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Eine neue Steuerpolitik zugunsten der ärmsten Länder

Keystone

Hilfswerke der drei Bankgeheimnisländer Schweiz, Österreich und Luxemburg fordern ihre Regierungen zu einem Kurswechsel in der Steuerpolitik auf. Auch die Entwicklungsländer müssten vom Austrocknen der Steueroasen profitieren.

In den ärmsten Ländern der Welt fliessen jedes Jahr zwischen 800 und 1000 Mrd. Dollar illegal ins Ausland. Dies, weil die reichen Länder Steuerhinterziehung zulassen oder fördern, gerade die so genannten Steueroasen.

Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), welche vor allem die Interessen der Industrieländer vertritt, ist die Grössenordnung dieser Kapitalflucht mehr als drei Mal so hoch, wie die Entwicklungshilfegelder jedes Jahr an die “südliche Hemisphäre” vergeben werden.

Angesichts der bevorstehenden OECD-Ministerkonferenz zu Besteuerungsfragen am 23. Juni in Berlin, fordern Nichtregierungsorganisationen der drei Bankgeheimnisländer Schweiz, Österreich und Luxemburg ihre Regierungen auf, ihre Steuerpolitik nicht nur auf die reichsten Länder auszurichten, sondern auch auf jene Staaten und deren Bevölkerungen, die am meisten finanzieller Hilfe bedürfen.

Unzulässige Doppelstandards

“Die Beträge sind enorm. Es wird geschätzt, dass sich allein in der Schweiz mindestens 360 Milliarden Franken aus den Entwicklungsländern befinden”, sagte Peter Niggli, Direktor der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft einiger Hilfswerke, Alliance Süd, am Dienstag an einer Medienkonferenz von Vertretern der Nichtregierungsorganisationen der drei Länder in Bern.

“Wenn diese Mittel nicht von den Steuern abgezweigt würden, brächte das mindestens 6 Mrd. Dollar in die Kassen der Länder, aus denen sie kommen. Das ist drei Mal mehr als der Bund jedes Jahr für die Zusammenarbeit und die Entwicklungshilfe in den armen Ländern bezahlt.”

Die Schweiz verwende einen Doppel-Standard im Steuerbereich, sagte Peter Niggli. Schweizer Bürger, die versuchen, Steuern zu hinterziehen, würden mit Geldbussen bestraft, während reiche Ausländer, die ihre Vermögenswerte auf Schweizer Banken versteckten, vor den Steuerbehörden ihres Landes geschützt würden.

“Seit den 1980er-Jahren warnen viele Experten, so auch der der frühere Tessiner Staatsanwalt Paolo Bernasconi, dass solche Steuerpraktiken im Ausland nicht ewig toleriert würden”, sagte der Direktor von Alliance Sud. “Anstatt sich über Attacken gegen das Bankgeheimnis zu beschweren, sollte die Schweiz ihre Steuerpolitik ändern, die nicht nur den Interessen der anderen Ländern schadet, sondern auch dem Image des Landes.”

Beispiele aus Österreich und Luxemburg

Die Schweiz ist nicht das einzige Land in Europa, das aufgefordert wird, seine Steuerpolitik zu ändern. Auch in Österreich kämpften Nichtregierungsorganisationen seit langem für die Abschaffung des Bankgeheimnisses, das in der nationalen Verfassung verankert ist, sagte Ruth Picker, Leiterin der Globalen Verantwortung, einer Vereinigung für Entwicklung und humanitäre Hilfe österreichischer Nichtregierungsorganisationen.

“Die Behörden haben das Bankgeheimnis immer verteidigt. Sie sagen, es sein ein Stück österreichischer Identität und zum Schutz der kleinen Sparer. In Wirklichkeit ist es ein Instrument zur Förderung der Steuerhinterziehung oder zur Deckung krimineller Aktivitäten.”

Gemeinsam mit der Schweiz und Österreich wurde im vergangenen April auch Luxemburg auf die “Graue Liste der Steuerparadiese” der OECD gesetzt. “Luxemburg gilt nicht nur wegen seines Bankgeheimnisses als Finanzoase, sondern auch wegen der steuerlichen Sonderregelungen für die Niederlassungen ausländischer Firmen”, sagte Norry Schneider, Vertreter des Luxemburger NGO Cercle de Coopération.

“Holdings und andere ausländische Firmen fungieren als spezialisierte Asset-Management-Plattformen als Kapital-Transitplattform zu anderen Steueroasen. Die Eigentümer dieser Kapitalien werden dabei natürlich nicht bekannt gegeben. Und darüber hinaus werden diese Unternehmen ganz oder teilweise von den Steuern befreit.”

Neue globale Steuern

“Es ist an der Zeit, dies zu ändern”, sagen die Nichtregierungsorganisationen. Sie fordern von ihren Regierungen die Annahme des Grundsatzes des automatischen Informationsaustausches über die hinterlegten Mittel in ihren Banken, die von ausländischen Staatsangehörigen und Unternehmen stammen. Die Zugeständnisse beim Bankgeheimnis die bei den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union gemacht würden, müssten auch auf die Entwicklungsländer übertragen werden.

Es ist auch eine Aufforderung für alle anderen Länder, sich der Steuerhinterziehung anzunehmen. “Das Bankgeheimnis ist nur ein Teil des Problems. Die OECD muss nun die britischen und US-Trusts ins Visier nehmen, die jeden Tag illegal Milliarden Dollars aus der südlichen Hemisphäre transferieren”, sagte John Christensen, Leiter des Sekretariats des International Tax Justice Networks.

Die Welt braucht neue globale steuerliche Regelungen, die gerechter und transparenter sind, verlangen die Nichtregierungsorganisatinen. “Wenn wir wollen, dass die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 halbiert wird, wie sie in den Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen definiert wurden, müssen die reichen Länder nicht mehr geben, aber weniger von den Ärmsten nehmen.”

Armando Mombelli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)

13. März 2009 – Auf Druck der USA und der Europäischen Union EU beschliesst die Schweizer Regierung eine Lockerung des Bankgeheimnisses. Künftig leistet der Bund internationale Beihilfe nicht nur in Fällen von Steuerbetrug, sondern auch in solchen von Steuerhinterziehung.

2. April 2009 – Die Mitgliedstaaten der G-20 beschliessen “das Ende der Ära des Bankgeheimnisses”. Die Schweiz, Österreich und Luxemburg werden auf eine “Graue Liste” mit zehn Ländern gesetzt, die angekündigt haben, die OECD-Standards zu befolgen, dies aber noch nicht umgesetzt haben.

23. Juni 2009 – Die Finanzminister der OECD-Staaten treffen sich in Berlin, wo sie die Diskussionen über Steueroasen und Massnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung fortsetzen.

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