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Doppelbürgerschaft über die Grenzen hinweg

Die Grenze, ein Begriff, der für Doppelbürger nicht mehr viel Sinn macht. Keystone

Man kann mehr als ein Land lieben. Das bezeugen zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, der Grafiker und Maler Roger Pfund und der freisinnige Politiker Sébastien Leprat.

Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie man mit der Liebe zu zwei Ländern lebt. – Gespräche zu Demokratie, Öffnung, Europa und der SVP.

Ende 2006 lebten 645’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. 460’065 von ihnen, das sind 71,3%, haben die Doppelbürgerschaft.

Laut der französischen Botschaft haben sich zwischen 150’000 und 200’000 französische Staatsangehörige in der Schweiz niedergelassen. Auch von diesen hat ein grosser Teil die Doppelbürgerschaft. Diese ist also keine Ausnahme.

Auf der Linken (er wird Ségolène Royal wählen): Der Maler und Grafiker Roger Pfund. Wir treffen uns in seinem Genfer Atelier. Er war es, der die letzte Serie französischer Banknoten und auch den neuen Schweizer Pass entworfen hat.

Sein Vater war Berner, die Mutter stammte aus dem Burgund, kennen gelernt hatten sich die beiden in Paris. Pfund ist in Bern aufgewachsen, wurde aber schon früh von der Frankophonie angezogen: Seit 1971 lebt er in Genf.

Auf der Rechten (er wird Nicolas Sarkozy wählen): Der politische Sekretär der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und gleichzeitig Mitglied der französischen UMP, Sébastien Leprat.

Wir treffen uns in einem Berner Restaurant. Er wurde in Vésinet bei Paris geboren. Sein Grossvater war ein ausgewanderter Schaffhauser. Dank ihm erhielt Leprat vor 20 Jahren die französisch-schweizerische Doppelbürgerschaft. Seine Verbindung zur Schweiz verstärkte er noch, als er eine Bernerin heiratete und sich im Jahr 2000 in Bern niederliess.

Papiere bitte!

Welche Identitätspapiere tragen die beiden Gesprächspartner bei sich? “In der Schweiz beide, in Frankreich die französischen”, antwortet Leprat. “In der Schweiz die Schweizer Papiere, in Frankreich beide Pässe”, erklärt Pfund. Eine perfekte Symmetrie. “Ich habe den Schweizer Pass trotzdem lieber, denn den habe ich gemacht, der andere ist armselig!”, fügt Pfund an.

“J’ai deux amours, mon pays et Paris”

So sang Josephine Baker, die Sängerin mit dem grossen Herzen. Kann man wirklich tief innen zwei Länder lieben?

“Ja”, meint Pfund begeistert. “Dass ich nach Genf kam, war ganz klar: Genf ist eine internationale Stadt. Ich bin in Genf ein französischer Schweizer, bin auf die Schweiz und auf Europa ausgerichtet. Geistig bin ich übrigens eher Europäer, ich kämpfte für Europa und bedaure, dass wir noch immer nicht dazu gehören.”

Wie reagierten also die beiden Männer darauf, dass die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) 2004 das Recht auf die Doppelbürgerschaft in Frage stellte?

“Eine Provokation”, findet der Freisinnige und meint, das bedeute, dass die Partei “die Migrationspolitik, welche die Schweiz seit vielen Jahren und trotz allem auch heute noch verfolgt, sehr schlecht kennt.”

Noch radikaler fällt Pfunds Antwort aus: “Ich glaube an die Mischung von Nationalitäten und an jene der Farben. Das liebe ich an Genf, diese farbige Welt. Das ist Teil meines Engagements, bei all meinen Aktivitäten. In meiner Seele bin ich auch Afrikaner oder Lateinamerikaner. Alles, was diese dumme SVP sagt, geht mich deshalb nichts an.”

Für die Demokratie kämpfen

Beide verfolgen den französischen Wahlkampf aufmerksam. Leprat mit dem Auge des Berufspolitikers. Was heisst es zusammenfassend, in der Schweiz und in Frankreich Politiker zu sein?

“In Frankreich akzeptiert man damit die Idee einer repräsentativen Demokratie. Die Idee, dass Politik vor allem im Parlament und in der Regierung gemacht wird. In der Schweiz ist es viel komplexer. Da braucht es viel Bescheidenheit, denn es bedeutet, dass wegen der direkten Demokratie die Positionen ständig in Frage gestellt werden müssen. In Frankreich hängt man am Chefkult. In der Schweiz ist man gegenüber den politischen Eliten viel freier.”

Natürliches Recht

Aber laut Sébastien Leprat sind sich die Schweizer nicht immer bewusst, was sie haben. “Als gebürtiger Franzose denke ich, dass hinter jeder Demokratieform ein Kampf steht. Seit der Französischen Revolution hat Frankreich alle möglichen institutionellen Regierungen ausprobiert, immer mit Waffengewalt oder jedenfalls in gespannten politischen Situationen. Ich denke deshalb, dass es eine ausserordentliche Chance ist, bei allem mitreden zu können, und ich habe den Eindruck, dass die Schweizerinnen und Schweizer das nicht immer schätzen, dass sie das für eine Art natürliches Recht halten.”

A propos demokratische Rechte: Am 21. April und am 6. Mai wird Roger Pfund in Genf wählen. Sébastien Leprat in Bern, wo er das Wahlbüro in der französischen Botschaft führt.

swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Aus Anlass der französischen Präsidentschaftswahlen bringt swissinfo eine Serie, blickt über die Grenzen und beleuchtet Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Schweiz und Frankreich.

1943 in Bern geboren.

Lebt und arbeitet seit 1971 in Genf. Der Jazzliebhaber wendet sich trotz seiner Musikliebe der Grafik und dem Design zu.

Im Grafikbereich konzentriert Pfund seine Aktivitäten auf kulturelle und humanitäre Bereiche. Gleichzeitig spezialisiert er sich auf Banknoten.

1971 entwirft er die Reserveserie der Schweizerischen Nationalbank. Und auch die letzte Serie französischer Banknoten ein Jahrzehnt später stammt von ihm.

Ausserdem hat er den aktuellen Schweizer Pass gestaltet.

1971 in Vésinet bei Paris geboren.

Er studiert Rechtswissenschaften in Paris.

1995 unterbricht er diese für einige Zeit und arbeitet für Jacques Chirac in dessen Wahlkampagne für die französische Präsidentschaft mit.

Nachdem er seine zukünftige Frau, eine Schweizerin, kennen gelernt hat, arbeitet er zwei Jahre in Hochsavoyen, lässt sich aber dann in der Schweiz nieder und tritt im Jahr 2000 der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) bei, wo er politischer Sekretär wird.

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