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Schweizer Regierung liess Atom-Akten vernichten

Kamerateam im Kontrollraum eines libyschen Nuklearreaktors, der von der IAEA überwacht wird. Keystone

Die Schweizer Regierung hat im Jahr 2007 Akten von drei mutmasslichen Schweizer Atomschmugglern vernichten lassen, um zu vermeiden, dass dieses "gefährliche Material" in falsche Hände gerät.

Das Material wurde von der Bundeskriminalpolizei unter Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) geschreddert, erklärte Bundespräsident Pascal Couchepin am Freitag.

Die bei drei Ingenieuren im Rheintal sichergestellten Dokumente hätten detaillierte Baupläne für Nuklearwaffen, für Gasultrazentrifugen zur Anreicherung von waffenfähigem Uran sowie für Lenkwaffenträgersysteme enthalten.

Diese Dokumente hätten ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Schweiz und die Staatengemeinschaft dargestellt, sagte Couchepin. Die Schweizer Regierung habe unter allen Umständen verhindern wollen, dass diese Informationen in die Hände einer terroristischen Organisation oder eines “unberechtigten” Staates gelangten.

Um dieser Gefahr wirksam zu begegnen und den vertraglichen Verpflichtungen aus dem internationalen Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) nachzukommen, habe der Bundesrat am 14. November 2007 beschlossen, die Datenträger und Dokumente der Ingenieure zu vernichten.

Pakistan-Connection

Die Bundesanwaltschaft führt seit 2004 ein Verfahren wegen Verstosses gegen das Kriegsmaterial- und das Güterkontrollgesetz.

2006 hat der Bundesrat “aus Hinweisen geschlossen, dass verschiedene offizielle Atomwaffenstaaten Kenntnis erhalten hatten, dass die Schweiz im Besitz von hochbrisanten Dokumenten war”.

Diese Dokumente stammten laut Couchepin aus dem Umfeld des “Vaters” der pakistanischen Atombombe, Abdul Qader Khan. Daraufhin sei die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) an die Schweiz gelangt und habe offiziell um Einsicht in den Datenbestand ersucht.

US-Geheimdienste?

Bei seinem Reisswolf-Entscheid habe sich der Bundesrat auf die Bundesverfassung gestützt, welche ihm die Kompetenz einräumt, zur Wahrung der aussenpolitischen Interessen des Landes Entscheide zu treffen und Massnahmen zu ergreifen, um schwere Störungen der inneren oder äusseren Sicherheit abzuwehren, sagte Couchepin.

Die für die Geheimbereiche zuständige Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) sei laufend informiert worden. Für Fragen stand Couchepin nicht zur Verfügung.

Couchepin sagte nichts zu einer von der Presse häufig erwähnten These, wonach die Aktenvernichtung aus Gefälligkeit gegenüber den USA geschehen sei. Gemäss dieser These, die auch von einem von der Nachrichtenagentur SDA befragten, anonym bleiben wollenden Experten gestützt wird, habe die Schweiz die amerikanischen Geheimdienste nicht in Verlegenheit bringen wollen.

GPDel-Präsident und Nationalrat Hugo Fasel erklärte am Schweizer Radio DRS, die Delegation sei am 8. Februar über die Aktion Reisswolf informiert worden. Die Information habe die GPDel auf eigenes Betreiben erhalten.

Verfahren gegen drei Schweizer ist hängig

Nicht vernichtet wurden die übrigen Strafakten der Bundesanwaltschaft wie Einvernahmeprotokolle und Rechtsschriften.

Das Strafverfahren gegen die Rheintaler Ingenieure – ein Vater und zwei Söhne – ist zur Zeit beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hängig.

swissinfo und Agenturen

Die zwei Schweizer Ingenieure, die verdächtigt werden, sich am Atomschmuggel für Libyen beteiligt zu haben, sitzen seit mehreren Jahren in Untersuchungshaft. Einer der St. Galler Ingenieure wurde im Oktober 2004 in Deutschland festgenommen und später an die Schweizer Behörden übergeben.

Sein Bruder wurde im September 2005 in Haft genommen. Auch der Vater der beiden sass wegen des Verdachts auf Atomschmuggel mit Libyen vorübergehend in Haft.

Die drei sollen 2001 bis 2003 für Abdul Qader Khan, den “Vater der pakistanischen Atombombe”, gearbeitet haben, der ein geheimes Atomwaffenprogramm für Libyen durchführte.

Die Affäre flog Anfang 2004 auf, nachdem Libyen sein Atomwaffenprogramm eingestellt und Khan die illegalen Atomgeschäfte mit Iran, Libyen und Nordkorea zugegeben hatte.

Pakistan hat das Abkommen über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nicht unterzeichnet.
Im Mai 1998 hat Islamabad mehrere Atomwaffentests durchgeführt.
Libyen hat sein Nuklearprogramm offiziell 2003 aufgegeben. Zuvor hatte die Regierung von Muammar Ghaddafi mehrmals versucht, Atomwaffen zu erwerben.

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