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2007 – Der Wirtschaft ging’s besser, der Börse schlechter

Die Konsumenten haben wieder Vertrauen gefasst, der Privatverbrauch nahm 2007 zu. Keystone

Während die Wirtschaft in der Schweiz im Jahr 2007 mit einem Wachstum von mehr als 2,5% die Erwartungen übertroffen hat, sind die Finanzmärkte durch die Auswirkungen der US-Immobilienkrise gebremst worden.

Mauro Baranzini, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Lugano, schaut im Gespräch mit swissinfo auf die Höhen und Tiefen des Wirtschaftsverlaufs zurück.

2007 ist das zweite Jahr in Folge, in dem die Wirtschaft in der Schweiz in hohem Tempo gewachsen ist: Die Zunahme des Bruttoinlandprodukts (BIP) dürfte 2007 zwischen 2,5 und 2,8% betragen.

Die Arbeitslosenrate dürfte zwischen 2,6 bis 2,8% der aktiven Bevölkerung liegen. Die Teuerung hat zwar in den vergangenen Monaten etwas angezogen, bleibt jedoch auf einem Wert von ungefähr 1%.

Weniger Positives gibt es von den Finanzmärkten zu berichten: Hier war das Jahr 2007 von grossen Unsicherheiten geprägt, in erster Linie wegen der amerikanischen Subprime-Hypothekarkrise. Die Kapitalmarkt-Indizes bewegen sich auf der Höhe wie zu Jahresbeginn.

swissinfo: Die Zunahme des Bruttoinlandprodukts (BIP) für 2007 übetrifft die zu Jahresbeginn abgegebenen Schätzungen der Wirtschaftsforschungs-Institute. Was hat zum unvorhergesehen hohen Wachstum beigetragen?

Mauro Baranzini: In erster Linie der Verlauf der Weltwirtschaft. Mit anderen Worten, bei uns in der Schweiz waren es die Exporte, die wuchsen. Doch im Jahr 2007 wuchsen eben auch Investitionen und Privatkonsum. Zum ersten Mal seit vielen Jahren nahm auch der Konsum um 2 bis 2,5% zu. Das zeigt, dass die Schweizer wieder Vertrauen gefasst haben.

swissinfo: Unter allen Wirtschaftsindikatoren haben sich nur die Teuerungszahlen verschlechtert. Weshalb zogen die Preise wieder an?

M.B.: Dies ist in erster Linie auf die gestiegenen Energiekosten zurückzuführen. Das teurere Erdöl hat verschiedene weitere Energieprodukte verteuert. Die Teuerung wurde aber auch von den Preisaufschlägen bei den Rohstoffen mitverursacht, von Metallen bis Nahrungsmitteln.

Gerade die Nahrungsmittel haben stark angezogen, auch aus saisonalen Gründen. In den USA und Australien gab es schlechte Ernten oder Trockenperioden. Ausserdem nahm die Nachfrage der aufstrebenden Länder zu. China beispielsweise benötigt viel mehr Weizen, vor allem als Tierfutter. Heute konsumieren die Chinesen doppelt so viel Fleisch wie noch vor 20 Jahren.

Die Auswirkungen dieser Verhaltensänderung spüren wir auch bei uns. Getreidepreise, aber auch Milch- und weitere Nahrungsmittelpreise ziehen nach. So wie es ausschaut, meint das englische Wochenmagazin “The Economist”, neigt sich die Zeit der billigen Rohstoffe und Nahrungsmittel dem Ende entgegen.

swissinfo: Bisher konnten die Schweizer und die globale Wirtschaft die Preisaufschläge bei der Energie und anderen Rohstoffen ganz gut wegstecken?

M.B.: Ja, alles in allem haben wir diese Preisaufschläge gut wegstecken können. Die Dollarschwäche hat uns dabei geholfen. Dieser Effekt federt den in Dollar angegebenen Preiszuwachs des Erdöls ab.

Heute sind wir auch gegen Rohstoff-Preisaufschläge viel besser gerüstet als noch vor 30 Jahren, während dem ersten Erdölschock. Denn in der Zwischenzeit sind wir wirtschaftlich gesehen eine Dienstleistungs-Ökonomie geworden. Unsere energieintensive Industrieproduktion ist ausgelagert.

Ausserdem verfügen wir über neue Technologien, verwenden neue Materialien und nutzen vermehrt das Recycling.

swissinfo: Die Dollarschwäche hat die Erdölrechnung vergünstigt und auch weitere Importe verbilligt. Könnte langfristig die schwache Weltwährung unser Exportwachstum durchkreuzen?

M.B.: Persönlich glaube ich nicht, dass die Dollarschwäche unser Exportwachstum beeinträchtigt. Das zeigte sich auch im abgelaufenen Jahr. Trotz Wertverlust beim Dollar schossen die Schweizer Ausfuhren in die Höhe.

Unsere Handelsbilanz weist einen Überschuss von 70 bis 80 Milliarden auf. Das entspricht fast 16% des Bruttoinlandprodukts der Schweiz!

Die Exporterfolge der Schweiz lassen sich primär auf andere Gründe zurück führen. Die Unternehmen produzieren Qualität, offerieren einen guten Service-Kundendienst und garantieren Lieferungen ohne lange Wartezeiten. Auch wenn der Dollar um weitere 20 bis 30% nachgeben sollte, würden meiner Ansicht nach unsere Ausfuhrerfolge nicht gross darunter leiden.

swissinfo: Ein weiteres Fragezeichen für die Zukunft ist die Weiterentwicklung der US-Hypothekarkrise, die die Finanzmärkte geschwächt hat. Hat das Folgen für die Schweizer Wirtschaft?

M.B.: Die Schweizer Bevölkerung wird sicher ihren Teil an die Gesundung der amerikanischen Immobilienkrise beisteuern müssen, da unsere Banken mit im Spiel sind – besonders die UBS. Spüren werden das vor allem die Aktionäre und die Bankangestellten.

Das zentrale Unsicherheitsmoment dieser Krise liegt jedoch im künftigen Verhalten der Zentralbanken. Bisher kamen sie zu Hilfe, indem sie Zinsen senkten und enorme Zusatzliquiditäten einfliessen liessen.

Ich bin sicher, dass wir in zwei oder drei Jahren die Auswirkungen dieser Lockerung der Geldpolitik verspüren werden, in Form einer Zunahme der Teuerung.

Für mich ist das schwerwiegend. Zentralbanken sollten ja primär auf die Preisstabilität und ein ausgeglichenes Wachstum achten und nicht Bankinstituten zu Hilfe eilen, die sich verantwortungslos verhalten und Kredite zu völlig unsinnigen Konditionen verschleudert haben.

swissinfo-Interview Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Geboren am 31. August 1944 in Bellinzona.

Doktorat in Wirtschaftswissenschaften 1972 in Freiburg.

1976 – 1987 Lehrtätigkeit an der Universität in Oxford.

1987 – 1997 ordentliche Professur für politische Ökonomie an der Universität Verona.

Seit 1997 Dekan und Wirtschaftsprofessor der Università della Svizzera italiana in Lugano.

Daten von 2006 und Schätzungen für 2007/8 der Expertengruppe des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements:

BIP-Wachstum 3,2% (2006), 2,8% (2007), 1,9% (2008)

Export-Wachstum: 10%; 8,3%; 4.0%

Import-Wachstum: 6,5%; 7,6%; 3,8%

Arbeitslosigkeit: 3,3%; 2,8%; 2,5%

Teuerung: 1,1%; 0,7%; 1,6%

Zunahme Privatkonsum: 1,5%; 2,1%; 1,9%

(Seco, 20. Dezember 2007)

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