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Wilmshurst für die Schweiz, Jabbar für Libyen

Sowohl Wilmshurst wie Jabbar waren im Chatham House, dem Institut für internationale Beziehungen, tätig.

Die Britin Elizabeth Wilmshurst wird die Schweiz im internationalen Schiedsgericht vertreten. Auf libyscher Seite wurde der britische Richter Saad Jabbar ernannt.

Gemäss dem am 20. August vom Schweizer Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz zusammen mit dem libyschen Premierminister al-Baghdadi Ali al-Mahmoudi in Tripolis unterzeichneten Abkommen sollten die beiden unabhängigen Vertreter des Schiedsgerichts innerhalb von zehn Tagen ernannt werden.

Präsidiert wird das Schiedsgericht mit Standort London von einer dritten Person, auf die sich die beiden Nominierten einigen müssen.

Das Schiedsgericht soll die Verhaftung von Hannibal Gaddafi und dessen Ehefrau im Juli 2008 durch die Polizei in Genf untersuchen. Eingeschritten war die Genfer Polizei, weil zwei Gaddafi-Hausangestellte das Paar wegen Misshandlung angezeigt hatten.

Die Schweiz wird in dem Schiedsgericht von Elizabeth Wilmshurst vertreten. Die britische Richterin hatte 2003 für Aufsehen gesorgt, als sie aus Protest gegen das Vorgehen im Irak-Krieg als stellvertretende Rechtsberaterin im britischen Aussenministerium zurückgetreten war.

Als ihr Rücktrittsschreiben zwei Jahre später veröffentlicht wurde, löste dies eine regelrechte Kontroverse aus.

“Ich kann nicht zustimmen, dass der Einsatz von militärischer Gewalt gegen den Irak ohne Resolution des Sicherheitsrats rechtsmässig ist”, hielt die Juristin 2003 in ihrem Rücktrittsschreiben fest und sprach in diesem Zusammenhang von einer “kriminellen Aggression”.

Wilmshurst arbeitet heute als Professorin für Völkerrecht am University College London und als Expertin am Chatham House, dem Londoner Institut für internationale Beziehungen.

“Keine Zweifel” an Kompetenz

Wilmshurst geniesse den Ruf einer äusserst erfahrenen und unabhängigen Völkerrechtlerin, begründet das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die Ernennung von Wilmshurst am Sonntag.

Es sei schwierig eine kompetentere Juristin für diese Aufgabe zu finden, sagt Philippe Sands von der University College London gegenüber swissinfo.ch.

Wilmshurst sei eine hervorragende internationale Völkerrechtlerin, völlig unabhängig und integer. “Ich kenne sie seit vielen Jahren und habe keine Zweifel daran, dass sie ihre Aufgabe mit grosser Sorgfalt und der Gewissenhaftigkeit ausführen wird, die so viele an ihr schätzen”, so Sands.

“Perfekte Juristin”

Ihr Rücktritt aus dem britischen Aussenministerium 2003 habe ihr einen gewissen Helden- und Ikonen-Status verliehen.

Wilmshurst habe diese schwierige Situation damals mit grosser Diskretion gemeistert, blieb ihren Prinzipen treu, ohne dabei die Aufmerksamkeit auf sich lenken zu wollen, sagt Sands.

Auch Nadim Shehadi, Experte bei Chatham House, ist ebenfalls des Lobes voll für Wilmshurst: Sie sei eine “perfekte Juristin” mit grossen analytischen Fähigkeiten, die auch Nein sagen könne, sagte er gegenüber der Westschweizer Tageszeitung Le Temps.

Saad Jabbar, Brite mit algerischen Wurzeln

Auch Libyen hat mit einer Verspätung von drei Tagen inzwischen einen Vertreter für das internationale Schiedsgericht benannt, nämlich den Anwalt Saad Jabbar. Jabbar ist britischer Bürger algerischer Herkunft, der seit 33 Jahren in Grossbritannien lebt.

Auch Jabbar war bis vor einigen Jahren mit Chatham House assoziiert, dem Londoner Forschungsinstitut für internationale Beziehungen. Zeitweise war Jabbar auch mit einem Institut für nordafrikanische Studien in Cambridge verbunden.

Heute berät er eine der berühmtesten Anwaltskanzleien in London, Carter-Ruck. Jabbar hatte die libysche Regierung bereits in der Affäre um das Lockerbie-Attentat beraten. 1988 kamen 270 Menschen um, als eine Bombe in einem amerikanischen Passagierflugzeug über Schottland explodierte.

Jabbar besuchte auch Abdel Basset al Megrahi, der für das Attentat verurteilt wurde, in dessen Gefängnis in Schottland. Als Megrahi vor zwei Wochen nach Libyen heimkehren durfte, sagte Jabbar, es handle sich um einen Sieg für den gesunden Menschenverstand, denn Megrahi sei das Opfer eines groben Justizirrtums und unschuldig

Bundesrat will Vertrag umsetzen

Der Schweizer Bundespräsident Merz ist in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit der Vereinbarung, die er ohne Absprache mit dem Bundesrat unterzeichnet hatte, stark unter Druck geraten.

Während sich die meisten übrigen Parteien aus Rücksicht auf die Geiseln in Libyen in Zurückhaltung üben, forderte am Dienstag ausgerechnet Merz’ Partei, den Vertrag mit Libyen vorerst nicht umzusetzen.

In einer Stellungnahme wirft die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) den Libyern Wortbruch vor. Rechtlich gebe es keinen Grund, die sofortige Ausreise der Festgehaltenen zu verhindern.

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom Mittwoch bekräftigt, dass er den Vertrag mit Libyen umsetzen wolle. Er erwarte von Libyen das gleiche, sagten Bundespräsident Hans-Rudolf Merz und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey vor den Medien im Bundeshaus.

Calmy-Rey an Merz’ Seite

Das Ziel sei die Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern und insbesondere die Rückkehr der beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer Geschäftsleute.

Merz bekräftigte, dass ihm in den Verhandlungen zu dem am vergangenen 20. August in Tripolis unterzeichneten Vertrag mehrfach zugesichert worden sei, die beiden Schweizer könnten bis Ende August in ihre Heimat zurückkehren.

Auf Schweizer Seite ist das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mit der Umsetzung der Vereinbarung beauftragt worden. “Ich bin hier an der Seite des Bundespräsidenten, um ihn zu unterstützen”, sagte Calmy-Rey vor den Medien.

Jessica Dacey, swissinfo.ch
(Adaption aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Abkommen zur Beilegung der Affäre Gaddafi umfasst 7 Punkte. Hier die wichtigsten Bestimmungen des auf englisch und arabisch abgefassten Abkommens, das die Unterschriften von Premierminister Al Baghdadi El-Mahmudi und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz trägt:

Gemäss Punkt 1 soll sich die Schweizer Regierung öffentlich für die ungerechtfertigte und unnötige Verhaftung (“unjustified and unnecessary arrest”) des libyschen Diplomaten (Hannibal Gaddafi) und seiner Familie durch die Genfer Polizei “und andere Schweizer Beamte” entschuldigen.

2. Beide Staaten setzen gemeinsam ein dreiköpfiges Schiedsgericht zur Untersuchung der Affäre ein. Die jeweiligen Parteien wählen zwei Schiedsrichter aus Drittstaaten aus. Diese wählen gemeinsam einen dritten aus, den Vorsitzenden des Gremiums.

Die Parteien teilen sich die Kosten des Schiedsgerichts. Sein Sitz ist London. Es soll nationale und internationale Rechtsgrundsätze anwenden und innerhalb von 60 Tagen ein Urteil fällen. Beide Länder verpflichten sich, sich daran zu halten.

3. Falls das Gericht unrechtmässige Handlungen (“wrongfull actions”) feststellt, müssen die Schweizer Behörden die notwendigen Schritte gegen die Verantwortlichen einleiten.

4.Stellt das Gericht kriminelle Handlungen oder Gesetzesverletzungen fest, müssen der oder die Verantwortlichen vor Gericht gezogen werden.

5.In seinem solchen Fall muss eine vom Gericht festgelegte Entschädigung an die Opfer oder an eine von diesen benannte Organisation gezahlt werden.

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