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Abwägen zwischen Volkszorn und freiem Markt

Initiant Thomas Minder während der Debatte in der Wandelhalle des Bundeshauses.

Regierung und Parlament wollen der Abzocker-Initiative mit einem indirekten Gegenvorschlag Wind aus den Segeln nehmen. Der Ständerat will Lohnexzesse künftig verhindern und kritisiert die "Casino-Mentalität". Konkrete Entscheide hat er noch nicht gefällt.

Parlamentsdebatten folgen vielfach der Trennlinie zwischen dem linken und rechten Lager. Die Debatte im Ständerat sei Zeugnis einer gewissen Hilflosigkeit, stellte der sozialdemokratische Ständerat Ernst Leuenberger fest.

“Es ist den Initianten gelungen, unser Spiel durcheinander zu bringen, weil die Initiative durchaus Chancen hat, angenommen zu werden”, so Leuenberger, der deshalb den Gegnern der Initiative den Rat erteilte, “bis zur Abstimmung einen bissigen Gegenvorschlag” zu erarbeiten.

Wie griffig die als Gegenvorschlag zur Abzocker-Initiative vorgesehene Revision des Akteinrechts nach den Parlamentsberatungen aussehen wird, ist offen. Die Kleine Kammer hat sich als Erstrat damit befasst und dabei einstimmig beschlossen, auf die Revision einzutreten. Die Beratungen im Detail und damit konkrete Entscheide stehen noch aus. Nach dem Ständerat wird sich der Nationalrat damit befassen.

Die Eintretensdebatte im Ständerat veranschaulichte die Divergenzen. Einigkeit herrschte in der Frage, dass die Revision des Aktienrechts gewisse Forderungen der Initiative – wie der Stärkung der Aktionärsrechte und der Verbesserung der Transparenz – nachkommen soll.

Sozialdemokraten, Exponenten der SVP und des Gewerbes bekundeten ihre Sympathien für die Initiative. Die Gewerbevertreter warnten gleichzeitig vor einer zu hohen Regeldichte im neuen Aktienrecht, die den kleinen Aktiengesellschaften das Leben schwer machen würde.

Nominee-Modell – die umstrittene Hintertüre

Der Freisinnige Ständerat Rolf Schweiger plädierte im Namen der Rechtskommission für das so genannte Nominee-Modell, das heisst, für die Möglichkeit, dass nicht eingetragene und damit anonyme Aktionäre ihr Stimmrecht auf ihre Bank übertragen können. Faktisch käme die Lösung dem heute geltenden Depotstimmrecht der Banken zumindest sehr nahe.

Exakt dieses Depotstimmrecht will der bundesrätliche Vorschlag zur Revision des Aktienrechts abschaffen und damit der Abzocker-Initiative Wind aus den Segeln nehmen.

Das Nominee-Modell bringe keine Verbesserung der Transparenz, kritisierten Christdemokraten, Linke und auch Ständeräte der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei. “Das Nominee-Modell führt das Depotstimmrecht durch die Hintertüre wieder ein”, sagte SVP-Ständerat This Jenny.

Exzesse und Fehler auf den Teppichetagen

Trotz aller Differenzen in der Frage, wie weit der indirekte Gegenvorschlag den Forderungen der Initiative entgegen kommen soll, war die Einigkeit über die Ursache des Malaises und über die Fehler der Vergangenheit über die Parteigrenzen hinweg gross. Da war die Rede von “Casino Mentalität”, “Raffgier”, von “finanziellen Exzessen und kapitalen Fehlern in den Teppichetagen”.

Durch “Masslosigkeit und Geldgier” sei der Schweiz ein “grosser Schaden entstanden”, sagte CVP Ständerat Paul Niederberger. Die Abzocker-Initiative sei im Hinblick auf die Revision des Aktienrechts “eine Faust im Nacken”.

Wie Niederberger räumten auch andere Redner der Initiative gute Chancen auf eine Volksmehrheit ein. Urheber der Initiative ist Thomas Minder, Inhaber einer Kosmetikfirma und SVP Mitglied.

Zusätzlicher Rückenwind

2006 erreichte die Debatte über Managerlöhne einen ersten Höhepunkt. Anlass war die Tatsache, dass Managerlöhne in zweistelliger Millionenhöhe immer mehr Alltag wurden, währenddem die Löhne der Angestellten mehr oder weniger stagnierten.

“Die Schere innerhalb derselben Firma hat sich weit geöffnet. Früher war der Lohn eines CEO 20 bis 30 Mal höher als der eines einfachen Angestellten. Heute liegt der Faktor zwischen 400 und 500. Das ist modernes Raubrittertum und absolut krank”, monierte damals Minder und startete mit der Unterschriftensammlung für die Abzockerinitiative.

Im Februar 2008 kam die Initiative offiiziell zustande. Seither erfassten zuerst die Finanz- und in deren Gefolge die Wirtschaftskrise auch die Schweiz. Das einstige Flagschiiff des Finanplatzes, die UBS, geriet in schwere Schieflage und musste vom Staat gestützt werden. Verantwortlich für das Debakel waren die hoch bezahlten Hohepriester des freien Marktes in den Chefetagen der UBS. Das hat der Abzockerinitiative zusätzlichen Rückenwind verschafft.

Andreas Keiser, Bern, swissinfo.ch

Die wichtigsten Forderungen der Initiative:

– Die Generalversammlung stimmt jährlich über die Gesamtsumme aller Vergütungen an Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ab.

– Verwaltungsräte und Verwaltungsrats-Präsident müssen jährlich wiedergewählt werden.

– Verwaltungsräte und Geschäftsleitung erhalten keine Abgangs-Entschädigungen, keine Vergütungen im Voraus, keine Prämien für Firmenkäufe oder -verkäufe.

– Die Statuten regeln Erfolgs- und Beteiligungpläne der Kader.

– Diese Regeln gelten für alle im In- oder Ausland börsenkotierten Schweizer Aktiengesellschaften.

Der Ständerat ist die Schweizer Parlamentskammer (Legislative) der Kantonsvertreter (Senat, Kleine Kammer).

Er zählt 46 Mitglieder, welche die Kantone vertreten. Jeder Kanton ist ungeachtet seiner Einwohnerzahl mit zwei, die Halbkantone mit einem oder einer Abgeordneten vertreten.

Als Halbkantone gelten Obwalden, Nidwalden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden.

Das einzelne Ratsmitglied wird “Ständerat” oder “Ständerätin” genannt. Ständerat und Nationalrat bilden zusammen die Vereinigte Bundesversammlung (Parlament).

Der Nationalrat ist die Schweizer Parlamentskammer (Legislative) der Volksvertreter oder Abgeordneten (Grosse Kammer).

Der Rat zählt 200 Parlamentarierinnen und Parlamentarier und vertritt das Schweizer Volk.

Auf je 35’000 Einwohnerinnen und Einwohner eines Kantons kommt derzeit ein Mitglied im Nationalrat. Das einzelne Ratsmitglied wird “Nationalrat” oder “Nationalrätin” genannt.

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