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Gewerkschaften für Öffnung nach Osten

Vasco Pedrina (UNIA), Paul Rechsteiner und Serge Gaillard (beide SGB, von links): Offen gegen Osten, aber... Keystone

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat sich für die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen EU-Staaten ausgesprochen.

Der SGB wird das von Rechts angekündigte Referendum nicht unterstützen – wenn die flankierenden Massnahmen flächendeckend umgesetzt werden.

Was gegenüber den bisherigen Ländern der Europäischen Union gilt, muss auch gegenüber den zehn neuen Ländern in Mittel- und Osteuropa gelten, die seit Frühling 2004 in die EU aufgenommen wurden: Die Personenfreizügigkeit.

Der Vorstand des SGB hat mit 20 zu 0 Stimmen beschlossen, das Referendum gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit weder zu ergreifen noch zu unterstützen. Das sagte Präsident Paul Rechsteiner am Dienstag vor den Medien in Bern.

Tatbeweis antreten

Jetzt müssten aber Kantone, Arbeitgeber und Branchen den Beweis erbringen, dass die flankierenden Massnahmen mehr seien als “zahnlose Papiertiger”.

Nach der Zustimmung der beiden Räte in der Dezembersession zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit und den dazugehörigen flankierenden Massnahmen ergriff die politische Rechte, angeführt von den Schweizer Demokraten, das Referendum gegen das Abkommen.

Lohnkontrollen funktionieren nicht

Die Diskussion im SGB-Vorstand habe gezeigt, dass in der gewerkschaftlichen Basis grosse Ängste vor einem allgemeinen Lohn- und Sozialdumping herrschten, sagte Vizepräsident Vasco Pedrina. Dazu gesellten sich Befürchtungen wegen der anhaltenden Arbeitslosigkeit und der Verhärtung der Arbeitgeberpolitik.

Die Verbesserung der seit dem 1. Juni geltenden flankierenden Massnahmen entsprächen zwar nicht den gewerkschaftlichen Wunschvorstellungen, seien aber dennoch substanziell, sagte Rechsteiner. Ausserordentlich besorgt sei der SGB-Vorstand aber darüber, dass die Lohnkontrollen noch nicht überall funktionierten.

Drei entscheidende Monate

Der SGB begrüsse die Einsetzung einer Task-Force durch Bundespräsident Joseph Deiss, sagte Rechsteiner weiter. Das genüge aber nicht. Die Kantone seien dazu aufgerufen, in den nächsten drei Monaten dafür zu sorgen, dass die Lohnkontrollen endlich so durchgeführt würden, wie sie das Gesetz vorsehe.

Der Vorstand des SGB werde Ende April eine Bilanz ziehen und über das Engagement in einer allfälligen Volksabstimmung entscheiden, kündigte Rechsteiner an. Die nächsten drei Monate seien entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Massnahmen gegen Lohndrückerei und das Schicksal des Abkommens mit der EU.

Gegen Angstmacherei

Die Gewerkschaften seien bereit, die fremdenfeindliche Strategie und Angstkampagne der Rechtsaussen-Parteien zu vereiteln, die auf die begründeten Befürchtungen der Lohnabhängigen setzten, sagte SGB-Vizepräsident Christian Levrat. Aber jetzt stünden die Arbeitgeber in der Verantwortung.

Eine intensive Kampagne für die Freizügigkeit komme nur in Betracht, wenn die Gewerkschaften glaubhaft machen könnten, dass der Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen verhindert werde, sagte Levrat. Das sei erst dann der Fall, wenn sich auch Bund und Kantone im Kampf gegen schwarze Schafe unter den Arbeitgebern engagierten.

Unterschriftensammlung läuft

Ohne die rigorose Umsetzung der flankierenden Massnahmen werde die Bevölkerung kaum Ja sagen zur Freizügigkeit, zum Schengener Abkommen und zu anderen integrationspolitischen Vorlagen, sagte SGB-Sekretär Serge Gaillard. Nur dann werde das Nein des SGB zum Referendum zu einem aktiven Ja für die Bilateralen Abkommen II.

Die Schweizer Demokraten haben bis zum 31. März 2005 Zeit, die nötigen 50’000 Unterschriften zusammenzubringen. Schaffen sie diese Hürde, kommt es zu einer Volksabstimmung. Eine solche wäre rein technisch bereits am 5. Juni 2005 möglich.

swissinfo und Agenturen

Flankierende Massnahmen sollen Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Ländern verhindern.
Instrument dazu sind vor allem Kontrollen an den Arbeitsplätzen.
Dazu müssen die Kantone neue Stellen für Kontrolleure schaffen.

Der Vertrag über die Personen-Freizügigkeit zwischen der Schweiz und den 15 “alten” EU-Mitgliedern war Teil des ersten Pakets der Bilateralen Abkommen von 1999, die seit dem Jahr 2001 in Kraft sind.

Der Vertrag sieht eine graduelle Öffnung der Grenzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der beteiligten Länder vor.

Das Zusatzprotokoll, unterschrieben am 26. Oktober 2004, erlaubt die Ausweitung des Vertrages auf die 10 neuen EU-Mitglieder.

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