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Die Strasse – ein knappes Gut

Ein gewohntes Bild auf der Nord-Süd-Achse. Keystone

Ein runder Tisch soll am Donnerstag Lösungen für den Schwerverkehr auf der Nord-Süd-Achse bringen. Die Erfolgschancen sind jedoch gering.

Die Nord-Süd-Transitachse sorgt immer wieder für Schlagzeilen – zum letzten Mal am Mittwochmorgen, als italienische Camionneure überraschend den Zoll in Chiasso-Brogeda während vier Stunden blockierten. Die Chauffeure protestierten damit nach eigenen Angaben gegen die fehlende Zusammenarbeit der Schweiz im europäischen Strassentransport.

Die Urner führten für eine halbe Stunde die “Phase Rot” ein: Rund 200 Lastwagen mussten im Dosierraum von Amsteg das Ende der Blockade abwarten.

Die Aktion der italienischen Camionneure verdeutlichte einmal mehr, dass Lösungen für die Verkehrsprobleme auf der Nord-Süd-Achse dringend Not tun. Erkannt hat dies auch das Departement von Verkehrsminister Moritz Leuenberger – und auf Donnerstag in Bern einen runden Tisch anberaumt.

Grosser runder Tisch

Es braucht einen grossen Tisch, damit alle zum Gespräch Geladenen Platz finden: Leuenberger hat die verantwortlichen Regierungsräte der Kantone Uri, Tessin und Graubünden eingeladen. Ausserdem die Spitzen des Transport- und Speditionsgewerbes, der Verkehrs- und Umweltverbände, der Bundesratsparteien, von SBB, BLS und Hupac, der Arbeitnehmerverbände, der betroffenen Bundesämter für Strassen und Verkehr und der Zollverwaltung sowie weitere Experten. Der runde Tisch war in der Märzsession von Ständerat und Astag-Präsident Carlo Schmid angeregt worden.

Bei so viel Prominenz stellt sich die Frage, was von der Zusammenkunft erwartet werden darf. Möglicherweise nicht besonders viel: Zu unterschiedlich sind die Standpunkte der verschiedenen Interessens-Gemeinschaften, vorfabriziert die jeweiligen Meinungen.

Dosiersystem im Visier

Das Spannungsfeld zwischen Ökologie, Ökonomie und Strassensicherheit kulminiert in der Diskussion um die Auswirkungen des Dosiersystems, das in Folge der Brandkatastrophe im Gotthard-Strassentunnel eingeführt worden ist.

Sicher ist, dass Moritz Leuenberger ein eisiger Wind ins Gesicht blasen wird: Die Mehrheit der Bundesratsparteien und das Transportgewerbe verlangen eine Aufhebung des Systems. Als einzige Regierungspartei stärkt die Sozialdemokratische Partei (SP) ihrem Minister den Rücken.

Wirtschaftliche Aspekte vernachlässigt?

Trotz der Vielzahl der vertretenen Parteien und Verbände am runden Tisch fällt auf, dass gewichtige Vertreter aus Wirtschaft und Industrie fehlen. Auch das Volkswirtschafts-Departement gehört nicht zu den “interessierten Kreisen”, was ebenfalls beweist, dass die Gotthard-Problematik als reines Verkehrsproblem gesehen wird.

Zu Unrecht, wie die EU vorexerziert. In die Diskussion um die Gewichtslimiten bei der Wiedereröffnung des Mont-Blanc-Tunnels für Lastwagen hat sich Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein eingeschaltet. Schwerverkehrspolitik ist auch Wirtschaftspolitik: Transportkosten sind Produktionskosten.

Moritz Leuenberger wird deshalb der Vorwurf gemacht, dass er die wirtschaftlichen Aspekte seiner Verkehrspolitik zu wenig berücksichtigt: Er könne eine Reihe von Zugeständnissen machen, ohne die Maxime der Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene aufzugeben, wird argumentiert.

Strasse versus Schiene

Die Transportbranche und die Industrie sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie an einer langfristigen Alternative zur Strasse nicht wirklich interessiert seien. Sie würden das System Strasse ausreizen, bis es zusammen breche, monieren Kritiker.

Transport-Unternehmer führen oft das Argument der notwendigen Just-In-Time-Lieferungen ins Feld. Die grundsätzliche Transport-Philosophie wird indessen kaum hinterfragt.

Dem steht entgegen, dass die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit der Annahme der Alpeninitiative und der Einführung der leistungsabhängigen Schwerverkehrs-Abgabe (LSVA) die Verlagerung des alpenquerenden Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene guthiessen. Etliche Milliarden werden in die Neat verbaut.

Durchfahrt nur auf Voranmeldung

Die Strasse ist ein knappes Gut – insbesondere in der engen, bergigen Schweiz. Darauf hat richtigerweise Hans Werder, Generalsekretär im Departement Leuenberger, hingewiesen. Werder schlug vor, die internationalen Transitachsen langfristig wie Schiffsfähren nur auf Voranmeldung benützen zu dürfen. Ein Bruch mit der Idee, dass die Strasse auch in Zukunft für wenig Geld unbegrenzte Kapazitäten bereit stellt.

Auch der Leiter des Wirtschafts-Forschungsinstituts IRE in Lugano, Rico Maggi, schlug vor, das Prinzip des Pricing stärker in die Strassennutzung einzubringen. Dies könnte laut Maggi zu einer besseren Verteilung der Verkehrslast führen.

Gerhard Lob

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