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Streit der Geschwisterparteien vor Bundesratswahl

Keystone

Die Freisinnig-Demokratische Partei und die Christlichdemokratische Volkspartei streiten sich nach dem Rücktritt von Pascal Couchepin um den frei werdenden Bundesratssitz. Der Zwist zwischen den beiden angeschlagenen Parteien könnte die politische Mitte weiter schwächen.

Pascal Couchepin verlässt den Bundesrat Ende Oktober. Als der freisinnige Politiker am 3. März 1998 in die Regierung (Bundesrat) gewählt wurde, war das eine klare Sache. Er hatte sich schon Jahre zuvor als Erbe von Jean-Pascal Delamuraz ins Spiel gebracht. Und das Parlament wählte ihn schliesslich, ohne mit der Wimper zu zucken.

Damals gab es noch die so genannte Zauberformel, welche die Verteilung der sieben Sitze im Schweizer Bundesrat seit 1959 regelte: 2 FDP, 2 CVP, 2 SP und 1 SVP. Im Falle einer Ersatzwahl wählte das Parlament praktisch automatisch einen Nachfolger aus der gleichen Partei.

Doch seit 2003 durchlebt das Schweizer Politsystem regelmässig kleine Erdbeben. Und diese werden wohl vorläufig anhalten, wie die Diskussion um die Nachfolge von Couchepin zeigt. Diverse Parteien – selbst die Grünen – haben sofort Stellung bezogen und Ansprüche angemeldet. Der Ausgang der Ersatzwahl ist alles andere als klar.

Historische Dominanz von FDP und CVP

Realistisch betrachtet entscheidet sich die Ersatzwahl am 16. September aber zwischen zwei Kontrahenten der bürgerlichen Mitte. Die Freisinnig-Demokratische Partei FDP wird alles daran setzen, ihren zweiten Sitz in der Regierung zu verteidigen.

Die Christlichdemokratische Volkspartei CVP will hingegen ihren 2003 verlorenen Sitz zurückerobern. Nach einem langen Waffenstillstand zwischen diesen beiden Parteien entfacht sich ein Kampf, der den Beginn des modernen Bundesstaates gekennzeichnet hatte.

1848 hatten die Freisinnigen die Oberhand. Vier Jahrzehnte lang monopolisierten sie die Regierung. Erst 1891 fanden Vertreter der rivalisierenden, konservativen CVP Einsitz im Bundesrat.

Diese beiden Parteien haben die Bundespolitik das ganze 20. Jahrhundert über dominiert. Sie repräsentierten die institutionelle Stabilität, auch nach der Integration der Schweizerischen Volkspartei SVP (1929) und der Sozialdemokratischen Partei SP (1943).

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Zauberformel

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Zauberformel schlüsselt die sieben Sitze im Bundesrat (Landesregierung) auf die wichtigsten Parteien in der Schweiz nach ihrer Wählerstärke auf. Sie ist eine Usanz und gründet auf keinem Gesetz. Sie respektiert auch das sprachliche Gleichgewicht. Sie kam erstmals 1959 zum Einsatz: Je zwei Sitze erhielten die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und die…

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Das Ende stabiler Verhältnisse

Doch dann kamen die Wahlverluste von FDP und CVP in den 1990er-Jahren. Sie gingen einher mit dem spektakulären Aufstieg der SVP, die heute stärkste politische Kraft im Land ist.

Mit ihren rechts-nationalen Positionen erreichte die ehemalige Bauernpartei vor allem die Wähler der politischen Mitte. 2003 eroberte die SVP den zweiten Sitz in der Regierung zu Lasten der CVP. Die Zauberformel und politische Stabilität waren am Ende.

Seither gab es kontinuierliche und durchaus historische Veränderungen in der Schweizer Regierung: Zwei nicht mehr wiedergewählte Minister (Ruth Metzler 2003 und Christoph Blocher 2007), zwei Minister, die ihre Parteizugehörigkeit gewechselt haben (Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf 2008) sowie einen aus fünf politischen Parteien zusammengesetzten Bundesrat.

Die Kunst der Arithmetik

“Im Jahr 2003 – mit dem Ende der Zauberformel – zerbrach praktisch ein Tabu der Schweizer Politik. Es begann eine neue Phase der Konkurrenz unter den Parteien. In den letzten Jahren vermochten es die wichtigsten politischen Kräfte im Land nicht, einen neuen Konsens zu den Wahlen aufzubauen. Die heutige Strategie der Parteien ist es, einfach die Mehrheit der Stimmen zu gewinnen, um den eigenen Kandidaten durchzubringen”, meint Georg Lutz, Politologe an der Universität Lausanne.

Diese veränderten Rahmenbedingungen führen nun auch zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien der Mitte. Die FDP erhebt unter Verweis auf die etwas höheren Wähleranteile von 2007 weiterhin Anspruch auf den Couchepin-Sitz.

Die CVP verweist ihrerseits auf die höhere Anzahl von Mitgliedern ihrer Fraktion in der Bundesversammlung, da sich dieser Fraktion auch Vertreter von zwei kleineren Parteien angeschlossen haben.

“Diese Zahlenspiele werden immer unerträglicher. Statt auf einige Stimmen oder Prozentpunkte zu verweisen, sollten die Parteien ihre Ansprüche durch ein politisches Programm legitimieren und darlegen, mit welcher Person sie dieses vorantreiben wollen”, meint Georg Lutz.

Paradoxe Situation

Die Gemüter erhitzten sich schnell, als die Parteien mögliche Kandidaten der Gegenseite angriffen und kritisierten. Diese Situation könnte die politische Mitte schwächen und die extremen Kräfte rechts und links stärken. Denn diese wollen am 16. September die jeweilige Unterstützung für einen Kandidaten nicht umsonst vergeben.

“Die Situation ist paradox: Den beiden Parteien der Mitte, die fast immer gleich abstimmen, gelingt es nicht, sich zu einigen. Sie bekämpfen sich in einem Moment, in dem sie ihre Kräfte bündeln müssten, um gegenüber der Rechten und Linken wieder Boden gut zu machen”, sagt Lutz.

Andererseits existieren bis heute zwischen FDP und CVP Rivalitäten, deren Wurzeln teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurück reichen. “Obwohl beide Parteien im Zentrum politisieren, gibt es traditionelle kulturelle und religiöse Unterschiede. Im Tessin und im Wallis ist eine Annäherung dieser beiden politischen Formationen bis heute nicht denkbar”, sagt der Politologe.

Armando Mombelli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

SVP: 65 Sitze (28,9% Wählerstimmen 2007)
SP: 51 Sitze (19,5 %)
FDP: 47 Sitze (17,7 %)
CVP: 47 Sitze (14,5 %)/52 Sitze in der Fraktion dank zwei Kleinstparteien
Grüne: 24 Sitze (9,8 %)
BDP: 6 Sitze

1959-2003
Das Zeitalter der Zauberformel: 2 FDP, 2 CVP, 2 SP, 1 SVP

2003
Am 10. Dezember wählt das Parlament SVP-Nationalrat Christoph Blocher anstelle der bisherigen CVP-Vertreterin Ruth Metzler in den Bundesrat.

2004-2007
Neue “Zauberformel”: 2 SVP, 2 FDP, 2 PS, 1 CVP

2007
Am 12. Dezember wird Christoph Blocher nicht im Amt bestätigt. An seiner Stelle wird Eveline Widmer-Schlumpf (SVP) gewählt.

2008
Die SVP geht daraufhin in die Opposition und anerkennt Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf nicht als Bundesräte der eigenen Partei. Beide Bundesräte treten aus der SVP aus und werden Mitglieder der neugegründeten Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP).

Bundesrat: 2 SP, 2 FDP, 2 BDP, 1 CVP

Am 10. Dezember Dezember wird Ueli Maurer (SVP) anstelle des zurückgetretenen Samuel Schmid (BDP) gewählt.

2009
Bundesrat: 2 SP, 2 FDP, 1 CVP, 1 SVP, 1 BDP

Am 16. September muss das Parlament einen Ersatz für den zurückgetretenen Bundesrat Pascal Couchepin (FDP) wählen.

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