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“Wir haben die Friedenspfeife geraucht”

Keystone

Eine Stunde nahm sich der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück Zeit, um mit einer Delegation von Schweizer Parlamentariern über das angespannte Verhältnis der beiden Nachbarländer zu reden. Nun scheinen die Wogen im Steuerstreit geglättet.

Am linken Revers trägt Maximilian Reimann einen Pin mit der deutschen und der Schweizer Flagge. Das passt wie die Faust aufs Auge. Schliesslich leitet der Aargauer Ständerat von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) die Delegation für die Beziehungen zum Deutschen Bundestag.

Die Parlamentariergruppe, der neben Reimann auch die sozialdemokratische Ständerätin Anita Fetz sowie die Nationalräte Hans Rudolf Gysin von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und Geri Müller von den Grünen angehören, hat gerade ihre deutschen Kollegen zum informellen Austausch in Berlin besucht.

Nun stehen die Schweizer Politiker vor dem Gebäude der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber dem Reichstag und stellen sich den Fragen der Presse; dann geht’s zurück in die Schweiz.

Grosses Medieninteresse

Das Interesse der Medien ist gross: An diesem Vormittag stand ein Gespräch mit dem deutschen Finanzminister Peer Steinbrück auf der Agenda. Die Schweizer Parlamentarier hatten sich im Rahmen ihres zweitägigen Besuchs auch für ein Treffen mit Steinbrück stark gemacht, um die Wogen im Steuerstreit zu glätten.

Der für seine beissende Ironie bekannte Bundesminister hatte die Schweiz in den letzten Wochen mehrfach mit scharfen Worten attackiert und dem Land vorgeworfen, es lade mit einer laschen Gesetzgebung dazu ein, deutsches Geld unversteuert beiseite zu schaffen.

Jüngst hatte Steinbrück in einer seiner Verbalattacken Luxemburg, Liechtenstein, die Schweiz und Österreich in eine Reihe mit Ouagadougou gestellt, der Hauptstadt Burkina Fasos.

Steinbrück will Sprache zügeln

Die Versöhnung zwischen den beiden Nachbarstatten scheint gelungen – zumindest auf parlamentarischer Ebene. “Wir haben symbolisch die Friedenspfeife geraucht”, sagte Anita Fetz. Das rund einstündige Gespräch mit dem Finanzminister habe in einem angenehmen und konstruktiven Rahmen stattgefunden.

Auch Ständerat Maximilian Reimann geht davon aus, dass man jetzt wieder korrekt miteinander umgehe. Man habe Steinbrück noch einmal klar gemacht, wie sehr seine Bemerkungen in der Schweiz auf Empörung gestossen seien, so der SVP-Politiker. Der Finanzminister habe eingesehen, dass seine Äusserungen das bilaterale Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland nachhaltig belastet hätten.

“Herr Steinbrück hat uns zugesichert, dass er seine Sprache von nun an zügeln wird.” Reimann ist überzeugt, dass die Zeit der scharfen Töne vorbei sei. “Dieses Kapitel ist abgeschlossen.”

In der Sache indes sei Steinbrück hart geblieben. Der Finanzminister habe der Schweizer Delegation dargelegt, dass der deutsche Fiskus durch Steuerhinterziehung jährlich über eine Milliarde Euro verliere. Steinbrück räumte laut Reimann aber ein, dass diese Milliarde weltweit angelegt sei und nicht nur in der Schweiz.

Bilaterales Abkommen

Laut Reimann will Steinbrück nun möglichst schnell ein mit dem OECD-Standard konformes Doppelbesteuerungs-Abkommen mit der Schweiz abschliessen. Ein von Brüssel ausgearbeitetes Abkommen, das die Doppelbesteuerung zwischen der Schweiz und den EU-Ländern pauschal regeln würde, stosse in Deutschland dagegen auf grosse Skepsis, so Reimann. “Ein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz ist das Ziel.”

Steinbrück sei sich indes bewusst, dass die Verhandlungen darüber wegen der direkten Demokratie in der Schweiz lange dauern könnten. “Vielleicht sogar bis weit ins nächste Jahr”, so Reimann.

Von seiner Forderung eines automatischen Daten- und Informationsaustauschs hat der deutsche Finanzminister laut der Schweizer Delegation inzwischen Abstand genommen. Die Delegation habe noch einmal den Schweizer Standpunkt klar gemacht, dass das Land nur im Einzelfall bei einer stichhaltigen Anfrage zu einem Informationsaustausch bereit sei, so der SVP-Politiker.

Weiterer Streitpunkt geklärt

Auch einen weiteren Streitpunkt konnten die Schweizer beim Treffen mit Steinbrück klären. So hatte sich die Schweiz jüngst ungerecht behandelt gefühlt, als die G-20 bei ihrem Treffen in London entschieden hatte, das Land auf eine graue Liste für Steueroasen zu setzen – ohne die Schweiz im Vorfeld darüber zu informieren.

“Wir haben moniert, dass dies keine Art ist, mit kleinen Ländern umzugehen”, sagte Reimann. Nachtragend will man indes nicht sein. So hat die Schweiz laut Reimann nun zugesagt, an der OECD-Konferenz vom 23. Juni in Berlin teilzunehmen. “Wir werden uns aber nicht einseifen lassen wie in Paris”, machte Reimann klar.

An der OECD-Konferenz in Paris im vergangenen Oktober hatte sich vor allem Deutschland dafür stark gemacht, die Schwarze Liste von so genannten Steuerparadiesen um einige Länder, darunter die Schweiz, zu erweitern.

Paola Carega, swissinfo.ch, Berlin

Ende August 2008 lebten über 1,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz. Das sind über 21% der Bevölkerung.

Gegen 225’000 oder rund 14% davon sind deutsche Staatsangehörige.

Damit sind die Deutschen nach den Italienern die zweitgrösste Ausländergruppe.

Die Schweiz ist in den letzten Jahren zum beliebtesten Auswanderungsziel für Deutsche geworden.

Ein Grossteil der in der Schweiz wohnhaften Deutschen sind gut qualifizerte Arbeitskräfte, viele sind Kaderleute oder Akademiker.

Die Schweiz ist der neuntgrösste Handelspartner Deutschlands, Deutschland der grösste Handelspartner der Schweiz, die Schweiz der sechstgrösste Direktinvestor in Deutschland.

Rund 75’500 Schweizerinnen und Schweizer leben in Deutschland.

2000: Die OECD setzt die Schweiz auf eine Liste mit 47 Ländern mit “potenziell schädlichem Gebaren” in Steuerfragen.

2004: Schweiz macht Zugeständnisse bei der Besteuerung von Holdings und wird wieder von der Liste gestrichen.

2001-2005: Bei den Verhandlungen mit der EU über die bilateralen Verträge II kommt es in der Frage der Zinsbesteuerung zu Spannungen zwischen der Schweiz und der EU. Mit dem Abschluss der Bilateralen II kann dieser Streit beigelegt werden.

Seit 2005: Streit zwischen der Schweiz und der EU über kantonale Steuerprivilegien für Unternehmen. Die Schweiz weist wiederholt EU-Vorwürfe zurück, die Privilegien verstiessen gegen das Freihandelsabkommen von 1972.

2007: Die EU-Kommission erhält vom Ministerrat ein Verhandlungsmandat über den Steuerstreit mit der Schweiz. Der Bundesrat zeigt sich aber nur zu einem Dialog, nicht zu Verhandlungen bereit.

2008: Die Schweiz gerät in den Strudel des deutsch-liechtensteinischen Steuerstreits. Deutsche Politiker verschärfen ihre Drohungen gegenüber Steueroasen “wie der Schweiz”.

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