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Die Liebe zwischen Zürich und Berlin

Seit 1958 gut sichtbar für Automobilisten: Die Länge der Strecke von Berlin nach Zürich.

Gegenseitiger Austausch und Lob sind häufig: Die Beziehung zwischen Zürich und Berlin scheint hervorragend. Nun gefährden die Polemik um die deutsche Präsenz sowie die jüngste Steueraffäre die Idylle.

Viele stören diese Ungereimtheiten. Ein vergessener Gedenkstein könnte wieder an die guten Beziehungen erinnern.

Vor 50 Jahren wurde der Gedenkstein in Berlin und Zürich eingeweiht – doch dieses Jubiläum scheint niemanden gross zu kümmern. Obwohl sich wohl manch einer an diesem Gedenkstein freuen würde.

Am 3. Juni 1958 wurde er vom Zürcher Stadtpräsident Emil Landolt enthüllt, in der Nähe des Rathauses Steglitz in der Westzone Berlins als Zeichen der Freundschaft und der Solidarität mit der Westinsel im Ostblock, die als Symbol der Freiheit galt.

Am 11. April desselben Jahres stellte Landolt auch im Stadtzentrum Zürichs einen solchen Gedenkstein auf. Die Einweihungszeremonie wurde von einem kulturellen Programm und politischen Reden begleitet.

Landolt gilt als einer der populärsten Zürcher Stadtpräsidenten des 20. Jahrhunderts: Es gelang ihm namentlich, das angespannte politische Klima zwischen den Linken und den Bürgerlichen zu beschwichtigen.

Der Gedenkstein in Berlin ist zwar alles andere als optimal gelegen: Eingeklemmt zwischen zwei stark befahrenen Strassen steht er auf einem schmalen Rasenstreifen.

Doch der Gedenkstein mit der Begrüssung “Zürich grüsst Berlin” ist allseits bekannt. “Klar, weiss ich, dass dieser Stein ein Geschenk von Zürich ist”, sagt Sieglinde, eine ältere Dame.

In Zürich nicht wahrgenommen

Im Gegensatz zu Berlin ist der Gedenkstein in Zürich an bester Lage platziert: Gut sichtbar, steht er auf der Limmat-Brücke in der Nähe des Bahnhofs, wo täglich Tausende von Personen vorbeigehen.

Trotzdem wird er nicht wahrgenommen: Weder der Stadtpräsident Elmar Ledergerber noch andere Zürcher Vertreter wussten, dass in der Limmatstadt ein solcher Stein der Freundschaft überhaupt existiert.

“Der Gedenkstein in Zürich geht auf eine sehr starke antikommunistische Bewegung zurück”, sagt der Schweizer Journalist und Essayist Roger de Weck, der in Zürich und Berlin lebt.

Antikommunistische Bewegungen

Dies bestätigt auch der ehemalige Gewerkschafter und Aktivist Ernst Borer.

Der heute 85-jährige führte von 1963 bis in die 1980-er Jahre antikommunistische Gedenkfeiern zum Aufstand am 17. Juni 1953 in Berlin durch, der von sowjetischen Panzer niedergewalzt worden war.

Gemäss einem Schreiben des Stadtpräsidenten versuchte die Stadt seit 1966 zu verhindern, dass diese Gedenkfeiern beim Gedenkstein am Limmat-Ufer durchgeführt wurden.

Man wollte nicht, dass der Freundschaftsstein mit der antikommunistischen Bewegung in Zusammenhang gestellt wurde. Doch in den 1970-er Jahren hätten sich die linken Studenten darum foutiert. “Die Intoleranz war extrem”, sagte er.

Polemik nicht allzu ernst nehmen

Intoleranz wird heute angesichts der Zeitungsberichte über den Unmut der Zürcher gegenüber den Deutschen auch der Schweiz vorgeworfen.

Dazu kommen jetzt noch die Untersuchungen Berlins im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehungsaffäre, bei der auch die Schweiz ins Visier gekommen ist, was in Zürich viele ärgert. In Berlin dagegen ist man besorgt über die “antideutsche” Polemik.

“Diese Diskussion irritiert die Berliner”, sagt Sascha Buchbinder, Korrepondent des Zürcher “Tages-Anzeigers” in Berlin. “Sie verstehen nicht, weshalb sie von den Schweizern als Ausländer wahrgenommen werden.”

Und ein Geschichtsprofessor ergänzt: “Ein deutscher Freund, der in der Schweiz lebt, sagte mir, dass er während der Fussballweltmeisterschaften 2006 das Schweizer Publikum zum ersten Mal nicht für eine Niederlage der Deutschen habe fiebern sehen. Vielleicht ist die historisch bedingte Malaise gegenüber den Deutschen am Verschwinden.”

Gemäss Roger de Weck sei die Polemik um die Deutschen nicht allzu ernst zu nehmen: “Den Zürchern ist sehr wohl bewusst, dass sie heute wie früher von der Dynamik dieser Einwanderer profitieren.”

Intellektuelle Hauptstadt

“Die Berliner sind in der Limmat-Stadt immer herzlich willkommen”, hatte der Stadtpräsident Emil Landolt bei der Einweihung des Gedenksteins in Zürich gesagt. “Die Zürcher Professoren und Studenten werden sich in Berlin Wissen holen”.

Berlin avancierte während des 18. und 19. Jahrhunderts zur wirtschaftlichen und intellektuellen Hauptstadt im deutschsprachigen Raum.

Generationen von Schweizer Künstlern reisten zwischen Berlin und Zürich hin und her. So etwa Gottfried Keller, Adolf Muschg, Bertolt Brecht und Bruno Ganz. “Berlin und Zürich sind die Treffpunkte der Künstler”, sagt Roger de Weck.

Noch heute besitzen zahlreiche Journalisten, Schriftsteller und Schauspieler eine Zweitwohnung am Spree-Ufer.

Angespannte Beziehungen übertünchen

Die Graffitis, die sich bis vor kurzem auf dem Gedenkstein befanden, sind inzwischen verschwunden.

Wurden sie vielleicht gereinigt, um die angespannte Beziehung zwischen den beiden Städten zu übertünchen?

swissinfo, Ariane Gigon, Zürich und Berlin
(Übersetzung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Der Gedenkstein von Berlin wurde am 3. Juni 1958 eingeweiht, also noch vor dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961.

Der Stein befindet sich an der Schlossstrasse, in der Nähe des Rathauses Steglitz. Den oberen Teil des Steins schmückt ein Berliner Bär, unten steht “Berlin-Zürich, 863 km”. Auf der Rückseite ist zu lesen: “Geschenkt von der Stadt Zürich am 3. Juni 1958. Renoviert 1989.” Die Renovation nahm die Stadt Berlin vor.

Auf dem Gedenkstein von Zürich, den der Bildhauer Otto Münch aus Tessiner Granit geschaffen hat, steht: “863 km bis nach Berlin.” Und weiter: “Die Stadt Zürich hat diesen Stein am 11. April 1959 eingeweiht als Symbol der Freundschaft mit der Stadt Berlin.”

Die Stadt Zürich ist das Zentrum eines städtischen Raumes von 200 Gemeinden und knapp 1,7 Millionen Menschen.

Eines der Legislaturziele der Stadt ist die Schaffung von Allianzen über die Grenzen hinaus. Zürich ist zahlreichen Organisationen beigetreten (Euro Cities, The Glocal Forum, Sustainable Cities – ICSC usw.).

Zürich hat auch regelmässige Beziehungen mit Städten wie Barcelona, Lyon, Paris, London, Stuttgart, Wien, Berlin und Turin.

Und seit 25 Jahren pflegt Zürich eine Städtepartnerschaft mit Kunming in China – eine Partnerschaft, die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) notorisch kritisiert wird.

Nicht so die kürzlich geschlossene Allianz mit San Francisco, bei der es um wissenschaftlichen Austausch geht. Lediglich deren spektakuläre Inszenierung stiess hier und dort auf Kritik.

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