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2008 – ein Jahr mit innenpolitischen Turbulenzen

Keystone

Die SVP geht in die Opposition und kehrt in die Regierung zurück. Der gescheiterte Armeechef kostet auch dem Verteidigungsminister den Kopf. 68 Staats-Milliarden zur Rettung der UBS. – Ein Rückblick auf die Schweizer Innenpolitik 2008.

Die Nachbeben der Abwahl von Christoph Blocher aus der Regierung dominierten die innenpolitische Agenda.

Anstatt Blocher wählte das Parlament Ende 2007 Eveline Widmer-Schlumpf, eine moderate Regierungsrätin aus dem Kanton Graubünden. Weil die Bündnerin die Wahl entgegen dem Willen ihrer Partei annahm, wurde sie politisch heimatlos, genauso wie Verteidigungsminister Samuel Schmid, der von seiner Partei seit Jahren verhöhnt worden war.

Die SVP warf den beiden Verrat vor und schloss sie aus der Fraktion aus. Damit fand die Partei endgültig jene Rolle, die sie zur wählerstärksten Partei hatte anwachsen lassen, die Oppositionsrolle.

Ohne Regierungsverantwortung werde die SVP zu populären Höhenflügen ansetzen und künftige Wahlen gewinnen, prophezeiten die Parteistrategen um Christoph Blocher. Der “Ballast” musste weg: Die aufmüpfige Bündner Kantonalsektion wurde ausgeschlossen, weil sie sich mit Widmer-Schlumpf solidarisiert hatte.

Blocher dreht Pirouetten

Die Ausgeschlossenen gründeten eine eigene Partei. Abtrünnige Berner um Samuel Schmid schlossen sich der neuen Partei an. Die Hardliner feierten die Abspaltung des liberalen Flügels als reinigendes Gewitter.

Der erste Dämpfer folgte: Am 1. Juni erteilte das Volk der Einbürgerungs-Initiative eine Abfuhr: 64% lehnten die SVP-Prestige-Vorlage ab.

Christoph Blocher trimmte die Partei zuerst auf ein Nein zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit. Im Juli machte er eine Kehrtwende. Im November mutierte das Ja wieder zu einem Nein. Die Basis staunte.

Wehrhaftigkeit und Neutralität sind Kernparolen der SVP. Dennoch liess die Partei im Parlament das Rüstungsprogramm scheitern. Die Basis erzürnte sich.

Auf dem Weg zurück

Ein von der Personenfreizügigkeit abhängiger Wirtschaftsflügel, Bauern, denen der direkte Draht zum Macht- und Subventions-Zentrum fehlte, und eine unzufriedene Basis sorgten dafür, dass sich die SVP spätestens ab Herbst zurück in die Regierung begab.

Zuerst musste aber ein Hindernis weg: Samuel Schmid. Dieser hatte bei der Ernennung von Armeechef Roland Nef Fehler gemacht und ein Auge zu viel zugedrückt.

Der Armeeminister war über ein offenes Strafverfahren gegen Nef wegen Nötigung im Bild. Er unterschätzte das Offizialdelikt und verschwieg es seinen Kollegen im Bundesrat.

Köpfe rollen

Nef war erst ein halbes Jahr im Amt, als die Medien die Affäre ans Licht brachten. Schmid stellte sich zuerst hinter seinen höchsten Soldaten, musste ihn später aber fallen lassen, weil immer mehr Details bekannt wurden.

Die Rücktrittsforderungen wurden lauter. Schmid hatte die Krisenkommunikation nicht im Griff und hielt schliesslich der Hetzkampagne der SVP und einiger Medien nicht mehr Stand. Am 12. November kündete er seinen Rücktritt an – aus gesundheitlichen Gründen.

Am 10. Dezember wurde der ehemalige Parteipräsident Ueli Maurer mit dem knappsten aller möglichen Resultate in den Bundesrat gewählt. Die SVP war wieder in die Regierungs-Verantwortung eingebunden.

Finanzminister im Koma

Wie ein Wirbelwind ereichte im Sommer die Finanzkrise auch die Schweiz. Die krisengeschüttelte UBS geriet so stark in Schieflage, dass der Staat intervenieren musste.

Bankenkommission, Nationalbank und Bundesrat schnürten ein Rettungspaket im Umfang von insgesamt 68 Milliarden Franken. Einer war bei den Beratungen nicht dabei: Finanzminister Hans-Rudolf Merz.

Merz musste am 21. September in die Notfallstation eingeliefert und sich nach einem Kreislaufkollaps einer Herzoperation unterziehen. Die Ärzte versetzten ihn in ein künstliches Koma.

Die Schweiz spekulierte, ob der 66-Jährige wohl für immer Bundesrat gewesen sei. Über potentielle Nachfolger wurde laut nachgedacht, über eine mögliche Doppelvakanz heftig spekuliert.

Die relative Grenze der Demokratie

Am 3. November war Merz wieder da. Frisch und munter erklärte er: “Kaum ist man im Koma, entstehen schon ganze Listen von Bewerbern. Ich habe mich darüber nicht geärgert. Ich bedaure höchstens, dass jetzt keiner der Kandidaten zum Zuge kommt.”

In der Zwischenzeit kümmerte sich seine Stellvertreterin Eveline Widmer-Schlumpf um das Finanzdepartement. Am 16. Oktober wurde die Öffentlichkeit über das Rettungspaket zugunsten der UBS informiert.

Es gehe beim Kauf von Ramschpapieren nicht nur um die Rettung einer Bank, sondern um die Stabilisierung des Finanzplatzes Schweiz, argumentierte der Bundesrat und begründete damit, dass er den Beschluss per Notrecht gefasst hatte.

Notrecht, das bedeutete, dass das Parlament im Dezember zwar die hohen Boni der gescheiterten Manager kritisieren, seinen Unmut bezeugen und die fehlende demokratische Kontrolle anprangern konnte, aber letztlich nur noch Ja und Amen sagen konnte.

swissinfo, Andreas Keiser

Der Bundesrat hat im Jahr 2008 deutlich mehr Sitzungen durchgeführt als im Vorjahr.

Insgesamt kam das Siebner-Kollegium von Januar bis Dezember zu 50 Sitzungen zusammen, zwölf mehr als im Jahr 2007.

Die Zahl der Sitzungsstunden und der verabschiedeten Geschäfte blieb 2008 hingegen hinter dem Niveau des Vorjahres zurück.

2008 wurden während 94 Stunden insgesamt 2012 Geschäfte behandelt und verabschiedet.

2007 waren es während 102 Stunden 2191 Geschäfte.

Bundesratspräsident 2008 war Innenminister Pascal Couchepin, 2009 bekleidet Finanzminister Hans-Rudolf Merz das Amt.

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