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Jugendliche treffen Minister auf Augenhöhe

Gruppenbild mit Minister: Die jungen Auslandschweizer mit Bundesrat Leuenberger.

Menschenrechte und die Olympischen Spiele, das Verhältnis der Schweiz zur EU, Integration und Energiepolitik: Junge Auslandschweizer diskutierten am Auslandschweizer-Kongress in Freiburg mit Bundesrat Moritz Leuenberger.

Die Abendsonne scheint durch die Scheiben des kargen Zimmers am Stadtrand. 15 junge Frauen und Männer sitzen am Tisch und stellen sich vor. Sie kommen aus Spanien, Brasilien, Deutschland und studieren in Städten mit klangvollen Namen.

“Wenn ich Ihnen zuhöre, werde ich eifersüchtig. Ich bin in Biel aufgewachsen, habe nachher in Zürich gearbeitet und jetzt in Bern. Wenn mich meine Arbeit ins Ausland bringt, dann komme ich nach Liechtenstein”, sagt das dienstälteste Mitglied der Schweizer Regierung.

Wie entstehen Leuenbergers viel beachtete Reden? Dies eine der Fragen an den Bundesrat. “Ich schreibe sie als Dialog, obwohl es eigentlich Monologe sind. Ich stelle mir vor, wer im Publikum sitzen wird. Welche Fragen würden die Leute stellen? Dann schreibe ich Entwürfe, schmeisse sie in den Papierkorb. Etwa den 10. Entwurf zeige ich meinen Mitarbeitern. Während der Rede kommt mir auch spontan etwas in den Sinn.”

Schwierige Antwort

“La Suisse a-t-elle besoin d’une nouvelle centrale nucléaire et où en êtes-vous dans le domaine de la protection de l’environnement?” – “Eine weit gefasste Frage. Sie ist nicht so leicht zu beantworten.” Leuenberger überlegt und antwortet auf Französisch.

Die Schweizer Energiepolitik gehe von einer Energie-Versorgungslücke aus, entwickle deshalb alle möglichen Szenarien der Energiegewinnung und setze auf Sparszenarien. “Wir fördern auch die erneuerbaren Energien.” Trotzdem könne die Notwendigkeit eines neuen KKW nicht ausgeschlossen werden.

“Ein neues KKW untersteht einer Volksabstimmung. Da braucht es eine Volksmehrheit. Wir haben zudem noch keine Lösung gefunden für die Lagerung der radioaktiven Abfälle.”

Langer Zeithorizont

Die Schweiz sei weit entfernt von einem EU-Beitritt, die Frage werde sicher später auf die politische Agenda kommen. “Aber es wird noch ein langer, langer Weg sein”, antwortet der 62-jährige Sozialdemokrat auf die Frage nach dem Verhältnis der Schweiz zur EU.

“Meine Partei ist für einen Beitritt. Persönlich und als Verkehrsminister bedaure ich, dass wir nicht Mitglied sind. Unser öffentlicher Verkehr wird im Ausland bewundert. Da bedaure ich es, keinen Einfluss zu haben.”

Mit Südamerika habe er als Energie- und Verkehrsminister beruflich weniger Kontakte, als mit den EU-Ländern. “Ich habe viele südamerikanische Freunde. Sie kamen zu Zeiten der Militärdiktaturen als Flüchtlinge in die Schweiz. Ich habe damals mitgeholfen, Hilfe zu organisieren. Jetzt sind die meisten zurückgekehrt.”

Durchlässige Grenzen

Olympische Spiele, Boykott? – “In den 1970er-Jahren waren Spanien und Portugal noch Diktaturen. Da stellten wir uns die Frage, ob man seine Ferien in Portugal verbringen solle oder nicht. Je durchlässiger die Grenzen sind, desto offener kann ein Land werden. Chinas Weg zur Demokratie ist noch sehr lang, aber die Menschenrechte gewinnen an Boden.”

Integration in der Schweiz? – Die Sonne brennt. Leuenberger kommt ins Schwitzen, zieht den Veston aus, überlegt lange und sagt: “Das ist ein viel diskutiertes Thema. Die Problematik ist etwas weit weg von meinem Ministerium. Die Gemeinden und die Schulen sind hier direkt konfrontiert. Da gibt es sehr viele gute Initiativen.”

Raser wollen sich nicht integrieren

Eine Antwort falle ihm schwer, aber “der Integrationswille ist nicht bei allen Leuten derselbe”. Leuenberger kommt auf die tödlichen, von jungen, meist ausländischen Rasern verursachten Verkehrsunfälle zu sprechen.

“Jugendliche, die mit mehr als 200 herumrasen, wollen sich nicht integrieren. Wie kommt man denen bei? Das ist schwierig, aber da gibt es nur harte Repression, harte Strafen, wie das Auto einziehen. Auch bei der Integration gilt es, Grenzen zu setzen.”

Staatslimousine statt Fahhrad

Der Mensch könne sein eigenes Leben nicht zweimal erfinden, antwortet er auf die Frage, was er als Jungendlicher habe werden wollen. “Kürzlich habe ich einen Schulaufsatz wieder gefunden. Da habe ich geschrieben, dass ich einmal Pfarrer sein möchte, in einem kleinen Bergdorf. Ich habe mir vorgestellt, ich würde ein Ziege halten, mit dem Fahrrad fahren und in der Freizeit den Bergbauern bei der Arbeit helfen. – Jetzt ist es halt anders gekommen.”

Der Tagungsleiter setzt das Ende und dankt. Moritz Leuenberger schaut erstaunt in die Runde: “Was macht Ihr jetzt, ein Fest?” – Vielleicht wäre er mit den Jugendlichen noch gerne ein Haus weitergezogen. Doch die klimatisierte Limousine wartet.

swissinfo, Andreas Keiser, Freiburg

15 junge Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer haben am Workshop der Auslandschweizer-Organisation (ASO) teilgenommen.

Der Workshop fand vom 17. bis 24. August in Bern und Freiburg statt.

Höhepunkt des Seminars war ein Gespräch mit Bundesrat Moritz Leuenberger am 23. August in Freiburg.

Die Teilnehmer erhielten Informationen zu Ausbildungsmöglichkeiten in der Schweiz und besuchten die Universität Bern.

Unter derm Thema “Schweiz und Europa” besichtigten sie in Basel den Zoll und den Rheinhafen.

Sie trafen EU-Befürworter und EU-Gegner, Gewerkschafter und Arbeitgeber berichteten über ihre Erfahrungen seit der Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU.

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