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Bundesrat setzt europapolitische Prioritäten

Die drei Bundesrätinnen Doris Leuthard, Micheline Calmy-Rey und Eveline Widmer-Schlumpf (v.l.). Keystone

Die Schweizer Regierung will das bis Mai 2009 befristete Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU weiterführen und auf die neuen Mitglieder Rumänien und Bulgarien ausdehnen.

Gleichzeitig hat der Bundesrat ein Mandat verabschiedet für Verhandlungen mit der EU über eine Liberalisierung des Agrarhandels. Dies soll langfristig zu billigeren Lebensmittelpreisen führen.

Gleich alle drei Bundesrätinnen bekräftigten vor den Medien, dass für die Landesregierung die konsequente Umsetzung der bestehenden bilateralen Abkommen mit der EU europapolitische Priorität hat. Der bilaterale Weg sei eine Erfolgsgeschichte, sagte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.

Würde das Volk die Weiterführung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) ablehnen, träten wegen der “Guillotine-Klausel” auch die weiteren sechs rechtlich miteinander verknüpften Abkommen über Land- und Luftverkehr, Landwirtschaft, Submissionswesen, technische Handelshemmnisse und Forschung nach sechs Monaten automatisch ausser Kraft.

Auch wenn das Volk die stufenweise Ausdehnung des FZA auf Bulgarien und Rumänien ablehnen würde, dürfte die “Guillotine-Klausel” ihre Wirkung entfalten, warnt der Bundesrat.

Wegen Ungleichbehandlung ihrer Bürgerinnen und Bürger wäre damit zu rechnen, dass die EU das FZA kündigen würde. Die Folgen für die Wirtschaft wären gravierend.

Warnung vor einem Nein

Wie die EU letztlich auf ein Nein reagieren würde, sei offen, sagte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Allein schon das Risiko schaffe aber Rechtsunsicherheit und wäre für die Wirtschaft schädlich.

Die sieben bilateralen Abkommen der ersten Serie sind bis zum 31. Mai 2009 befristet. Das Parlament hat seinerzeit beschlossen, die Weiterführung dem Referendum zu unterstellen. Deshalb behandelt der Ständerat die Botschaft Anfang April. Im Sommer folgt der Nationalrat. Spätester Abstimmungstermin wäre der 17. Mai 2009.

Deutlich mehr Kontrollen

Wie Wirtschaftsministerin Doris Leuthard erklärte, sucht der Bundesrat ein Gleichgewicht zwischen Arbeitsmarktöffnung und Arbeitnehmerschutz. Neue flankierende Massnahmen seien nicht nötig. Doch sollen der Vollzug und die Kontrolldichte erhöht werden. Ziel sind 20 Prozent mehr Kontrollen bis 2010.

Kein Referendum ist möglich gegen den Kohäsionsbeitrag für Bulgarien und Rumänien. Der Bundesrat will zu Gunsten der beiden neuen EU-Mitglieder während fünf Jahren Projektverpflichtungen im Umfang von 257 Millionen Franken eingehen. Er wird die Projekte autonom mit den beiden Staaten verhandeln.

“Wir sind unter Druck”

Die Verhandlungen für das Agrarfreihandelsabkommen mit der EU werden frühstens im Herbst aufgenommen. Ein Verhandlungsbeginn vor dem Sommer sei nicht möglich, sagte Wirtschaftsministerin Doris Leuthard vor den Medien.

Der Bundesrat rechnet mit einer Verhandlungsdauer von anderthalb bis zwei Jahren. Das Freihandelsabkommen könnte 2016 in Kraft treten. Leuthard betonte, dass eine schrittweise Einführung mit Übergangsfristen und Begleitmassnahmen geplant sei.

Nach Ansicht der Wirtschaftsministerin ist das Agrarfreihandelsabkommen mit der EU angesichts der internationalen Rahmenbedingungen eine Notwendigkeit. “Wir sind unter Druck, unsere Zölle zu senken”, sagte Leuthard mit Verweis auf die WTO-Verhandlungen. Es sei besser, den Markt in Etappen und kontrolliert zu öffnen.

swissinfo und Agenturen

Die sieben bilateralen Abkommen I von 1999 regeln eine gegenseitige Öffnung der Märkte in bestimmten Bereichen: Personenfreizügigkeit, technische Handelshemmnisse, Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Luft- und Landverkehr. Zudem wird die Teilnahme der Schweiz an den Forschungsprogrammen der EU ermöglicht.

Die bilateralen Abkommen II (2004) umfassen zusätzliche wirtschaftliche Interessen und dehnen die Zusammenarbeit auf weitere Bereiche aus wie innere Sicherheit (Schengen/Dublin), Asyl, Umwelt oder Kultur. Bestandteil ist auch die Zinsbesteuerung.

Das Abkommen über den freien Personenverkehr mit den 15 “alten” EU-Staaten ist seit dem 1. Juni 2002 in Kraft.

Im September 2005 hat das Schweizer Stimmvolk einer Ausdehnung auf die zehn Länder zugestimmt, die im Mai 2004 zur EU gestossen sind (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern).

Der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU ist bis 2009 befristet.

Seitens der EU wird das Abkommen stillschweigend verlängert, in der Schweiz ist die Fortführung dem fakultativen Referendum unterstellt.

Gleichzeitig mit der Weiterführung soll die Personenfreizügigkeit auf die letzten beiden EU-Mitglieder, Rumänien und Bulgarien, ausgedehnt werden.

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