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Die Ernüchterung nach Kopenhagen ist gross

"Es tut mir leid. Wir hätten die katastrophale Klimaveränderung stoppen können. Wir taten es nicht" sagt der brasilianische Präsident Lula auf einem Plakat am Flughafen Kopenhagen. Keystone

In der Schweiz hat der Abschluss der internationalen Klimakonferenz verschiedene Reaktionen hervorgerufen. Die Medien, die Parteien und die Umweltorganisationen sind enttäuscht. Die Erwartungen seien zu hoch gewesen.

Umweltminister Moritz Leuenberger hat die Art, wie Dänemark die Verhandlungen am UNO-Klimagipfel organisiert hat, kritisiert. In einem Interview mit dem “SonntagsBlick” sagte er, die dänische Präsidentschaft habe “etwas grobschlächtig gewikingert”.

“Wie das durchgezogen wurde, wie viele Delegierte bis zum Schluss über den Verfahrensstand im Ungewissen gelassen wurden, wie dann zum Ende des Gipfels noch einige – zugegeben wichtige – Staatschefs kamen und selbst verhandelten, das hatte keinen demokratischen Stil”, sagte der Bundesrat. “Das wäre auch anders gegangen.”

Für die Schweizer Klimapolitik ändert sich nach Kopenhagen nichts: Wie versprochen werde die Schweiz ihre Versprechen einhalten. Eigentlich müsse das Land aber mehr tun. Leuenberger sprach von 40%CO2-Reduktion. Nach Kopenhagen könne er aber nicht in die Schweiz zurückkommen und dies fordern. “Das geht nicht mehr.”

Kein Resultat

In ihren Reaktionen nehmen die Vertreter der Grünen, der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Christlichen Volkspartei (CVP) kein Blatt vor den Mund. Für sie hat der Klimagipfel kein Resultat gebracht. “Wir haben gesehen, was geschieht, wenn sich die Vereinigten Staaten nicht mit China einig werdeb.”, kritisierte die Pressesprecherin der CVP, Alexandra Perina-Werz.

Wie der WWF und Greenpeace zeigte sich auch der Präsident der Grünen, Ueli Leuenberger “extrem enttäuscht”. Man habe viel Hoffnung in die Konferenz gesetzt, sagt der Genfer, und am Schluss sei nicht mehr engagiert verhandelt worden.

Die Ratlosigkeit wird von der SP geteilt. Allerdings hält diese fest, dass der Konsens immerhin festhalte, dass die Erwärmung des Klimas auf 2 Grad beschränkt bleiben solle. Dazu habe sich auch die Schweiz verpflichtet.

Für die Linken und die Umweltorganisationen sollte die Schweiz nun als gutes Beispiel vorangehen: Die SP will die Emissionen von Treibhausgas um mindestens 30 Prozent im Vergleich mit 1990 reduzieren. Die Grünen, der WWF und Greenpeace sprechen von einer Reduktion um 40%.

Vorpreschen würde der Wirtschaft schaden

Die Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (FDP. Die Liberalen) bedauert, dass es dem Abkommen an verbindlichen Zielen mangle und dass kein Kontrollmechanismus beschlossen worden sei. Sie selbst unterstützt die Klimaziele des Bundesrates für die Schweiz: Der Ausstoss an Treibhausgasen soll um 20% reduziert werden im Vergleich zu 1990. Die Partei unterstreicht, dass das Problem der Klimaerwärmung nur in internationaler Zusammenarbeit gelöst werden könne.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) schliesslich wird noch deutlicher: Die Schweiz dürfen nicht vorpreschen und damit ihre Wirtschaft in Gefahr bringen, erklärte der Parteipräsident Toni Brunner. Die grössten Umwelveschmutzer wie die USA, China und Indien hätten ihren Teil der Arbeit noch nicht gemacht.

Kommen Zeiten der Rücksichtslosigkeit?

Für die in Zürich erscheinende Neue Zürcher Zeitung am Sonntag ist US-Präsident Obama der Gewinner des Weltklimagipfels: “Es war richtig, dass die USA auf einer wirksamen Überwachung des CO2-Ausstosses bestanden haben. Dass sich China gegen ein solches Monitoring mit dem fadenscheinigen Argument wehrte, es würde die Souveränität des Landes verletzen, erinnert an die Versuche Irans und Nordkoreas, Verstösse gegen den Atomwaffensperrvertrag zu kaschieren.

In dem von Präsident Obama ausgehandelten Minimalkonsens verpflichtet sich China nun immerhin, eine Kontrolle zuzulassen. Dieses Ergebnis könnte sich vielleicht noch als das wichtigste Resultat von Kopenhagen herausstellen. Denn ohne Monitoring wäre jeder zukünftige Klimavertrag wertlos. Das ist immerhin ein Erfolg für Barack Obama”, meint die NZZ am Sonntag.

Die Sonntagszeitung sieht im Gipfel in Kopenhagen trotz allem Gute Seiten. Wenigstens herrsche keinerlei Kriegsbereitschaft, um sich “notfalls auf gewaltsame Weise die überlebensnotwendigen Ressourcen wie reine Luft und reines Wasser zu sichern”, hält sie fest. Man habe am Beispiel des irakischen Ölkriegs gemerkt, dass Rohstoffkriege nicht zu gewinnen seien.

Trotzdem ist die Sonntagszeitung nicht übermässig zuversichtlich, wenn die Ressourcenknappheit zum existenziellen Problem werde, “dürften erneut Zeiten der Rücksichtslosigkeit anbrechen und in vielen Ländern jene chauvinistische, irrationalen Kräfte überhand nehmen, die das unendlich mühselige Kooperationsprinzip ablehnen.”

“Feiern, um sich abzulenken”

Le Matin Dimanche hält in seinem Kommentar fest, dass “Die politischen Entscheidungsträger es einmal mehr abgelehnt haben, verbindliche Massnahmen zu beschliessen.” Ob die Verantwortlichen andere Prioritäten gesetzt hätten, fragt er, und bemerkt: “Der Gipfel ist mit dem Aufruf des Südafrikanischen Delegierten zu Ende gegangen, dass man aufpassen solle, dass die Daten der nächsten klimapolitischen Zusammenkunft in Bonn nicht mit der Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika zusammenfielen”.

Weiter schreibt die welsche Zeitung, dass der Widerspruch zu regieren scheine. “Die ganze Welt anerkenne die Dringlichkeit der Massnahmen gegen die Klimerwärmung, doch niemand setzt sie um. Hier ist Weihnachten.” Dieses Verhalten sei eine Folge eines Musters, das so alt sei wie die Welt. Die Literatur sei voll davon, auch die Berichte der Psychonalytiker. Es gehe um “die Verantwortungslosigkeit der Menschen und das Bedürfnis, zu feiern, um sich etwas abzulenken.”

swissinfo.ch und Agenturen

– ZWEI-GRAD-ZIEL: Das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, wird “zur Kenntnis” genommen. Das ist weniger als das, was die G8-Staaten auf ihrem L’Aquila-Gipfel im Juli vereinbart hatten. Laut Weltklimarat IPCC wäre eine über zwei Grad hinausgehende Erwärmung katastrophal für Mensch und Natur.

– TREIBHAUSGASE: Alle Industrieländer und sollten bis zum 31. Januar 2010 nationale Treibhausgasziele für das Jahr 2020 vorlegen. Die EU und 15 einzelne Staaten hatten das bereits getan. Ein gemeinsames Ziel für die Industrieländer ist im letzten Entwurf nicht mehr vorgegeben. Inwieweit die Schwellenländer Klimaziele erbringen müssen, soll auch davon abhängen, was die Industrieländer an Geld und Technik bereitstellen.

– GELD: Die Industrieländer geben den Entwicklungsländern insgesamt 30 Milliarden Dollar (21 Milliarden Euro) für 2010 bis 2012 für die Anpassung an den Klimawandel und eine umweltfreundliche Entwicklung. Das Geld für die Anpassung soll vor allem den ärmsten und den Inselstaaten zufließen. Die reichen Staaten setzen sich außerdem das Ziel, ab 2020 rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die umweltfreundliche Entwicklung ärmerer Länder bereitzustellen.

– ÜBERPRÜFUNG: Die Schwellen- und Entwicklungsländer müssen “internationale Beratungen und Analysen” für ihre Klimaschutz- Aktivitäten ermöglichen – jedoch basierend auf nationalen Prioritäten. Damit hat China erreicht, dass es keine internationale, unabhängige Überprüfung im eigenen Land zulassen muss.

– WALD: Es ist entscheidend, den Wald zu schützen und Geld dafür bereitzustellen, heißt es schwammig in dem Entwurf. Ungeklärt bleibt zum Beispiel, aus welchen Töpfen der Waldschutz finanziert wird.

– STÄRKUNG: Die Vereinbarung solle 2015 überprüft werden mit Blick auf die Möglichkeit, die Erderwärmung auf nur 1,5 Grad zu begrenzen. Dies hatten vor allem kleine Inselstaaten gefordert, die vom Anstieg der Meeresspiegel bedroht sind.

– VERBINDLICHKEIT: Ein Verweis auf die Arbeit an einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen wurde in den letzten Konferenzstunden gestrichen.

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