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Die Schweiz will Europa nicht nachgeben

Der Schweizer Finanzminister weist die EU-Vorwürfe als unbegründet zurück. Keystone

Die Schweiz will ihre Steuer-Souveränität auf keinen Fall preisgeben. Die Landesregierung hat der Europäischen Kommission diesbezüglich eine klare Absage erteilt.

Auch die bürgerlichen Parteien und Wirtschaftskreise nehmen die Steuererleichterungen in Schutz, die einige Kantone Unternehmen angeboten haben.

Für Finanzminister Hans-Rudolf Merz gibt es nichts zu verhandeln. Er weist den Vorwurf der EU zurück, die Schweiz verletze mit kantonalen Steuerbestimmungen das Freihandelsabkommen von 1972.

Die Schweiz und die EU hätten keine vertragliche Regelung, um die Unternehmensbesteuerung anzugleichen, sagte Merz am Dienstag. Deshalb könne die Besteuerung von Holdings und gewissen anderen Gesellschaftstypen in den Kantonen auch nicht gegen irgendwelche Abmachungen verstossen.

Auf die Schweiz nicht anwendbar

Dies gelte insbesondere für das von der EU-Kommission angerufene Freihandelsabkommen. Die Regeln über staatliche Beihilfen und der Verhaltenskodex zur Unternehmenssteuer in der EU seien auf die Schweiz nicht anwendbar, weil diese nicht dem EU-Binnenmarkt angehöre.

Das Anliegen der EU sei nicht neu, werde aber jetzt von der technischen auf die politische Ebene gebracht, sagte Merz.

Wettbewerb unter den Kantonen

Es stimme nicht, dass die Kantone mit tieferen Steuersätzen ausgewählte Firmen subventionierten, sagte Eveline Widmer-Schlumpf, Bündner Finanzdirektorin und Präsidentin der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz (FDK).

Ausländische und inländische Firmen würden nämlich gleich behandelt, wenn sie die Voraussetzungen erfüllten, als Holding besteuert zu werden. Das heutige Holding-Steuersystem sei gesetzlich verankert und Teil des Wettbewerbs unter den Kantonen.

In die gleiche Kerbe schlägt der Zuger Finanzdirektor Peter Hegglin. Es wäre seiner Meinung nach falsch, dem Druck nachzugeben.

Alte Holdingsteuern

Hegglin weist darauf hin, dass es die von der EU-Kommission kritisierte Holding-Besteuerung schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts gebe und diese somit älter sei als das Freihandelsabkommen von 1972.

Dass vermehrt politisch und nicht rechtlich gegen die Schweiz vorgegangen werde, zeigt laut Hegglin, dass der EU die juristischen Argumente ausgingen.

Den Druck der EU erklärt sich der Zuger Finanzdirektor damit, dass die Schweiz im Standortwettbewerb erfolgreich sei. Zwar sei die Steuerbelastung in diesem Wettbewerb wichtig, aber noch lange nicht der einzige Faktor, sagte Hegglin.

Wirtschaftsverbände: Rückweisung

Auch Wirtschaftsorganisationen verwahren sich gegen die Einmischung von Brüssel in die kantonalen Steuerregimes. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse fordert, das Begehren aus Brüssel klar zurückzuweisen.

Der Verband SwissHoldings wirft der EU-Kommission vor, “handfeste Standortinteressen” zu verfolgen. Es gehe ihr nicht um die Beseitigung von Verzerrungen im bilateralen Warenverkehr, sondern um eine Einschränkung des Steuerwettbewerbs.

Kompromisslose bürgerliche Parteien

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) verlangt, der Bundesrat solle über die Forderungen der EU gar nicht verhandeln und keinerlei Konzessionen machen. Denn die EU-Bürokraten verlangten von den Kantonen, demokratisch gefällte Volksentscheide aufzuheben, mehr Steuern einzuziehen als sie brauchten und ihr Steuersystem dem “Brüsseler Moloch” anzupassen.

Zwar sei es verständlich, dass der EU das “aktive Standortmarketing” der Schweiz für Unternehmen ein Dorn im Auge sei, meint die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP). Sie erinnert jedoch daran, dass das Schweizer Steuersystem ein Produkt der direkten Demokratie sei.

Von Provokation spricht die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP): Der Angriff der EU-Kommission auf die Schweizer Steuersouveränität werde nicht einmal von allen EU-Mitgliedern mitgetragen.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) dagegen drängt auf eine einvernehmliche Lösung, auch wenn sie den Zusammenhang zwischen Freihandelsabkommen und Steuersystem für zweifelhaft hält.

Sich jeglicher Diskussion verweigern zu wollen, wie Bundesrat Merz es tue, bringe nichts, schreibt die SP. Der Steuerwettbewerb stelle nämlich tatsächlich ein Problem dar. Der Bund müsse deshalb versuchen, im Dialog mit der EU Leitplanken zu setzen.

swissinfo und Agenturen

Artikel 23.iii des Freihandelsabkommens Schweiz-EU von 1972 sagt, “dass jede Hilfestellung der öffentlichen Hand, welche die Konkurrenz unter Unternehmen oder der Produktion von Waren beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, mit dem Geist des Abkommens unvereinbar ist”.

Das Abkommen von 1972 regelt ausschliesslich den Handel mit bestimmten Gütern (Industriegütern und Agrarprodukten).

Die Schweiz vertritt die Haltung, dass die Steuervergünstigungen in gewissen Kantonen für Auslandgeschäfte von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischen Gesellschaften nicht unter das Freihandelsabkommen mit der EU fallen.

Eine Auswahl kantonaler Steuersätze (Unternehmens-Besteuerung) aus einem im November 2006 veröffentlichten Bericht des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens KPMG:

Obwalden: 13,1%, Schwyz: 15,6%, Zug: 16,4%, Zürich: 21,3%, Graubünden: 29,1%,
Schweizer Durchschnitt: 21,3%

Unternehmens-Steuersätze in anderen Ländern:

Japan: 40,7%, USA: 40%, Deutschland: 38,3%, Irland: 12,5%, Zypern: 10%

Die Europäische Kommission hat am Dienstag beschlossen, die fiskalischen Privilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, seien unvereinbar mit dem 1972 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) abgeschlossen Freihandelsabkommen.

Sie fordert die Schweiz auf, diese steuerlichen Bestimmungen zu ändern um sie dem Abkommen anzupassen. Sie verlangt von ihren Mitgliedsstaaten ein Mandat, das ihr erlaubt, Verhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen, um “eine gegenseitig annehmbare Lösung zu finden”.

Die europäische Exekutive stört sich an den Steuerprivilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, welche bei ihnen den Sitz ihrer Holdings eingerichtet haben, ihre Gewinne jedoch im Ausland realisieren.

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