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Ein Gewerkschafter in der Verwaltung

Ab Februar im Volkswirtschaftsdepartement von Bundesrätin Doris Leuthard. Keystone

In den letzten zehn Jahren war er eine der zentralen Figuren der Schweizer Gewerkschaften. Am Donnerstag beginnt Serge Gaillard seine Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (seco).

Für swissinfo zieht er Bilanz über seine Aktivitäten beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) und beantwortet die Frage, weshalb er in die Bundesverwaltung wechselt.

swissinfo: Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Stelle in der Direktion für Arbeit des seco zu bewerben?

Serge Gaillard: Das Interesse für Arbeitsfragen. Diese beschäftigen mich, seit ich ins Berufsleben eingestiegen bin.

Die Direktion für Arbeit ist verantwortlich für die Führung der Arbeitslosenversicherung, für Arbeitsmarktpolitik und Gesundheitsschutz in Unternehmen. Diese Aufgaben finde ich sehr wichtig. Sowohl für die Arbeitnehmenden wie für die Wirtschaft.

swissinfo: Die Regierung hat einen Gewerkschafter auf einen strategischen Posten gewählt. Erstaunt Sie das?

S.G.: Nein. Obwohl es in der Öffentlichkeit manchmal den Anschein macht, die politischen Auffassungen gingen auseinander, sind sich die Sozialpartner sehr oft einig bei der Anwendung der Arbeitslosenversicherung.

Im Alltag hat diese Übereinstimmung mit der Direktion für Arbeit immer gut funktioniert. Aus dieser Sicht sehe ich eine gewisse Kontinuität in meiner Wahl.

swissinfo: Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt in der Schweiz stehen gut. Kann es noch besser werden?

S.G.: Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren geht es der Schweiz wirklich gut. Vergessen wir nicht, dass die 1990er-Jahre wegen einer Wirtschaftspolitik, die nicht auf Vollbeschäftigung ausgerichtet war, sehr schwierig waren.

Der SGB spielte eine wichtige Rolle, er verlangte eine Währungspolitik, welche den Wechselkurs und die Beschäftigung vermehrt berücksichtigen sollte. Dies ermöglichte ein starkes Wachstum, das lediglich durch das Inflationsrisiko begrenzt wurde.

Weiter forderten wir einen besseren Schutz der Arbeitnehmenden, nämlich die mit der Einführung der Personenfreizügigkeit verbundenen Begleitmassnahmen. Diese Einführung ist ebenfalls ein Schlüsselelement für den guten Gang der Schweizer Wirtschaft.

swissinfo: Bei der anstehenden Reform der Arbeitslosenversicherung müssen Sie die Position der Regierung vertreten. Müssen Sie sich dafür Gewalt antun?

S.G.: Vergessen Sie nicht, dass die Sozialpartner bei der Vorbereitung der neuen Gesetze über die Arbeitslosenversicherung eine Schlüsselrolle spielen. Ausserdem arbeitete ich in der Expertengruppe mit, die mehrere Varianten für die kommende Revision vorbereitet hat.

Es scheint mir klar, dass wir den Wirtschaftsaufschwung in den nächsten drei oder vier Jahren nutzen sollten, um die Finanzen der Arbeitslosenversicherung zu sanieren und wenn möglich die nötigen Reserven für eine künftige Rezession zu schaffen.

swissinfo: Wie hat sich während der Zeit Ihrer Karriere beim SGB das gewerkschaftliche Umfeld entwickelt?

S.G.: Ich glaube, dass der SGB als Dachorganisation heute eine viel breitere Arbeitnehmerschaft vertritt als noch vor zehn Jahren – von Baurarbeitern und Eisenbahnern über Postangestellte und Leute aus Musikwelt und Kunst bis zu Sozialarbeiterinnen und -arbeitern.

Ich denke, dass der SGB in Zukunft eine noch grössere und repräsentativere Basis vertreten wird, um das für die Interessen der Angestellten nötige politische Gewicht zu behalten.

swissinfo: Sie sind einer der wenigen Gewerkschafter, die auch ein feines Gespür für die Wirtschaft haben. Wird Ihr Abgang aus dem Gewerkschaftsbund diesen nicht schwächen?

S.G.: Ganz im Gegenteil. Ich bin überzeugt, dass meine Nachfolger im SGB eine ebenso gute Arbeit leisten werden wie ich.

swissinfo-Interview: Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Seit 1993 war Serge Gaillard beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) Leiter des Generalsekretariats und Chefökonom.

Ausserdem führte er zahlreiche Verhandlungen, namentlich 1995 bei der Neukonzeption der Arbeitslosenversicherung.

Er war auch Mitglied verschiedener Experten-Kommissionen, unter anderem für die Arbeitslosenversicherung und die Vorbereitung der Personenfreizügigkeit.

Von 1988-1993 war Gaillard Projektleiter bei der Konjunktur-Forschungsstelle der ETH Zürich, KOF.

Er ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SP) und war früher Mitglied der trotzkistischen Revolutionären Marxistischen Liga (RML) bzw. der später umbenannten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP).

Der 51-Jährige ist verheiratet und Vater zweier Töchter.

Gaillard wurde in Zürich geboren, seine Eltern stammen aus dem Westschweizer Arbeitermilieu, die Mutter war Verkäuferin, der Vater Mechaniker.

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