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Emmentaler – ein Käse kämpft ums Überleben

Der Emmentaler: Leidet an Überproduktion und Konkurrenz aus dem Ausland. Ex-press

Einst war der Emmentaler Käse das Markenzeichen der Schweiz in der Welt. Heute kämpfen die verbliebenen Hersteller ums Überleben. Zur Rettung verlangt die Branche vom Bundesrat die Begrenzung der Produktion.

Seit Jahren ist die Nachfrage nach Emmentaler auf Talfahrt. Auch der Schutz 2006 mit dem AOC-Siegel (Appellation d’Origine Contrôlée, kontrollierte Herkunftsbezeichnung) vermochte diese nicht zu stoppen. Besonders drastisch fiel der Einbruch 2011 aus.

Um der dramatischen Abwärtsspirale Einhalt zu gebieten, verlangt die Branchenorganisation Emmentaler Switzerland von der Schweizer Regierung, die Herstellung von Emmentaler Käse zu limitieren. Ein Entscheid des Bundesrats wird für kommenden Oktober erwartet.

Die Tradition des milden Käses mit den grossen Löchern begann in der urtümlichen Hügellandschaft des Emmentals bereits im Mittelalter. Seine Blütezeit erlebte der Emmentaler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die riesigen Laibe in fast alle Welt verschifft wurden. In Langnau, dem Hauptort, wurden einige Händler Käsebarone mit einem Millionenvermögen.

1990 waren es noch 800 Betriebe, die Emmentaler herstellten. Heute sind deren 149, die AOC-Emmentaler fabrizieren.

Darunter sind sowohl grosse Milchverarbeiter, die den Käse quasi industriell herstellen, als auch kleine Käsereien. Gerade letztere sind vom Nachfragerückgang akut bedroht.

Zu viel Käse

Das Problem sind aber nicht nur veränderte Essgewohnheiten der Konsumenten, Stichwort Mozarella-Boom. Händler bestellen oft grössere Mengen Emmentaler AOC, als sie verkaufen können. Die Folge: Ein überfluteter Markt und sinkende Preise.

“Ein Kilo Emmentaler kostet heute 5,60 Franken. Das ist zu wenig, um das Überleben von kleinen Käsereien zu sichern”, sagt Franziska Borer, Direktorin von Emmentaler Switzerland gegenüber swissinfo.ch.

“Weil die Käsehersteller so wenig einnehmen, können sie den Milchbauern nicht genug bezahlen, damit diese ihre Kosten decken können. Es besteht das Risiko, dass letztere die Milch anderswo liefern oder die Milchproduktion einstellen.”

Borer erhofft sich von einer Produktions-Obergrenze steigende Preise, welche die wahren Werte von Milch und Emmentalerkäse widerspiegelten.

Harter Wettbewerb

Das Problem ist aber nicht nur “hausgemacht”. Der Branche macht auch zu schaffen, dass grosse Hersteller aus Europa und den USA den Markt, auch denjenigen der Schweiz, mit billigem, industriell hergestelltem Emmentaler überfluten.

Dieser Industrie-Emmentaler ist aus pasteurisierter Milch gefertigt, die von Kühen stammt, die Silofutter vorgesetzt bekommen. Solchermassen durch Milchsäuregärung konserviertes hochwertiges Futtermittel sorgt in der Milch für Bakterien, die im Schweizer AOC-Emmentaler nicht gestattet sind. Schweizer AOC-Käse darf keine künstlichen Zutaten enthalten, dazu muss die Milch von Kühen stammen, die nur mit Gras und Heu gefüttert werden.

Das Problem der Branchenorganisation ist es, die Konsumenten von diesem markanten Unterschied zu überzeugen. Emmentaler Switzerland verwendet denn auch rund 80% der Beiträge, welche die Hersteller beisteuern, für Marketing.

Qualitätslabel als Rettung? 

Der Emmentaler trägt seit Ende 2006 das AOC-Siegel. Dieses wird den Laiben, die zwischen 90 und 110 Kilo schwer sind, gross auf die Seite gestempelt. Die Hersteller können ihre individuelle Hersteller-Nummer hinzufügen. Dies als weitere Qualitätsgarantie einerseits und Schutz vor Fälschung andererseits.

Das AOC-Schutzsiegel bedeutet für Milchbauern und Käsehersteller einen Mehraufwand. So auch für Andres Bernhard, Präsident der Käsereigenossenschaft Ursenbach, der 18 Milchbauern angehören.

Bernhards Milchbetrieb an idyllischer Lage zählt 35 Kühe. “Es beginnt bei der Haltung der Tiere, geht über das Futter bis zur Umwelt, in der sie leben. Und wir müssen sehr strenge Hygienevorschriften erfüllen”, sagt er beim Besuch von swissinfo.ch auf seinem Hof.

Er und seine Kollegen müssen regelmässig Milchproben ins Labor schicken, wo diese auf Bakterien und Antibiotika-Rückstände getestet werden. Werden solche entdeckt, kann die Milch nicht für die Herstellung von AOC-Käse verwendet werden.

Die Käserei Ursenbach, an welche die 18 Genossensschafter ihre Milch abliefern, wird von Fritz und Hans Lehmann betrieben. Die Brüder stellen pro Tag vier Käselaibe her. Diese werden nach drei Monaten Reifezeit vom Händler einer rigorosen Prüfung unterzogen.

Zu fürchten haben die Lehmanns indessen nichts: 2011 wurde ihr Emmentaler vom Branchenverband zum zweitbesten der Schweiz gekürt. Trotz dieses grossen Erfolgs sieht auch die Zukunft der Käserei Ursenbach alles andere als rosig aus.

Händler sollten das Produkt besser vermarkten, ist die Meinung von Fritz Lehmann. “Wir könnten mehr Emmentaler AOC verkaufen, wenn mehr in die Promotion investiert würde”, ist er überzeugt. Gefragt seien mehr Zeit, mehr Personal und mehr Leidenschaft. “Der Markt ist mit Käse überflutet. Da musst du Präsenz markieren und insistieren, dass dein Produkt das Beste ist.”

Weg mit der Überproduktion 

Sollte die Herstellungs-Obergrenze Tatsache werden, schlägt Fromarte, der ehemalige Schweizerische Milchkäuferverband, zur Abwicklung der Bestellungen die Schaffung einer einzigen, zentralen Handelsgesellschaft vor.

Dies würde die Verkäufer zwingen, nur die Mengen zu ordern, die sie tatsächlich verkaufen wollen. Die Käsereien ihrerseits würden direkt an die Verkäufer liefern. Dies würde die Überproduktion stoppen und die Preise erhöhen, hofft Fromarte.

Joseph Hardegger, der den Emmentaler AOC aus der Käserei Ursenbach verkauft, ist anderer Meinung. “Die strukturelle Basis der Käseindustrie bliebe unangetastet, also gäbe es längerfristig keine Garantie, dass die Produzenten auch mit der zentralen Handelsorganisation und einer zweijährigen Produktionslimite überleben könnten.”

Hardegger befürchtet, dass eine solche Organisation in erster Linie die Interessen der Milchbauern und Käseproduzenten wahrnehmen würde. “Quoten könnten kurzfristig die Probleme der Branche lösen. Mittel- und langfristig aber sollten die Marktkräfte Angebot und Nachfrage ausgleichen.”

Falls sich der Bundesrat nicht auf die geforderten Herstellungsquoten wird einigen können, befürchtet Franziska Borer ihrerseits, dass der Markt in heutiger Form seinen Tribut fordern wird. Das hiesse dann, dass das Käsereien-Sterben weitergeht und die verbleibenden Käser mehr denn je gefordert wären, neue Ideen zu entwickeln.

Eines ist trotz aller dunkler Wolken gleich geblieben: Der Emmentaler AOC ist immer noch der meistexportierte Käse der Schweiz.

Für einen Emmentaler Käse braucht es 1200 Liter Milch.

Diese wird in einem grossen Kessel auf 50 Grad erhitzt, damit sie gerinnt.

Der feste Frischkäse wird in runde Formen gepresst. Während der mehrmonatigen Reife muss der Käse regelmässig gewaschen und gewendet werden.

Die grossen Löcher und das Aroma entstehen bei der Fermentierung durch Propionsäurebakterien, die sich an die Fettanteile der Milch heften und Kohlenstoffdioxid sowie Propionsäure freisetzen.

1999 wurden 33’689 Tonnen Emmentaler exportiert. 2011 waren es noch 25’256 t.

1999 gab es noch 519 Käsereien, 2011 noch deren 149 (für AOC-Emmentaler).

2011 schlossen 20 Käsereien ihre Türen.

Im letzten Jahr lieferten 4000 Milchbauern ihre Milch für die Emmentaler-Produktion ein.

(Übertragen aus dem Englischen: Renat Künzi)

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