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71 Tote bei Flugzeug-Zusammenstoss

Die Überreste der Flugzeuge sind kilometerweit verstreut. Keystone

Ermittler prüfen das Verhalten der Fluglotsen beim Zusammenstoss im schweizerisch-deutschen Grenzgebiet am Bodensee. Nach der Kollision starben 71 Passagiere.

Nach der Flugzeugkatastrophe am Bodensee prüfen die Ermittler das Verhalten der deutschen Fluglotsen. Der Leiter der deutschen Bundesstelle Flugunfall-Untersuchung in Braunschweig, Peter Schlegel, räumte am Dienstag in den ARD-“Tagesthemen” ein, dass eine Warnung 50 Sekunden vor der Kollision an eine der Unglücksmaschinen möglicherweise zu spät gekommen sei.

Er warnte aber vor voreiligen Schlüssen. Theoretisch hätte aber die Möglichkeit bestanden, die beiden Flugzeuge bei der Übergabe an die Schweizer Flugsicherung vor einer möglichen Kollision zu warnen.

Die Auswertung der gefundenen Flugschreiber und Sprachrecorder, die am Mittwoch zu der in den Ermittlungen federführenden BFU nach Braunschweig gebracht werden, könne bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen.

Zusammenstoss in 11’000 Metern Höhe

Montagnacht um 23.35 Uhr stiessen im Luftraum nördlich des Bodensees (im deutschen Bundesland Baden-Württemberg) zwei Flugzeuge in 11’000 Metern Höhe zusammen und stürzten anschliessend ab.

Es handelte sich um ein russisches Passagierflugzeug vom Typ Tupolew 154 und eine Boeing-Frachtmaschine des Paketdienstes DHL. Die Tupolew befand sich auf dem Flug von Moskau nach Barcelona. Das Frachtflugzeug war unterwegs von Bahrein über Bergamo nach Brüssel.

An Bord der Tupolew waren 69 Russen, darunter 52 Jugendliche, fünf Begleiter und zwölf Mann Besatzung. In der Frachtmaschine starben der Pilot und der Kopilot.

Die Zeitfrage

Die beiden Flugzeuge standen unter der Überwachung der Schweizer Flugsicherung Skyguide.

Die Schweizer Flugleitung in Zürich korrigierte den Zeitpunkt des Befehls an die russische Maschine mehrmals. Gemäss den neusten Ausführungen erfolgte der Sinkflugbefehl rund 50 Sekunden vor dem Zusammenstoss. Eine zweite Aufforderung wurde 25 Sekunden vor dem Zusammenstoss erteilt, nachdem der Pilot auf die erste nicht reagiert hatte.

Zur Frage, ob zwei oder drei Aufforderungen an den Piloten ergangen seien, wollte Skyguide-Kadermitglied Urs Ryf nicht festlegen. “Es hat mehrere Aufforderungen gegeben”, sagte Ryf.

Am Vormittag hatte Skyguide noch gesagt, die Anweisung sei anderthalb bis zwei Minuten vor dem Crash erfolgt.

Die Boeing der DHL hatte keine Aufforderung der Flugleitung erhalten, die Flugroute zu ändern. Auch das sei üblich, sagte ein Sprecher von Skyguide an der Medienorientierung in Zürich.

Zwei Sinkbefehle

Das Problem sei gewesen, dass das DHL-Flugzeug einen automatischen Sinkbefehl erhalten habe. Dadurch hätten beide Flugzeuge einen Sinkflug eingeleitet, erklärte der Sprecher. “Der konnte von unseren Leuten nicht mehr kontrolliert werden.”

Skyguide hat im süddeutschen Raum seit rund 40 Jahren die Flugüberwachung von den deutschen Behörden übertragen bekommen.

Ein Team der Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfall-Untersuchung leitet die Untersuchungen. Gemäss dieser Stelle werde auch die deutsche Staatsanwaltschaft noch aktiv werden. Der Chef des Schweizer Büros für Flugunfall-Untersuchungen ist ebenfalls am Unfallort.

SF DRS: Leuenberger drückt Bedauern aus

Nach dem Absturz der beiden Flugzeuge hat der Schweizer Verkehrsminister, Bundesrat Moritz Leuenberger, sein tiefes Mitgefühl mit den Betroffenen ausgedrückt.

Leuenberger hat auch mit dem deutschen Verkehrsminister Kurt Bodewig telefoniert und ihm für die Rettungs- und Hilfsaktionen gedankt.

Gemäss internationalen Abkommen werde der Unfall in jenem Land untersucht, über dem sich das Unglück ereignet hat, sagte Leuenberger. Das Schweizer Büro für Flugunfall-Untersuchungen werde der deutschen Fluguntersuchung eine Art Amtshilfe leisten, beispielsweise wenn es darum gehe, die Mitarbeiter von Skyguide zu befragen.

Wrackteile im Umkreis von 30 km

Brennende Wrackteile seien in einem Umkreis von rund 30 Kilometern auf die Erde gestürzt und hätten grossen Schaden angerichtet, berichten Augenzeugen. Der Absturzort liegt an der Grenze zwischen den Landkreisen Sigmaringen und Bodenseekreis auf der Landesstrasse 195.

Medienberichten zufolge hatten etwa 30 Anrufer bei der Polizei einen Feuerball am Himmel gemeldet. Der Landrat des Bodenseekreises, Siegfried Tann, sagte, Teile der Maschinen hätten kleinere Brände ausgelöst, die jedoch schnell gelöscht werden konnten.

swissinfo und Agenturen

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