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Der Frust der Fans entlädt sich auch an der Polizei

Gewaltbereite Fans greifen nicht nur die gegnerischen Fans an, sondern auch die Polizei. Keystone

An Fussballspielen geraten längst nicht mehr nur die Fans aneinander. Immer öfter werden Ordnungshüter zur Zielscheibe der Angriffe. Im swissinfo-Interview äussert sich der Kriminologe Patrik Manzoni zur Gewalt der Hooligans gegen die Polizei.

Letztes Wochenende kam es beim Spiel Zürich (FCZ) gegen Basel (FCB) zu massiven Ausschreitungen. Das nächste Risikospiel wird am Sonntag ausgetragen: In Bern treffen die Tabellenführer der Super League aus Bern (YB) und Basel aufeinander, und damit auch deren Fans.

swissinfo: Aus welchen Gründen prügeln sich diese Leute überhaupt? Sind Fussballspiele eine Gelegenheit, um Aggressionen abzulassen, oder werden die Aggressionen bei den Spielen erst richtig aufgebaut?

Patrick Manzoni: Beides ist möglich. Einerseits können die Fans bereits aggressiv zum Spiel kommen. Es ist durchaus denkbar, dass sich bei einem Teil der Fans die unter der Woche angestauten Aggressionen am Wochenende entladen.

Andererseits gehen bei einem Fussballspiel die Emotionen hoch. Wenn dann die eigene Mannschaft verliert, kann sich dieser Frust gegen die gegnerischen Fans richten.

swissinfo: Würden sich diese Leute in einem andern Rahmen genau gleich prügeln, wenn es keine Fussballspiele gäbe?

P.M.: Ich habe schon gehört, dass sich gegnerische Hooligans auch im Freien, also abseits vom Fussballstadion, Kämpfe liefern.

Zumindest ein Teil der Hooligans ist sicher gewaltbereit. Anzunehmen ist deshalb, dass sie sich auch dann prügeln würden, wenn es keinen Fussball gäbe. Sie würden sich einfach andere Gelegenheiten suchen.

swissinfo: Weshalb greifen die Fans auch die Ordnungshüter an?

P.M: Die sogenannten Hooligans suchen den Kick darin, sich mit den gegnerischen Fans zu prügeln. Anscheinend gibt es aber so etwas wie einen Ehrenkodex, dass Aussenstehende nicht angegriffen werden. Werden die Gruppen aber durch die Polizei getrennt, dann muss anscheinend die Polizei als Ziel herhalten.

swissinfo: Welche Rolle spielt der Auftritt und das Eingreifen der Polizei? Wird ihr Auftritt als Provokation empfunden?

P.M.: Das ist schwierig zu sagen. Ohne Polizeipräsenz würde es sicher nicht friedlicher ablaufen. Die Polizei tritt ja vor allem deeskalierend auf und versucht, die Gewalt zu vermeiden. Mitunter fühlt sich aber ein Fan durch das meist massive Polizeiaufgebot provoziert, das ja jeweils nötig ist.

swissinfo: Anfang November trat die Polizei zum ersten Mal an die Öffentlichkeit, um auf die Gewalt aufmerksam zu machen, die sie vermehrt erfährt. Hat sie damit ein Tabu gebrochen?

P.M.: Als einen Tabubruch würde ich das aber nicht bezeichnen. Die Polizei besitzt ja das staatliche Monopol, Gewalt auszuüben. Dabei ist sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt auch selber angegriffen zu werden. Anscheinend hat die Gewalt ein Ausmass angenommen, das den Gang an die Öffentlichkeit nötig machte.

swissinfo: Polizisten werden nicht nur bei Fussball-Spielen angegriffen. In welchen Situationen sind sie am häufigsten der Gewalt ausgesetzt?

P.M.: In einer deutschen Studie zu schwerer Gewalt gegen die Polizei zeigte sich, dass die Angreifer überwiegend Männer, alleine unterwegs und zu einem grossen Teil alkoholisiert waren. Die Hälfte von ihnen war bereits polizeilich bekannt, wobei der Angriff meist überraschend erfolgte.

Aus einer eigenen Studie, die allerdings aus dem Jahr 1999 ist, ist bekannt, dass die Angreifer ebenfalls überwiegend Männer waren (85%). Fast die Hälfte war zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt.

Am häufigsten zu Gewalt gegen die Polizei kommt es bei Personen- und Verkehrskontrollen.

Das Besondere an Fussballspielen ist jedoch, dass die gewaltbereiten Fans aus der Gruppe heraus angreifen.

swissinfo: Welchen Handlungsspielraum hat die Polizei, um sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen?

P.M.: Die Polizei hat einen beschränkten Handlungsspielraum. Sie kann präventiv wirken durch ein Alkoholverbot oder spezielle Beamte, die die Hooliganszene kennen .

Eine weitere Möglichkeit sind repressive Massnahmen. Die Täter sollen schnell gefasst und der Justiz zugeführt werden.

Solche Massnahmen, wie sie an der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren beschlossen wurden, gehen sicher in die richtige Richtung.

Wichtig ist, dass eine Strafe möglichst zeitnah auf die Tat erfolgt und nicht erst Monate später, nachdem die Tat schon längstens vergessen ist. Die Strafen sollten auch möglichst eine Wirkung auf die Täter haben. In England zum Beispiel muss eine Person, die über das Fussballfeld rennt, 10’000 Pfund Busse bezahlen. Das schmerzt natürlich und hat auch Wirkung gezeigt.

swissinfo: Der Polizeidirektor des Kantons Bern, Hans-Jürg Käser sagte, dass die Öffentlichkeit oft kritischer auf die Ordnungshüter schaue als auf die Gewaltorgien der Jugendlichen. Teilen Sie diese Meinung?

P.M.: Ich habe ein gewisses Verständnis für diese Einschätzung seitens der Polizei. Aber ich finde, man muss bei beiden kritisch hinschauen. Auf der einen Seite ist es wichtig, dass das Gewaltmonopol der Polizei nicht missbraucht wird. Andererseits muss aber auch die Entwicklung von Gewaltexzessen der Jugendlichen genau beobachtet und wenn nötig, gezielter darauf reagiert werden.

Sandra Grizelj, swissinfo.ch

Anfang November haben die kantonalen Polizei- und Justizdirektoren ein Massnahmenpaket verabschiedet, um die Gewalt in Stadien zu unterbinden. So sollen unter anderem für Fussball- und Eishockeyspiele Fancards eingeführt, Sicherheitsleute bei Gästefans und Szenekenner eingesetzt, Videokamera installiert und Stehplätze abgeschafft werden.

Für Gästesektoren und Hochrisikospiele ist ein generelles Alkoholverbot geplant. Zudem soll die Strafverfolgung beschleunigt werden.

Im Schnitt stehen an einem Wochenende rund 900 Polizisten bei Sportveranstaltungen im Einsatz.

Zahlreiche europäische Länder haben spezielle Gesetze zur Bekämpfung des Hooliganismus erlassen.

England, das in den 1980er-Jahren mit Gewaltexzessen von Hooligans konfrontiert war, hat als erstes Land strenge Massnahmen ergriffen.

Im Allgemeinen werden die Sicherheitsanstrengungen in den Nachbarstaaten der Schweiz von der öffentlichen Hand unterstützt.

In Frankreich und Deutschland übernimmt der Staat die Kosten für die Sicherheit am Rande der Stadien. Die Klubs sind für die Sicherheit im Innern der Stadien verantwortlich, so wie in der Schweiz auch.

Diese Aufteilung der Verantwortlichkeit strebt auch die italienische Regierung an. Besonders rechtsextreme Ultras terrorisieren in Italien Klubs, Fans und Öffentlichkeit mit Gewaltexzessen. Diese führten zu mehreren Todesfällen sowohl auf Seiten der Polizei als auch bei den Hooligans.

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