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Bern fand in Lugano statt

2'500 Risotto-Portionen wurden beim Abschieds-Essen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Lugano serviert. Keystone

Nicht effizient in der Parlamentsarbeit, dafür um viele Eindrücke reicher - dies das Fazit zur Tessiner Session quer durch alle Parteien. Vom Umzug in die Südschweiz haben auch die Tessiner Tourismus-Unternehmen profitiert. Bei der Tessiner Bevölkerung stiess die Session auf reges Interesse.

Ein zufriedener Nationalrats-Präsident Peter Hess: “Wir haben alle Ziele vollumfänglich erreicht. Alle traktandierten Geschäfte wurden erledigt.” Grosse Gesetzeswürfe gab es aber keine in Lugano. Für Gesprächsstoff sorgten die Europa-Frage, die Schelte aller Parteien an die Adresse der SBB- und Postbosse wegen ihren Kaderlöhnen, der Rücktritt des CVP-Präsidenten und Nationalrates Adalbert Durrer und die nun endlich abgeschlossene Zangengeburt der Fristenlösung.

Seit 1993 wurde um die Vorlage, die den Schwangerschafts-Abbruch bis zur 12. Woche legalisiert, gestritten. Sie ist nun an der Tessiner Session vom Parlament endlich unter Dach und Fach gebracht worden.

Gegen Genozid-Anerkennung, aber für die Familie

Emotional wurde es, als im Nationalrat über die offizielle Anerkennung des Genozids an den Armeniern diskutiert wurde. Sehr knapp mit 70 zu 73 Stimmen lehnten dies die Nationalrätinnen und -räte ab.

Eine halbe Milliarde Franken will die grosse Kammer für ärmere Familien und zur Anstoss-Finanzierung von externen Kinder-Betreuungsplätzen einsetzen. Unterstützung hat der Nationalrat auch bei der Schaffung eines ständigen Internationalen Gerichtshofes signalisiert. Nichts wissen wollte die grosse Kammer hingegen von einer Einführung einer Kapitalgewinnsteuer und vier autofreien Sonntagen (beides Volksinitiativen).


Eine Abfuhr erlitt das neue Filmgesetz. Der Ständerat hat das gesamte Paket an den Bundesrat zurückgewiesen. Um die anstehenden Geschäfte doch noch termingerecht zu erledigen, trifft sich das Parlament im Mai zu einer Sondersession – dann wieder wie gewohnt in Bern.

Bereichernder Ausflug

Für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier war die Verlegung der Session ins Tessin eine interessante Erfahrung. Ulrich Schlüer (SVP/ZH), im Vorfeld der Session als bissiger Kritiker des “Ferienlagers im Tessin” aufgefallen, meinte: “Ich bin vor allem beeindruckt von der Freundlichkeit und Offenheit der Tessiner Bevölkerung.” Als er zusammen mit anderen Parlamentarier in Chiasso die Grenzestelle besucht habe, hätten rund 300 Personen vor dem Rathaus applaudiert.

Eine grosse Umstellung war es für Remo Galli (CVP/BE). Als Berner wohnt er während der Session nie im Hotel. “Hier im Tessin muss man sich viel besser organisieren”, zieht er Bilanz. Für den SP-Vertreter Rudolf Strahm bot die Session Gelegenheit, sich vertieft mit den Problemen des Bankenplatzes Tessin auseinanderzusetzen.

Einhellig kritisierten die Parlamentarier die Infrastruktur. So hätte man keine Schreibflächen im Tagungssaal und das Fehlen einer elektronischen Anlage mache das Abstimmen mit Namensaufruf zu einem langwierigen Prozedere.

Begeisterung bei Lugano Tourismus

Unisono zufrieden mit der Sessions-Verlegung ist man bei Lugano Tourismo: “Die Session hier in Lugano hat einige Hoteliers dazu bewegt, ihre Tore schon einen Monat früher zu öffnen”, sagte Tourismus-Direktor Marco Bronzini. “Wir haben das Gefühl, dass wir einen sehr guten Start in die Saison 2001 hatten.”

Für Aussagen in Franken und Rappen sei es noch zu früh, meinte Bronzini. Doch der Image-Effekt könne nicht hoch genug gewichtete werden: “Wir hatten noch nie eine solche Medien-Präsenz. Viele berichteten auch über Nichtpolitisches aus dem Tessin.”

Politinteressierte Tessiner Bevölkerung

Doch auch für die Tessinerinnen und Tessiner scheint diese Sessions-Verlegung ein spezielles Ereignis gewesen zu sein. 5’709 Personen besuchten die Sitzungen der Räte als Zuschauer, während es in Bern durchschnittlich nur 3000 Besucher sind.

Am Donnerstag (22.03.)schliesslich feierten die Parlamentarier mit der Tessiner Bevölkerung auf der Piazza bei Risotto und Merlot. Man hätte 2’500 Portionen ausgeschöft, meinte ein sichtlich stolzer Tourismus-Direktor Bronzini. Für einmal hat also Bern – sehr erfolgreich – in Lugano stattgefunden.

Ruth Bossart, Lugano

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