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Der 100-Dollar-PC ist kein Spielzeug

Ein schönes Objekt, mit seinen WiFi-Antennen in Form von "Hasenohren" fast wie ein Spielzeug, aber trotzdem leistungsfähig. (Bild: OLPC) OLPC

Bald geht der "PC für Arme" als Massenware in Produktion. Das von einem in San Francisco lebenden Schweizer Stardesigner entworfene Gerät ist gespickt mit technologischen Innovationen.

Die Stiftung OLPC (One Laptop per Child) sieht in der Verteilung an Schulkinder in den Ländern des Südens eine ausgezeichnete Investition in die Zukunft. Bezahlt wird die Aktion von den Regierungen.

“Es ist ein Schulprojekt, nicht ein Informatikprojekt”, betont Nicholas Negroponte, der Vater von OLPC, Guru der neuen Technologien und Autor von “Being digital” (Total digital), einem Bestseller, der in fast 40 Sprachen übersetzt wurde.

Aber Negroponte ist vor allem Direktor und Gründer des MIT Media Lab, des Informatiklabors des Massachusetts Institute of Technology in Boston.

Und als solcher lancierte er im Januar 2005 am Weltwirtschaftsforum in Davos (WEF) die Idee des 100-Dollar-Computers.

Das Credo von OLPC zeigt sich in seinem Namen: Ein Laptop pro Kind. Die Verteilung von Computern an Schulen war ein Misserfolg, deshalb soll nun jedes Schulkind sein eigenes Gerät haben.

Es ist ein Werkzeug zum Lernen, es ist Lexikon, Notizbuch und, dank dem Internet, Fenster zur Welt. Es kann überall hin mitgenommen werden, und die Kinder werden viel mehr Sorge dazu tragen als zu den grossen Geräten, die manchmal in der Schule zur Verfügung stehen.

Die zerbrochene Kurbel

Negroponte ist ein Mann mit Überzeugungen, und er hat ausgezeichnete Verbindungen.

Sehr schnell bringt er Riesen wie die Suchmaschine Google, den Mikroprozessorenfabrikanten AMD, die Telecomkonzerne SES Global und BrightStar sowie Red Hat, den Vertreiber des Gratisbetriebssystems Linux dazu, sich an seinem Vorhaben zu beteiligen.

Diese Partner strecken zusammen 16 Millionen Dollar vor. Im November 2005 kann OLPC am Informationsgipfel in Tunis seinen ersten Prototypen vorstellen.

Der kleine PC ist für Länder gedacht, in denen die Stromzufuhr unsicher ist, deshalb muss er eine Batterie haben, die ohne Strom aufgeladen werden kann. So bekommt er eine Kurbel. An der Demonstration dreht UNO-Generalsekretär Kofi Annan sie mit so viel Schwung, dass er sie in der Hand behält!

Einige Details müssen also überarbeitet werden. Das ist die Arbeit von Yves Béhar – dem Schweizer Designer, der in Amerika Furore macht – und seines Büros fuseproject. Im März 2006 erhält er von OLPC den Auftrag.

Hightech-Lösungen

“Technisch ist das nicht ein Billigprodukt wie vieles, was für die Länder des Südens entworfen wird”, freut sich Béhar. “Da hat es Dinge drin, die absolut einmalig sind und moderner als in PCs, die zehn Mal so teuer sind.”

Der Bildschirm ist revolutionär. Die Techniker des MIT haben eine neue Matrix mit Flüssigkristallen erfunden, wo jedes Pixel das Licht sowohl reflektieren wie durch einen Farbfilter durchlassen kann. Resultat: Bei starkem Sonnenlicht geht das Bild in schwarz-weiss über und der Text bleibt sehr gut lesbar.

Das neue Ladegerät für die Batterie ist robuster und ergonomischer als die Kurbel. Es funktioniert wie der Starter eines Rasenmähers. Die Bewegung beim Ziehen an der Schnur ist ausholender und deshalb weniger ermüdend, und man kann es auch mit den Füssen betreiben. Sechs Minuten reichen für eine Stunde Betrieb.

Und dann – dieser Look! “Der ist eine Art Botschafter für das Projekt. Ob man seine Bedeutung erkennt oder nicht, ob man die technischen Teile versteht oder nicht, es ist sehr attraktiv”, bemerkt sein Designer.

Kompakt wie ein Spielzeug, sehr robust, gemacht zum Betrieb sowohl in der Gluthitze der Wüste wie in der Feuchtigkeit des Tropenwalds – dieser PC ist auch der erste “richtige” Computer, der speziell für Kinder entworfen wurde.

“Pfeiler der Entwicklung”

Aber brauchen die Kinder in armen Ländern anderes nicht nötiger? Seit der Lancierung des Projekts gibt es viel Kritik dieser Art.

So hat zum Beispiel Indien dem OLPC bereits die Türe vor der Nase zugeschlagen. Das Land schützt damit auch seine eigene Informatikindustrie.

Für Béhar ist klar, dass das Gerät “einen Zugang zu Informationen ermöglicht, den es in diesen Ländern sonst nicht gibt”. Ohne die anderen Bedürfnisse zu vernachlässigen sieht der Designer in der Information “einen der Pfeiler der Entwicklung”.

“Dieses Projekt ist wertvoll für den Zugang zu Informationen, und, etwas weiter gefasst, den Zugang zur Demokratie”, fährt Béhar weiter. “Aber ich hoffe, dass es den einzelnen Menschen ermöglicht, zu neuen Horizonten und neuen Ideen zu gelangen.”

Made in Taiwan

Die Zukunft wird es zeigen. Inzwischen gibt OLPC bekannt, dass anfangs Januar bereits Verträge mit Argentinien, Brasilien, Libyen, Nigeria, Ruanda und Uruguay geschlossen wurden.

Die ersten Demonstrationsgeräte sind verteilt, und die Massenproduktion soll in einigen Wochen in der Fabrik Quanta in Taiwan beginnen, die einen Drittel der weltweit verkauften Laptops herstellt, namentlich für Dell und HP.

Im Moment liegen die Kosten für eine Einheit näher bei 150 als bei 100 Dollar, aber OLPC hofft, dass sie mit den eingehenden Bestellungen sinken und eines Tages vielleicht sogar unter diese psychologische Schwelle fallen werden.

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragen aus dem Französischen: Charlotte Egger)

AMD-Prozessor, 366 MHz, 128 MB RAM, 512 MB Datenspeicher

19-cm-LCD-Farb- und Monochrombildschirm, Auflösung 1200 x 900

2 USB-Anschlüsse, zwei leistungsfähige WiFi-Antennen (Internetverbindung und gegenseitige Vernetzung der PCs), integrierte Lautsprecher und Webcam

Linux-Betriebssystem, möglicherweise später auch Windows, mittels einer zusätzlichen Speicherkarte

Stromverbrauch zehn Mal weniger hoch als bei einem herkömmlichen Laptop, von Hand aufladbare Batterie

Yves Béhar wurde vor 39 Jahren in Lausanne geboren. Er lernte seinen Beruf am Art Center College of Design in La Tour-de-Peilz. Nach einem Jahr kann Béhar ins Mutterhaus in Pasadena, Kalifornien, wechseln.

Danach arbeitet er im Silicon Valley, namentlich für die Firma, welche das Design für den Mac und die Swatch konzipierte. 1997 gründet er fuseproject, eine Designagentur, die heute gut dreissig Personen beschäftigt.

In zehn Jahren hat sich Béhar einen Platz an der kalifornischen Sonne erarbeitet. Seine Werke sind in Museen zu bewundern, es regnet Preise. Zu seinen Kunden gehören Microsoft, Nike, Samsonite und BMW (Accessoires für den Mini).

Er ist es auch, welcher der Birkenstock-Sandale, dem früheren Hippie-Symbol, einen neuen Look verpasst und daraus ein Objekt gemacht hat, das sowohl hightech wie ökologisch ist.

Nicholas Negroponte gibt ihm den Auftrag, dem 100-Dollar-PC ein gutes Design zu verpassen. Für dieses humanitäre Projekt verlangt Béhar ein Honorar, das dem “strikten Minimum” entspricht.

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