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Aussenpolitik ist nicht Sache des Parlaments

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey auf Reise: Hier in Johannesburg, Südafrika, Februar 2004. Keystone

Die Aussenpolitik gewinnt auch in der Schweiz an Gewicht und bestimmt zunehmend die Innenpolitik. Das Parlament hat immer weniger mitzureden – stört sich aber nicht daran.

Mit einem EU-Beitritt würden Innenpolitik und Parlament weiter an Bedeutung verlieren – es sei denn, es gäbe Korrekturen.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der bilateralen Verträge II steht wieder die Frage im Raum, wie es mit dem Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union (EU) weitergehen soll.

Der Bundesrat tut sich schwer, in dieser Frage die Führung zu übernehmen. Weder bezieht er eine klare Position bezüglich eines EU-Beitritts, noch liefert er die nötigen Informationen, die es Parlament und Bevölkerung ermöglichen würden, sich selber ein differenziertes Bild zu machen über Vor- und Nachteile einer weiteren europäischen Integration. Der letzte Integrationsbericht datiert von 1999, ist also bereits 5 Jahre alt.

Alle Gesetze europa-tauglich



Ein politischer Lagebericht würde beispielsweise zeigen, dass sich die Schweiz schon heute in einer beschränkt souveränen Situation befindet. Seit 1988 werden neue Rechtsakte von der Verwaltung systematisch auf ihre Kompatibilität mit dem europäischen Recht hin geprüft und wenn nötig europa-tauglich gestaltet – in erster Linie, um den Bedürfnissen der Wirtschaft zu entsprechen.

Doch es ist nicht nur die EU, die die nationale Entscheidungsmacht einschränkt. Mit der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft und der Mitgliedschaft bei internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dem Europarat oder den Vereinten Nationen (UNO) wird die wirtschaftliche und gesellschaftliche Vernetzung grösser.

Die Vereinbarungen und Verpflichtungen, die daraus entstehen, bestimmen immer mehr die Innenpolitik der einzelnen Staaten.

Bundesrat bestimmt die Aussenpolitik

Das Parlament gehört heute zu den Verliererinnen dieser Entwicklung, denn Aussenpolitik ist in der Schweiz wie in anderen Ländern stark zentralistisch organisiert und die Führung grundsätzlich Sache des Bundes.

Bei einem EU-Beitritt würde dies nochmals deutlich verstärkt. Schätzungen gehen davon aus, dass die Arbeit in EU-Gremien rund 50% der bundesrätlichen Arbeit in Anspruch nehmen würde.

“Der Entscheidungsspielraum des Parlamentes in aussenpolitischen Fragen ist verhältnismässig gering, beschränkt er sich doch auf eine Ja/Nein-Entscheidung”, stellt Verfassungsrechtler Ulrich Klöti fest.

In vielen Fällen könne das Parlament höchstens sein Missfallen äussern. Aber auch von dieser Möglichkeit mache es kaum Gebrauch.

Aussenpolitik? Wenig Interesse.

Eine Nationalfondsstudie hat gezeigt, dass von über 800 aussenpolitischen Geschäften (neue oder geänderte Staatsverträge) lediglich ein Viertel im Parlament überhaupt zur Sprache kam. Und von denen, die im Parlament behandelt werden, wird der grösste Teil im Plenum kaum zur Kenntnis genommen. Ulrich Klöti spricht denn auch von einer “relativen Passivität” des Parlaments.

Nur acht Geschäfte wurden an der Urne entschieden, darunter die Beitritte zu EWR, IWF/Weltbank oder UNO. Nicht verwunderlich, sprechen Beobachter in vielen Bereichen von einer Aussenpolitik “unterhalb der Wahrnehmungsschwelle”.

Das Parlament scheint dies nicht zu irritieren. Reformvorschläge kommen denn auch vorwiegend aus den Reihen der Verfassungsrechtler.

Es sei an der Zeit, dem Parlament in aussenpolitischen Fragen mehr Mitsprache zu geben, sagt etwa Astrid Epiney vom Institut für Europarecht der Universität Freiburg. Eine Korrektur sei schon heute angebracht; bei einem EU-Beitritt aber wäre sie unabdingbar.

Parlament muss informiert werden

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass andere Länder ihre Parlamente stärker in die aussen- und vor allem europapolitische Willensbildung einbezogen haben. Die Vorschläge für institutionelle Änderungen orientieren sich denn auch an föderalistischen Ländern wie Deutschland oder Belgien:

– Das Parlament muss vom Bundesrat über wichtige Vorhaben der EU und über die Verhandlungspositionen der Regierung frühzeitig informiert werden.

– Neue Europa-Kommissionen in National-und Ständerat sollen sich vertieft mit europapolitischen Fragen befassen.

– Die Stellungnahme des Parlaments müsste vom Bundesrat berücksichtigt werden.

– Will der Bundesrat in wesentlichen Punkten von der Stellungnahme des Parlaments oder der Europakommission abweichen, müsste er diese nochmals konsultieren.

EU-Verfassung geht weiter

In Brüssel will man den nationalen Parlamenten bei ihrem aussenpolitischen Engagement hilfreich entgegen kommen.

In der geplanten EU-Verfassung ist festgeschrieben, dass die EU-Kommission in Zukunft “alle an das Europäische Parlament und den Ministerrat gerichteten Gesetzgebungsvorschläge und politischen Strategiepapiere gleichzeitig den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten übermittelt”.

Das Parlament hätte damit alle Instrumente in der Hand, um sich frühzeitig in aussenpolitische Geschäfte einzumischen, nachzufragen und Vorschläge zu formulieren, solange noch Gestaltungsspielraum besteht.

Oder wie es im Entwurf der EU-Verfassung heisst: “Im Wunsch, eine stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente an den Tätigkeiten der Europäischen Union zu fördern und ihnen bessere Möglichkeiten zu geben, sich zu den Vorschlägen für Rechtsakte und anderen Fragen, die für sie von besonderem Interesse sein können, zu äussern.”

swissinfo, Katrin Holenstein

Durch die Globalisierung und internationale Vernetzung wird der Einfluss der Aussenpolitik auf die Innenpolitik immer grösser und prägt die Gestaltung etwa der Handelspolitik, Verkehrspolitik, Landwirtschaft oder des Asylwesens.

Mit einem Beitritt zur Europäischen Union (EU) würde das Gewicht der Aussenpolitik gegenüber der Innenpolitik weiter zunehmen. Gestärkt würde der Bundesrat, der traditionell die Aussenpolitik führt.

Bereits heute hat das Parlament wenig in der Aussenpolitik mitzureden: Von rund 800 aussenpolitischen Geschäften kam lediglich ein Viertel im Parlament überhaupt zur Sprache.

Verfassungsrechtler fordern dringend institutionelle Reformen und eine Korrektur der Kompetenz-Verteilung.

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