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Havel geht aufs Rütli

Der tschechische Präsident Vaclav Havel und Gattin Dagmar Havlova werden von Bundespräsident Moritz Leuenberger begrüsst. Keystone

Der tschechische Präsident Vaclav Havel ist am Freitagmorgen (29.06.), am zweiten Tag seines Staatsbesuchs, in Richtung Innerschweiz aufgebrochen. Erstes Ziel war das Rathaus Luzern, wo ein Empfang des Staatsgasts durch die lokalen und kantonalen Behörden auf dem Programm stand.

Nach einem Stadtrundgang will sich Havel im Kultur- und Kongresszentrum Luzern ein Konzert anhören. Für den Nachmittag ist ein Besuch der Rütliwiese vorgesehen. Havel hat es sich zur Gewohnheit gemacht, bei Staatsvisiten wichtige historische Stätten eines Landes zu besuchen. Der Staatsgast holt damit eine Visite nach, die er 1998 wegen einer schweren Erkrankung hatte absagen müssen.

Havel, Bundespräsident Moritz Leuenberger und Bundesrat Samuel Schmid wurden im Luzerner Rathaus von Stadtpräsident Urs W. Studer und Schultheiss Anton Schwingruber begrüsst. Dabei wurde auch die besondere Beziehung hervorgehoben, die zwischen Luzern und Prag besteht.

In einem Luzerner Verlag waren vor 1989 die Werke führender Prager Autoren erschienen, die in ihrer Heimat ein Opfer der Zensur geworden waren. Zu ihnen gehörten neben Havel auch Pavel Kohut oder Ludvik Vaculik.

Der tschechische Präsident stattet dem KKL am Mittag einen Besuch ab, wo Vladimir und Dimitri Ashkenazy ein Konzert geben. Danach wird die Gästeschar auf dem Dampfschiff «Schiller» zum Rütli fahren, wo der zweitägige Besuch abgeschlossen wird.

Am Donnerstag angereist

Vaclav Havel war am Donnerstag (28.06.) zu seinem zweitägigen Staatsbesuch in Zürich-Kloten eingetroffen, wo er von Bundespräsident Moritz Leuenberger empfangen wurde. Leuenberger sagte, Havel habe beim Fall des Eisernen Vorhangs von 1989 von der neuen Architektur Europas gesprochen. Diese Architektur werde jetzt Wirklichkeit, und ein wichtiger Teil sei die EU als grosses und erfolgreiches Friedensprojekt. Tschechien und die Schweiz gehörten der EU nicht an, Tschechien werde aber wohl bald Mitglied sein.

Das moralische Fundament fehlte

Die blosse Zugehörigkeit zur EU darf laut dem Bundespräsidenten kein Ziel als solches sein. Ziele seien die Menschenrechte, die Sicherheit, der Frieden, die kulturelle Diversität und der soziale Ausgleich. Alle Länder Europas, EU-Mitglieder oder Nicht-Mitglieder, müssten ihren Beitrag leisten.

Europa dürfe nicht zur Festung werden, die Freiheit sich nicht nur an Konsumismus, Schlagzeilen und Börsenkursen orientieren. Der Eiserne Vorhang sei nicht bloss gefallen, weil ein Wirtschaftssystem versagt habe, sondern weil der damals herrschenden Ideologie ein moralisches Fundament gefehlt habe und Menschen wie Havel Freiheit und Demokratie hochgehalten hätten.

West-, Zentral- und Osteuropa hätten nur noch als geographische aber nicht mehr als politische Begriffe Gültigkeit, sagte Leuenberger weiter. Erst wenn alle Länder zusammen ein Europa seien, sei der Eiserne Vorhang in den Köpfen gefallen. Nach 1989 habe auch die Schweiz begonnen, die Phase des Kalten Krieges aufzuarbeiten. Leuenberger erinnerte an den Schweizer Besuch Havels von 1990, als dessen Schriftstellerkollege Friedrich Dürrenmatt in seiner Rede die Schweiz als Gefängnis bezeichnete. Aber die Schweiz habe sich verändert, betonte Leuenberger. “Sie öffnet sich, sie will weder ein Gefängnis noch eine Insel sein”, sagte er.

Leuenberger erinnerte auch an die Flüchtlinge, die die damalige Tschechoslowakei 1968 nach dem Einmarsch der Sowjets verliessen und in der Schweiz eine neue Heimat fanden. Der freundschaftliche und kulturelle Kitt zwischen beiden Völkern sei heute so fest wie damals.

Havel bezeichnet EU-Beitritt als historische Chance

Der tschechische Präsident bezeichnete die Schweiz mit ihrer Vielfältigkeit als Vorbild für die EU. Die friedliche Koexistenz der verschiedenen Kulturen und der Föderalismus könne die EU beeinflussen. Für sein Land sei der EU-Beitritt eine einmalige, historische Chance, die Grenzen zu überwinden. Die Europäische Union ermögliche die politische, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

swissinfo und Agenturen

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