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Schweizer Beobachter fordert Wahlwiederholung

Seit Tagen protestieren in Kiew Tausende gegen Wahlfälschungen. Keystone

Ein Schweizer Wahlbeobachter appelliert an die ukrainische Regierung, sie soll den Aufrufen zur Wiederholung der Präsidentschaftswahl folgen.

Beim zweiten Wahlgang sei es zu massiven Unregelmässigkeiten gekommen, sagt Rudolf Von Rohr im Gespräch mit swissinfo.

Im Streit um den Ausgang der Präsidentenwahl in der Ukraine bemühten sich am Freitag ausländische Vermittler um eine Entschärfung der Lage.

Der polnische Präsident Alexander Kwasniewski, EU-Chefdiplomat Javier Solana und der Leiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Jan Kubis, sind nach Kiew gereist.

Die ukrainische Wahlkommission hatte Premierminister Viktor Janukowitsch zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt. Dieses Resultat akzeptieren die Anhänger des Oppositionskandidaten Viktor Juschtschenko jedoch nicht. Sie werfen der Regierung Fälschung des Ergebnisses vor.

Tausende Oppositionsanhänger protestieren seither vor dem Parlamentsgebäude in Kiew und drohen mit einem Generalstreik.

Auch die USA und die EU haben die Wahl als demokratisch unzulänglich bezeichnet.

OSZE-Wahlbeobachter Von Rohr verfolgt das Geschehen in der Ukraine seit dem 10. September. Er berichtet von Vinnitsa im Westen des Landes aus, wo die Unterstützung für Juschtschenko am grössten ist. Die Ostukraine dagegen gilt als Hochburg der Anhänger von Janukowitsch.

swissinfo: Was waren ihre Einrücke bei der Wahl des ukrainischen Präsidenten?

Rudolf Von Rohr: Der erste Durchgang hier in Vinnitsa verlief ruhig und es kam im Grossen und Ganzen zu keinen Unregelmässigkeiten.

In der zweiten Runde dagegen war das ganz anders. Wir hatten unzählige Wahlbetrügereien und die lokalen Autoritäten setzten die Wählerschaft unter grossen Druck. Ich beobachtete in der zweiten Runde einen massiven Rückschritt.

Hier in Vinnitsa war es zwar relativ ruhig, aber im Osten, wo mehr Oligarchen leben, gab es grosse Probleme mit Wahlbetrug und Manipulationen. Im Zentrum und im Westen des Landes verlief die Wahl jedoch vorwiegend korrekt.

swissinfo: Einige Wahlbeobachter sprechen davon, dass Medien einseitig zu Gunsten des Regierungskandidaten Janukowitsch berichteten, der von Russland unterstützt wird.

R.v.R.: Viele Fernsehstationen unterstützten Janukowitsch. Nur ein Sender, nämlich Channel Five, informierte auch über die Kampagne und die Zielsetzungen des Oppositionellen Juschtschenko. Die Medienberichte waren tatsächlich nicht neutral und das verstösst gegen das Gesetz.

Viele Sender werden vom Staat kontrolliert. Journalisten riskieren ihren Job, wenn sie kritisch berichten. Aber meiner Ansicht nach ist das grösste Problem, dass die Landbevölkerung nicht richtig informiert wird.

swissinfo: Die USA und die EU verurteilten die Unregelmässigkeiten beim zweiten Wahlgang. Wird die ukrainische Regierung die Wahl wiederholen lassen?

R.v.R.: Ich hoffe es. Meiner Meinung nach kommt es jetzt aber hauptsächlich auf die Haltung des Russischen Präsidenten Wladimir Putin an.

In den vergangenen Wochen besuchte Putin Kiew mehrmals und am letzten Montag gratulierte er Janukowitsch als erster zum Wahlsieg, noch bevor die Wahlkommission das Endresultat verkündet hatte.

Vielleicht haben ihn die massiven Demonstrationen überrascht. Wir wissen nicht, wie sich Russland verhalten wird. Und das ist für uns die wichtigste Frage.

swissinfo: Juschtschenko erklärte, er würde eine Neuauflage der Wahl akzeptieren. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschehen wird?

R.v.R.: Ich weiss es nicht. Da gilt es erst, rechtliche Fragen abzuklären. Und ich persönlich glaube nicht, dass Janukowitsch und die Oligarchen aus der Donetsk-Region in eine Wiederholung der Wahl einwilligen würden.

swissinfo: Was wird ihrer Meinung nach geschehen? Wird die Ukraine dem Beispiel Georgiens folgen und den Präsidenten bei einer friedlichen Revolution absetzen?

R.v.R.: Ich hoffe, die Ukraine wird einen friedlichen Weg einschlagen. Wie lange die Leute jedoch noch auf eine Antwort des scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma warten wollen, weiss ich nicht.

swissinfo-interview: Morven McLean
(Übersetzung aus dem Englischen: Nicole Aeby)

Nach ukrainischem Recht kann der Präsident nur für zwei Amtszeiten gewählt werden.

Präsident Leonid Kutschma wurde 1994 gewählt und danach für eine zweite Amtsperiode bestätigt.

Bei der Stichwahl vom Sonntag wurden Premier Viktor Janukowitsch von Kutschma und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützt.

Janukowitschs Herausforderer war der westlich orientierte Oppositionführer Viktor Juschtschenko.

Ukraine: Ehemalige sowjetische Republik im östlichen Zentraleuropa, die im Osten an Russland grenzt.
48 Millionen Einwohner.
78% Ukrainer, 17% Russen.

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