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“Hier ist der Himmel so weit”

Familie Rüegsegger lebt in der Region Bordeaux von der Milchwirtschaft. Patrick Julier

Zwei Familien vom Emmental suchten in der Region von Bordeaux ihr Glück. Eine lebt nun seit sieben Jahren in Les Peintures, die andere ist in die Schweiz zurückgekehrt.

Bordeaux bedeutet nicht nur Weinbau. In der Gironde gibt es Milchwirtschaft – vor allem in der Region um Libourne, rund 60 Kilometer östlich von Bordeaux. Die 15 Rinder, die an der TGV-Linie Paris-Bordeaux auf einer Weide grasen, gehören zu einem Betrieb, der pro Jahr mindestens 550-tausend Liter Milch produziert. Der Hof gehört der Familie Annemarie Megert und Kaspar Rüegsegger.

Kein genügendes Auskommen als Schweizer Bauer

Kaspar Rüegsegger erinnert sich: “Ich führte in Röthenbach im Emmental einen kleinen Hof mit 12 Kühen. Meine Frau arbeitete als Lehrerin. Ich wollte einen Betrieb, der eine ganze Familie ernähren konnte. Das fand ich in der Schweiz nicht.”

Im Juli 1994 wanderte die Familie aus, zusammen mit der Schwester von Kaspar, Sabine Rüegsegger, und deren Mann Martin Amacher. Das 1300-Seelen Dorf Les Peintures – in der Nähe des Städtchens Coutras gelegen (immerhin mit TGV-Halt) – sollte ihre neue Heimat werden. 80 Hektaren Land, 110 Stück Vieh und der Verkauf der Milch genügen, um die zwei Familien zu ernähren.

Herzlich empfangen

Die Bevölkerung habe damals sehr freundlich reagiert, sie seien willkommen gewesen, erzählt Annemarie Rüegsegger. Allerdings hätten sie die Probleme mit der Sprache unterschätzt, ihre Französischkenntnisse waren zu Beginn bescheiden: Wie erklärt man durchs Telefon eine Panne am Traktor, wie verhandelt man mit einem Futtermittel-Vertreter?

Es seien harte erste Jahre gewesen. Aber jetzt ginge es mit dem Französisch ganz gut. Die Tochter Anina jedoch schmunzelt. Sie – perfekt billingue – weiss um den Akzent ihrer Eltern: “Für die Beiden wäre es wohl wieder einmal an der Zeit, einen Sprachkurs zu besuchen.”

Ihre Mutter nimmt es gelassen, lässt den Blick durch das Küchenfenster über das weite, ebene Land schweifen: “Nachts gehe ich oft noch kurz nach draussen, gucke in den Sternenhimmel; hier ist der Himmel so weit.”

Die Rückkehr

Zwei Familien starteten vor über sieben Jahren ihr Abenteuer “Auswandern” gemeinsam. Doch die Familie Amacher Rüegsegger brach im Herbst 1998 das Wagnis ab und kehrte zurück in die Schweiz. Nach einem Zwischenhalt im Berner Oberland lebt die Familie heute bei Sangernboden – zwischen Guggisberg und dem Gantrisch (BE).

Acht Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche, Wald und eine Sommerweide gehören zum Betrieb. Zum Überleben reicht das nicht ganz, Sabine Rüegsegger arbeitet zusätzlich als Betreuerin in einem Behindertenheim. Dennoch: Hier auf über tausend Metern über Meer haben Martin und Sabine mit ihren drei Kindern – Samuel, Lukas und Rosanna – eine neue Existenz gefunden.

In den vergangenen Jahren haben beide Familien Wurzeln geschlagen, Wurzeln, die ihnen die nötigen Lebenssäfte spenden: “Hie bin i dehiim”, sagen beide. Hier in Sangernboden. Oder eben hier, in Les Peintures in Frankreich.

Judith Fasel
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