich möchte.” Vermot-Mangold erinnert an die Völkermorde und völkermordähnlichen Verbrechen in Kambodscha, Ruanda, Bosnien-Herzegowina und Darfur (Sudan).

Nur ein Fetzen Papier?

Die UNO-Völkermordkonvention also nur ein Fetzen Papier? “So möchte ich das nicht sagen. Ich glaube schon, dass mit dem Instrument der UNO-Konvention Vermittlung in Konflikten aufgenommen, eingegriffen werden kann”, erklärt Vermot-Mangold.

“Mediation, Friedensarbeit, mit den Rebellen, der Regierung, den verschiedenen Akteuren eines Konfliktes an den Tisch sitzen. Dazu ist die Konvention trotz allem ein Instrument.” Diese müsse aber ausgebaut und ernster genommen werden, meint die GfbV-Präsidentin. Eine Ansicht, die in seinem Referat auch Professor William A. Schabas, Direktor des Irischen Zentrums für Menschenrechte an der National University o Ireland, Galway, vertrat.

Ähnlich tönt es bei Juan E. Mendez, früherer Sonderberater für Genozid-Prävention (2004-2007) des UNO-Generalsekretärs. “Die Konvention fordert die Verhinderung von Völkermord, sagt aber nicht wie”, erklärte er an der Konferenz.

Für den Argentinier, der heute Präsident der Nichtregierungs-Organisation (NGO) International Center for Transitional Justice (ICTJ) in New York ist, sind diese Elemente zentral: Bestrafung der Völkermord-Verantwortlichen durch den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), humanitäre Hilfe und Wiedergutmachungs-Massnahmen für die Opfer sowie Friedensverhandlungen zwischen allen Konfliktparteien.

Und die Schweiz?

Spätestens seit ihrem Beitritt zur UNO-Völkermordkonvention im Jahr 2000 ist auch die Schweiz rechtlich verpflichtet und mitverantwortlich, dass Wirksamkeit und Bedeutung der Konvention weiter gestärkt werden. Obwohl für Ruth-Gaby Vermot-Mangold alle Länder nicht genug tun, um dieses Ziel zu erreichen, lobt die GfbV-Präsidentin die Schweiz.

“Gerade in Darfur-Sudan ist die Schweiz sehr aktiv. Und diese Aktivitäten sind nicht nur einfach diplomatischer Natur. Da gibt es Leute, die als Mediatoren wirken und sehr gute Arbeit leisten. Das kann die Schweiz als kleines, neutrales Land, sie hat da auch viel Erfahrung. Diese wichtige Arbeit der Schweiz muss unterstützt und anerkannt werden.”

Mit allen reden?

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey verfolgt eine Politik, wonach man in einem Konflikt zwecks Vermittlung mit jedermann verhandeln soll, auch mit Führerpersonen, die nachweislich Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder gar Genozid ähnliche Taten begangen haben. Nach Ansicht der beiden Konferenz-Referenten Schabas und Mendez darf solchen Personen aber keine Straffreiheit garantiert werden.

Ganz anderer Meinung sei da die frühere Chefanklägerin des Ex-Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, Carla Del Ponte. Er habe mit der heutigen Schweizer Botschafterin in Argentinien darüber gesprochen, sagte Mendez. Ihre Position laute: “Zuerst verhaften, dann erst reden.”

Vermot-Mangold unterstützt die Politik der Schweizer Aussenministerin und führt ein Beispiel aus Darfur an: Dort gibt es Frauenorganisationen auf der Opfer-Seite, die versuchen, mit den Müttern von Täter-Milizen zu reden, um diese zu motivieren, mit ihren Söhnen zu sprechen und sie zur Vernunft zu bringen. “Es braucht also verschiedene Ideen, Kreativität, um in solchen Konflikten versöhnend zu arbeiten und Genozide zu stoppen. Und die UNO-Völkermordkonvention kann ein Instrument dazu sein.”

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

In Ruanda ist die Umsetzung der UNO-Völkermordkonvention gescheitert: In dem ostafrikanischen Land wurden vom 6. April bis Mitte Juli 1994 zwischen 800’000 und einer Million Tutsi von Milizen der Hutu-Mehrheit umgebracht.

Dieser Völkermord sei voraussehbar gewesen, sagte die britische Journalistin, Autorin und Ruanda-Expertin Lina Melvern an der Berner Konferenz. Ein Radiosender (RTLM) habe extremistische Propaganda gegen die Tutsi-Minderheit im Land und einen nötigen “Präventivschlag” gegen diese gepredigt.

Dass ein Genozid “in der Luft lag”, hätten sieben Menschenrechtsberichte beschrieben.

Der zuständige UNO-Truppen-Kommandant, der kanadische General Roméo Dallaire, habe den UNO-Sicherheitsrat vor Ausbruch des Genozids darum gebeten, Radio RTLM einstellen zu dürfen. Sein Begehren sei jedoch abgelehnt worden, so Melvern.

“Das IKRK meldete nach der ersten Woche der Gewaltausbrüche, dass täglich 10’000 Tutsi umgebracht wurden. Aber der UNO-Sicherheitsrat debattierte drei Wochen lang nicht einmal darüber. Am 29. April dann diskutierte der Rat von 11.30 Uhr bis am nächsten Tag um 13 Uhr darüber, ob die Vorgänge als Völkermord zu bezeichnen seien und verneinte dies”, sagte Melvern.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine Menschenrechts-Organisation, die sich für ethnische Minderheiten und indigene Völker einsetzt, welche von Völkermord, Vertreibung, Verfolgung und Diskriminierung betroffen sind.

Die GfbV dokumentiert diese Menschenrechts-Verletzungen, informiert die Öffentlichkeit und nimmt die Interessen von Betroffenen gegenüber Behörden und Entscheidungsträgern wahr.

Die GfbV ist international vernetzt und besitzt einen beratenden Status bei der UNO und beim Europarat.

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