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“Das Bild der Schweiz im Ausland wird aufpoliert”

Gute Miene zum bösen Spiel: der abgewählte Christoph Blocher. Keystone

Der überraschende Wechsel in der Schweizer Regierung verbessert das Bild der Schweiz im Ausland und die Beziehungen zur Europäischen Union, sagt Roger de Weck im Gespräch mit swissinfo.

Das Parlament hat laut dem Publizisten die Chance gepackt, den populistischen Ruf der Schweiz in den ausländischen Medien zu korrigieren.

“Erschütterung”, “Erdbeben”, “Sturm”: Die ausländische Presse griff zu ungewohnt starken Bildern, um die Wegwahl von Christoph Blocher aus der Schweizer Regierung zu qualifizieren. Sie zeugen auch von der Überraschung, ja Verwunderung des Auslands über den Polit-Coup von Bern. Denn unter der grünen Bundeshauskuppel tut sich normalerweise nicht viel Spektakuläres.

Die Kommentatoren schrieben vom Ende des politischen Systems in der Schweiz, in dessen Zentrum bisher der Konsens gestanden habe. Doch damit liegen sie falsch, sagt Roger de Weck im Interview mit swissinfo.

swissinfo: Normalerweise interessiert sich die ausländische Presse wenig bis gar nicht für die Politik in der Schweiz. Bei den Bundesratswahlen vom Mittwoch war dies jedoch anders. Weshalb?

Roger de Weck: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat bei den letzten Wahlen 30% der Parlamentssitze erreicht. Das macht sie zur stärksten populistischen Partei in Europa. Dies ist ein Phänomen, das die Leute beschäftigt. Die Schweiz galt lange als gemässigtes Land, als ein Land des Ausgleichs und der Besonnenheit. Der Aufstieg der SVP stellte dieses Bild in Frage.

swissinfo: Medien in Europa und den USA zeigten sich beunruhigt über den gehässigen Ton im Wahlkampf. Poliert die Entmachtung von Christoph Blocher das Image der Schweiz im Ausland wieder auf?

R.d.W.: Seine Nicht-Wiederwahl ist eine sehr gute Nachricht für die Schweiz wie für ihren Ruf im Ausland. Denn sie hat die Populisten sehr weit gehen lassen. Viel weiter, als dies in anderen Ländern Europas der Fall war.

Die geäusserte Kritik am Parlament wird sich wieder legen. Man wird sehen, dass die Schweiz fähig ist, das politische System wieder ins Lot zu bringen. Das Ausland wird dies anerkennen.

swissinfo: Die SVP geht in die Opposition. Rückt die Schweiz dadurch dem Mehrheitssystem mit Regierung und Opposition näher, wie dies andere europäische Länder kennen?

R.d.W.: Überhaupt nicht. Die Ankündigung des Ganges in die Opposition hat viel Lärm verursacht. Aber der Schritt wird nichts daran ändern, dass in der Schweiz nach wie vor die Sachpolitik dominiert, nicht der Streit der Ideologien oder der Kampf um Macht.

Wer heute erklärt, in die Opposition zu gehen, muss morgen Verbündete suchen, wenn es bei konkreten Sachgeschäften um die Verteidigung der eigenen Interessen geht.

swissinfo: Also kein Wandel im politischen System der Schweiz in Sicht?

R.d.W: Ein solcher ist unmöglich. Einerseits kennt die Schweiz die direkte Demokratie, andererseits zählt sie sehr viele sprachliche, regionale und religiöse Minderheiten. Das macht das Land derart heterogen, dass man immer sehr viele Faktoren beachten muss. Tatsächlich ist es sehr schwer vorstellbar, dass sich das politische System der Schweiz in ein anderes als das jetzige verändert.

swissinfo: In Europa scheint der Populismus auf dem Rückzug. Auch in der Schweiz?

R.d.W: Gewiss hat der Populismus auch in der Schweiz seinen Zenit erreicht. Man wird zwar noch lange und oft über Blocher sprechen. Aber er wird nicht mehr Dreh- und Angelpunkt der Schweizer Politik sein. Von nun an haben wir es mit einem “halben Blocher” zu tun, der an politischem Gewicht verlieren wird. Die Hardliner der SVP hatten ja den eigenen Bundesrat Samuel Schmid wegen dessen Eigenständigkeit als “halben SVP-Bundesrat” beleidigt.

In Bezug auf Jörg Haider und dessen populistischer Partei in Österreich ist die Situation in der Schweiz absolut vergleichbar, aber bei weitem nicht gleich. Der Populismus, dort einst sehr mächtig, ist heute marginalisiert. Davon ist die Schweiz noch weit entfernt. Aber die kommenden Jahre werden eine allmähliche Rückkehr zur Normalität bringen.

swissinfo: Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse fürchtet um die Stabilität der Schweiz – berechtigt?

R.d.W: Die Erklärung von economiesuisse darf nicht überbewertet werden, denn der Verband befindet sich momentan in einer sehr defensiven, wenn nicht gar reaktionären Lage. Er fürchtet sich vor jeder Entwicklung, welche auf eine Öffnung der Schweiz zielen könnte.

Wir haben eine neue Bundesrätin, die als Finanzdirektorin des Kantons Graubünden eine sehr rigorose Politik verfolgt hat. Da ist die Idee, dass die Veränderung in der Regierung das Land destabilisieren könnte, doch etwas weit hergeholt.

swissinfo: Verbessern sich die Beziehungen zur EU, wenn Christoph Blocher nicht mehr im Bundesrat sitzt, sondern an der Spitze der Opposition steht?

R.d.W: Es ist nicht auszuschliessen, dass er ein Referendum gegen die geplante Ausweitung des freien Personenverkehrs auf Rumänien und Bulgarien ergreift. Ich gehe aber davon aus, dass das Schweizer Volk auch hier Vernunft zeigt und Blocher nicht folgt. Denn ein Nein zur Erweiterung würde die bilateralen Beziehungen zur EU als Ganzes in Frage stellen und vor allem die vitalen wirtschaftlichen Interessen der Schweiz tangieren.

swissinfo, Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Das am 21. Oktober neu gewählte Parlament hat am vergangenen Mittwoch die neue Schweizer Regierung gewählt.

Dabei kam es zu einem Eklat: Gewählt wurde mit 125 Stimmen die von anderen Parteien portierte, weltoffene SVP-Vertreterin Eveline Widmer-Schlumpf. Der amtierende Justizminister Christoph Blocher unterlag mit 115 Stimmen und verlor seinen Regierungssitz.

Widmer-Schlumpf, die zum Zeitpunkt ihrer Wahl noch auf dem Weg vom Kanton Graubünden nach Bern war, erklärte nach ihrem Eintreffen im Bundeshaus, dass sie sich eine Nacht Bedenkfrist ausbedinge.

Am Donnerstagmorgen kurz nach acht Uhr erklärte Eveline Widmer-Schlumpf die Annahme ihrer Wahl.

Unmittelbar danach verkündete SVP-Präsident Ueli Maurer, dass die SVP aufgrund der Abwahl Blochers in die Opposition gehe. Auch gab er bekannt, dass die beiden SVP-Mitglieder im Bundesrat aus der Fraktion ausgeschlossen würden.

Roger de Weck ist 1953 im Kanton Freiburg geboren.
Nach dem Studium in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität St. Gallen wurde er Journalist.
Er war Pariser Korrespondent für verschiedene Schweizer Zeitungen, um danach ins Verlags-Fach zu wechseln.
Nach seiner Rückkehr in die Medienwelt wird er Chefredaktor des Zürcher Tages-Anzeiger, 1997 übernimmt er die Chefredaktion der renommierten deutschen Wochenzeitung Die Zeit.
Er schreibt Kolumnen und Kommentare für diverse Zeitungen in der Schweiz, Deutschland und Frankreich. Zudem ist er ein gefragter Gesprächspartner in Radio und Fernsehen.
De Weck ist Präsident des Stiftungsrates der Hochschule für internationale Studien und Entwicklung in Genf (Institut de hautes études internationales et du développement, IHEID).

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