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“Das tun, was glücklich macht”

Die Schweizerin Andrea Leuenberger berät Tourismus-Unternehmen in Usbekistan. swissinfo.ch

Die Schweizerin Andrea Leuenberger lebt seit 1997 in Usbekistan. Dort hilft sie dem lokalen Tourismus-Business auf die Sprünge.

Begonnen hatte alles mit einem einfachen Besuch von Freunden in der usbekischen Stadt Samarkand.

Andrea Leuenberger hatte eben ihre Zusatzausbildung im Hotelfach am Belvoire in Zürich absolviert, als sie sich 1997 voller Vorfreude auf den Weg nach Zentralasien machte. Vielleicht würde sie ja gar ein Hotel finden, dem sie helfen könnte?

Die heute 39-Jährige fand nicht nur ein Hotel, sondern eine ganze Branche, der man helfen konnte, als sie 1997 das erste Mal in in das sagenhafte Land mit seinen geschichtsträchtigen Medressen (islamische juristisch-theologische Schulen), Moscheen und Basare reiste, das im Norden an Kasachstan und im Süden an Afghanistan grenzt.

Hier hat der Tourismus eigentlich eine Zukunft, aber er war in den Sowjetzeiten stehen geblieben: schlechter Service, kleines Angebot, keine Zukunftsperspektive. “Mir war sofort klar: Hier kann ich etwas bewegen. Wenn alles schon perfekt funktioniert, langweile ich mich”, so Andrea Leuenberger.

Eigene Kultur nicht über Bord werfen

Der Zufall wollte es, dass der damalige deutsche Botschafter im Rahmen eines Projektes des Centrums für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) vorhatte, kleine und mittlere Unternehmen im Tourismus zu fördern und so in einem wirtschaftlich schwierigen Land Arbeitsplätze zu schaffen. “So kam ich zu meinem Job”, erzählt Andrea Leuenberger.

“Ich öffne diesen Betrieben die Augen”, beschreibt die energische Frau ihre Arbeit. “Warum kommt ein Besucher überhaupt hierher? Was erwartet er? Ich helfe beim Marketing, arbeite Strategien aus und berate in finanziellen Fragen. Ich zeige den Unternehmern den ganzen Tag die internationale Perspektive und ermuntere sie gleichzeitig, ihre kulturellen Eigenheiten nicht über Bord zu werfen.”

Vom Wanderfieber gepackt

Manchmal wundert sich Andrea Leuenberger selber darüber, woher ihr Wanderfieber stammt. Sie wuchs in Solothurn auf, der Vater stammt aus dem Emmental, die Mutter aus Dänemark.

Das Gymnasium brach Andrea Leuenberger vor der Matur ab und machte später eine kaufmännische Lehre. “Ich wollte nicht studieren, sondern schnell finanziell unabhängig sein.” Sie zog nach Genf, dachte, hier würde sie bleiben, heiraten und Kinder bekommen.

Doch dann packte sie Anfang zwanzig das Reisefieber, sie hatte die Bücher von Ella Maillard über Zentralasien gelesen. “Diese Bücher haben mich darin bestärkt, den Versuch zu wagen”, erinnert sie sich. “Denn eigentlich hatte ich Angst davor, einfach nur mit einer Tasche Gepäck loszuziehen, ohne genau zu wissen, was wird.”

… Job suchen und wieder los!

Die Angst war schnell verflogen, die Lust am Reisen nahm überhand. “Weil der Globus rund ist, war ich aber nach einem Jahr wieder zu Hause, das war ganz schrecklich”, erinnert sie sich. Sie suchte einen Job, arbeitete temporär und plante die nächste Reise.

1991 war sie zum ersten Mal in Zentralasien, im Norden Pakistans. “Ich wusste sofort, hier will ich eine Zeit lang bleiben. Und der Zufall wollte es, dass ein kleines Dorf im Hunzatal eine englischsprachige Montessori-Schule aufbauen wollte, genau die richtige Herausforderung!”

Lange bleibt Andrea Leuenberger nie an einem Ort, “das widerspricht meiner Natur!”. Nach einem Jahr wieder zurück in Genf, arbeitete sie für eine internationale Hotelpublikation und für ein führendes Biotech-Unternehmen und zog für zwei Jahre nach New York.

“Ich habe kein Auto, kein Haus, keine Wohnung, keinen Mann, kein Hund, meine Sachen sind in einem Keller, zu Hause fühle ich mich in Buchara, Genf und New York”, sagt sie.

Reisen zwischen den Welten

Ihre Wanderlust begründet sie aber auch mit beruflichen Überlegungen: “Es ist wichtig, einen Fuss im Westen zu behalten und zu wissen, was die neusten Tendenzen sind. Schliesslich vermittle ich den Leuten hier in Usbekistan internationale Standards in jeder Hinsicht.”

Das Hin und Her zwischen den Kulturen macht ihr wenig aus: “Es ist für mich problemlos, von der Schweiz nach Usbekistan zu kommen. Umgekehrt ist es schwieriger”, erzählt sie. Das Überangebot im Supermarkt wirke auf sie völlig erschlagend und die Problematik des Schweizer Alltags eher absurd, wenn man vergleiche, mit welch unbeschreiblichen Schwierigkeiten sich die Menschen in Usbekistan auseinandersetzen müssten.

“Von der Schweiz sprechen in Usbekistan alle mit Bewunderung. Dabei wären wir in der Schweiz kaum in der Lage, das Leben mit soviel Geduld und Flexibilität zu meistern und dabei so ruhig, freundlich und herzlich zu bleiben wie die Usbeken.”

Andrea Leuenbergers Vertrag läuft noch maximal sechs Jahre. Was dann? “Ich weiss es nicht. Ich weiss nur eins sicher: Man soll immer das tun, was einen glücklich macht.”

swissinfo, Alexandra Stark in Taschkent

600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland.
Seit 1990 ist die so genannte Fünfte Schweiz um 150’000 Personen gewachsen.
2002 hatten 30 Auslandschweizer ihren Wohnsitz in Usbekistan.

Andrea Leuenberger wurde 1964 in Solothurn geboren, wo sie aufwuchs und alle Schulen besuchte. Nach Abschluss einer kaufmännischen Lehre zog sie nach Genf und begann, die Welt zu bereisen.

Seither verbringt sie immer wieder mehrere Jahre am Stück im Ausland. Zur Zeit lebt sie in Usbekistan, wohin sie 1997, nach ihrer letzten Ausbildung als Hotelfachfrau, gezogen war. Sie arbeitet als Beraterin für kleine und mittlere Unternehmen aus dem Tourismusbereich.

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